67) Augen zu und durch

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Nachdem meine Playlist durchgelaufen ist und das Wasser auch merklich abgekühlt, hieve ich mich aus der Wanne. Ich ziehe meine Sachen wieder an und löse meine Haare aus dem Gummi. Bevor ich das Bad verlasse, atme ich noch einmal tief durch. Das mir bevorstehende Gespräch wird sicher alles andere als angenehm. Ich weiß nicht, was er mir sagen wird, was ich sagen soll und dazu kommt noch die Angst, weil ich nicht weiß, was auf mich zukommt. Am liebsten würde ich dieser Situation aus dem Weg gehen; mich einfach auf den Klodeckel setzen und warten, dass sich alles von selber klärt. Was mach ich denn, wenn zwischen Samu und Vivi doch wieder mehr ist? Dann hat sich das nicht nur zwischen uns erledigt, sondern mein Abenteuer Finnland hat sich wahrscheinlich auch ganz gegessen. Bis ich einen neuen Job gefunden habe, bin ich von Samu und der Band abhängig. Der Schmerz einer Trennung wäre aber bei Weitem schlimmer... Ok, Anni, Augen zu und durch.

Ich lege die Hand auf die Türklinke und drücke sie so leise wie möglich nach unten. Doch was sich mir dann offenbart, kann ich nicht glauben: Der kleine Esstisch ist schön gedeckt. Kerzen, Gläser und auf jedem Platz steht einer Teller mit dampfendem Essen. Samu steht daneben und sieht mich erwartungsvoll an. "Können wir reden?"

Er wirkt unsicher. Ich bin noch immer misstrauisch und weiß absolut nicht, was ich über die ganze Sache denken soll. Aber natürlich will ich mit ihm darüber sprechen. Er zieht auffordernd einen Stuhl vom Tisch weg, damit ich mich hinsetze. Anschließend setzt er sich mir gegenüber.

"Anni, das musst du vorhin falsch verstanden haben.", fängt er nach kurzer Schweigepause an. "Das sind nur die Dinge, die sie zu mir gesagt hat. Ich stimme da mit nichts überein. Ich werde nicht darüber nachdenken, zu ihr zurück zu gehen. Auf keinen Fall! Ich bin glücklich mit dir! Natürlich hatte ich auch mit Vivi schöne Zeiten - keine Frage. Aber die gehören der Vergangenheit an."

Ich will gerade etwas sagen, da kommt er mir in die Quere. "Warte. Und dass ich heute so durch den Wind war... Klar nimmt mich das irgendwie mit, wenn es ihr so schlecht geht und es war auch krass, dass sie mir das alles so ins Gesicht gesagt hat. Ich kenn sie so gar nicht. Vivi kann mir aber auch nicht egal sein. Ich hab wirklich versucht sie zu ignorieren. Wirklich. Aber ich kann das, was zwischen uns war, auch nicht einfach löschen."

Ich weiß, dass er Recht hat. Ich hab wieder mal überreagiert. Super. Am Ende bin ich noch diejenige, die unsere Beziehung ruiniert und nicht Vivi. Wann kann ich endlich anfangen ihm zu vertrauen? Schon wieder kullert eine Träne meine Wange herunter.

Samu legt seine rechte Hand auf meine und wischt mir mit der anderen die Träne weg. "Samu... Es tut mir leid.", fange ich an. "Das muss es nicht.", versichert er mir. "Doch, das muss es. Nur weil ich jedes Mal überreagiere, streiten wir doch. Die Situation ist grad echt mehr als blöd. Ich musste mich noch nie mit einer anderen Frau auseinandersetzen - zumindest nicht was einen Mann betrifft. Ich will dir vertrauen. Eigentlich vertraue ich dir auch, nur wenn ich sehe, mit welchen Waffen Vivi kämpft... Du kannst so viele andere haben. Ich versteh nicht, warum du ausgerechnet mich willst."

"Hey!" Sein Ton hat eine gewisse Strenge. "Sag sowas nicht. Ich will gar keine andere! Ich will nur dich. Du bist die, die mich glücklich macht. Du musst aufhören alles so verbissen zu sehen. Ich werde dich niemals belügen; das verspreche ich dir hoch und heilig! Und dass ich dich nie wieder weinen sehen will, war auch mein Ernst. Du hast das schönste Lächeln der Welt und das liebe ich so."

Nach einer kurzen Pause fügt er grinsend hinzu: "Obwohl das schon niedlich ist, wenn du eifersüchtig bist." Jetzt muss auch ich lachen. "Ich liebe dich." Mehr fällt mir dazu nicht ein. Es ist so schön, sowas zu hören. Nie zuvor hab ich in der Nähe eines Menschen so viel Wärme gespürt wie bei Samu. Wie kann ich nur auf ihn sauer sein? Ich versteh wirklich nicht, was mit mir los ist.

Er beugt sich über den Tisch, bis seine Lippen kurz vor meinen stehen bleiben und ich seinen warmen Atem spüre. "Ich liebe dich auch." Er küsst mich mit einer Hingabe, die sagt "ich lass dich nie mehr gehen".

Als er sich wieder setzt, fangen wir an zu essen. Er hat mich damit wieder zum glücklichsten Menschen der Welt gemacht und ich schwöre mir hiermit, dass ich das nie wieder kaputt machen werde! "Ach, noch was.", sagt er fast beiläufig. "Als ich heut mit Mikko gesprochen hab und er mit seiner Standpauke durch war, hat er mich gebeten, dass... naja... dass wir uns überlegen sollen, ob wir das mit uns beiden nicht langsam öffentlich machen sollten." Völlig entgeistert sehe ich ihn an. Mit diesem Themenwechsel hab ich jetzt nicht gerechnet.

Er lenkt aber sofort ein: "Es hat keine Eile, aber vielleicht wäre es wirklich besser." Ich nicke und esse gedankenverloren auf. Das würde dann bedeuten, dass ich in der Öffentlichkeit stehe. Will ich das? Aber klar, das wusste ich ja schon vorher. Und Lennja? Mist, der müsste ich dann auch davon erzählen. Samu und ich müssen das mal in Ruhe klären, glaub ich.

Während wir nach dem Essen das Geschirr auf den Wagen zurückräumen, mit dem der Rommservice alles gebracht hat, schwänkt Samu zurück auf unser ursprüngliches Thema: "Eigentlich ist Vivi gar nicht so. Ich weiß nicht, was mit ihr los ist, dass sie so rumzickt..."

Ich unterbreche ihn, indem ich mich ganz nah vor ihn stelle, sodass unsere Bäuche sich berühren. Meine Arme verschränke ich hinter seinem Rücken und meinen Kopf lege ich in den Nacken, um ihn ansehen zu können. "Willst du jetzt wirklich wieder über Vivi reden?" Lüstern sehe ich ihn an. Er versteht sofort und beugt sich leicht nach unten, um mich zu küssen.

Seine Zunge streicht über meine Unterlippe und ich gewähre ihr Einlass. Seine Hände wandern bis zu meinem Po. Plötzlich dreht er uns um und ich liege unter ihm auf dem Bett.

Finnisch für AnfängerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt