"Der Gesprächstermin mit dem Waisenhaus geht klar, ich habe eben nochmal mit der Leiterin telefoniert", verkündigte Leyla zufrieden. Dann setzte sie schwungvoll ein Häkchen hinter diesen Punkt auf ihrer Liste.Leyla, Emma und ich hatten uns in unserer Mittagspause wieder zusammengesetzt, um unser Projekt und weiteres Vorgehen zu planen. Die ersten Aufnahmen hatten wir zwar schon im Kasten, aber wir hatten noch einige andere Ideen. Leyla hatte es sich mehr oder weniger zur Aufgabe gemacht, die Leitung des Projekts zu übernehmen und steckte echt viel Herzblut hinein. Ihr schien es wirklich wichtig zu sein, die Veröffentlichung beim Philadelphia Inquirerer zu gewinnen und somit mehr Aufmerksamkeit auf die obdachlosen Kinder in unserer Großstadt zu ziehen.
Gerade deshalb wuchs mein schlechtes Gewissen auch mit jeder Sekunde, die sie von unserem heutigen Programm redete, da ich in Gedanken ganz wo anders war. Wie von selbst schweifte mein Blick immer wieder zu der großen Tür der Mensa und ich scannte die Leute ab, die den Raum betraten. Dabei suchten meine Augen nur nach einer ganz bestimmten Person.
Wenn Dylan heute zur Uni gekommen war, dann würde er auch gleich durch diese Tür treten. Ich wusste nicht, ob ich mir wünschte, ihn zu sehen oder es gerade vermeiden wollte, aber so oder so war ich nicht in der Lage, meinen Blick abzuwenden.
Seitdem ich gestern Abend von zu Hause abgehauen war, hatte ich nichts mehr von Dylan gehört. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass er mich anrufen oder mir sogar hinterherfahren würde, aber er schien tatsächlich zu verstehen, dass ich Zeit und Abstand brauchte. Ich wollte gar nicht wissen, was er dafür in der Zwischenzeit angestellt hatte. Hoffentlich hatte er weder unsere Wohnung zerlegt, noch sich komplett besoffen, ich hoffte einfach, dass Jase da war, um ihn zu bremsen.
Allein bei diesen Gedanken zog sich mich Brustkorb schmerzhaft zusammen und ich musste mir auf die Wangeninnenseite beißen, um meine Tränen zurückzuhalten. Es tat einfach so verdammt weh! Ich fühlte mich so schrecklich hintergangen und trotzdem machte ich mir Sorgen um die Person, die mich betrogen hatte. Skurril - aber das nannte sich wahrscheinlich Liebe.
Aber Liebe alleine war nicht alles - zu einer funktionierenden Beziehung gehörten auch noch Treue und Ehrlichkeit und genau in dieser Hinsicht hatte Dylan mich enttäuscht. Ob ich ihm das jemals vergeben könnte, wusste ich in diesem Moment selbst noch nicht, ich wusste nur, dass ich mich ohne ihn schrecklich fühlte.
Die letzte Nacht hatte ich zum ersten Mal seit Jahren alleine in einem Bett geschlafen und so einsam hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Ich vermisste Dylans Nähe, seine Berührungen und meinen besten Freund, dem ich alles erzählen konnte und der mir immer zur Seite stand, den ich ebenfalls in ihm verloren hatte. Klar, in Ace, Sam und Jase hatte ich immer noch meine besten Freunde, aber das war nichts im Vergleich zu dem, was Dylan für mich war.
In diesem Moment öffnete sich die Glastür erneut und eine große, braunhaarige Person betrat die Mensa. Dylan. Bei diesem Anblick setzte mein Herz einen Schlag aus und das schmerzhafte Ziehen in meinem Brustkorb verstärkte sich.
Selbst auf die Entfernung konnte ich erkennen, wie blass Dylan war und dass sich dunkle Ringe unter seinen Augen abzeichneten. Ob er diese Nacht überhaupt geschlafen hatte? Es ging ihm nicht gut, das sah ich sofort, allein sein Gang strahlte Gebrochenheit und Schmerz aus und sein Blick glitt ängstlich durch den Raum, als hoffte und befürchtete er gleichzeitig mich zu sehen, so wie es mir eben auch gegangen war.
Als seine Augen schließlich auf meine trafen, fühlte ich mich, als würde es mein Herz zerreißen. Das Leuchten aus Dylans grünen Augen war gewichen und sie wirkten nur noch glasig und leer. Er versuchte nichtmal seinen Schmerz zu verstecken, wie er es sonst tat, sondern zeigte ihn offen. Vielleicht fehlte ihm auch einfach die Kraft dazu.
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The American Dream
RomanceEine Fernbeziehung zu führen, ist noch nie einfach gewesen und mit der Zeit zerbrechen die meisten Paare daran, doch nicht Valerie und Dylan. Vier Jahre sind nun vergangen, seit Valerie nach ihrem Austausch zurück nach Deutschland musste. Während si...