97) Rebecca

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Als es dann  klingelt, laufe ich gleich los, um zu sehen, wer wohl der geheimnisvolle Besuch ist. Schon durch das Milchglas der Tür erkenne ich, dass es nur Rebecca sein kann. Ich reiße die Tür auf und falle ihr sofort in die Arme. Wir quietschen wie zwei vierzehnjährige Teenager und lassen uns gar nicht mehr los. Viel zu sehr hat sie mir gefehlt. Es geht eben nichts über die beste Freundin. "Wie geht's dir? Wie war der Flug? Ist Samu auch hier? Oh mein Gott, ich bin so aufgeregt, ihn kennen zu lernen.", Rebecca plappert los ohne mir auch nur die Möglichkeit zu geben zu antworten. Ich lache: "Er ist im Wohnzimmer. Beruhig dich mal." "Hoffentlich hat er das jetzt nicht gehört.", sie läuft knallrot an und legt sich eine Hand auf den Mund. "Zieh erstmal deine Jacke aus und dann quatschen wir in Ruhe."

Aus dem Wohnzimmer dringt ein Gemisch aus englisch und deutsch zu uns. Mein Vater spricht gut englisch, meine Mutter eher weniger und Emil ja noch gar nicht. Samu wirft auch immer mal wieder was auf deutsch ein. Die Verständigung klappt also eigentlich ganz gut. Ich nehme Rebecca die Jacke ab und hänge sie an die Garderobe. "So, komm", fordere ich sie auf. Ich grinse immer noch über das ganze Gesicht, weil ich mich so freue, dass sie da ist. "Warte, warte, warte.", sie atmet noch einmal tief durch, bevor sie mir ins Wohnzimmer folgt.

Im Gegensatz zu mir interessiert sie sich für diesen ganzen Promi-Klatsch und weiß meist ganz genau, was wo gerade los ist. Jetzt auf Samu zu treffen, ist für sie natürlich unglaublich aufregend und ich kann es ihr auch ehrlich gesagt nicht verdenken.

Zuerst begrüßt sie kurz meine Eltern bevor wir uns dann Samu nähern. Seinem Grinsen nach zu urteilen hat er sehr wohl gehört, was wir gerade draußen gesagt haben. Auch ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. Rebecca hingegen kriegt schon wieder einen roten Kopf. Er steht vom Sofa auf, um sich bei ihr vorzustellen. "Hi, ich bin Samu." Schüchtern nimmt sie seine Hand und stottert schon fast: "Hi... Rebecca." "Schön dich kennen zu lernen." Er hat das für ihn typische Lächeln im Gesicht, was sie, glaube ich, noch mehr verunsichert. "Setzt euch mal alle. Wir stoßen jetzt erstmal an.", löst meine Mutter die Situation dann auf. Sie verteilt den Sekt unter uns Mädels, die Männer haben ihr Bier und Emil bekommt ein Glas Saft.

Wir heben unsere Gläser. "Schön, dass ihr da seid.", sagt sie. "Samu, wie sagt ihr in Finnland?" "Kippis.", lacht er. Wir stoßen also mit einem Kippis an. Ich bemerke immer wieder, wie Rebecca Samu einfach nur anstarrt. Es ist echt zu lustig. Aber ich muss ihr das echt noch austreiben, ihn als Sänger von Sunrise Avenue zu sehen. Er ist mein Freund und ich wünsche mir, dass sich die beiden gut verstehen und ein normales Verhältnis zueinander haben. Aber für heute ist das erstmal noch ok.

Meine Mutter ist zwischenzeitlich schon wieder in die Küche verschwunden, aus der sie uns ein paar Minuten später  zum Essen ruft. Wir versammeln uns alle um den Esstisch und stoßen noch einmal an, bevor wir uns über das Essen her machen. Es gibt Rouladen, Klöße und Rotkraut. Das kann niemand besser als meine Mutter! Erst jetzt merke ich, wie mir das gute deutsche Essen gefehlt hat.

"Also, jetzt muss ich doch mal fragen", beginnt meine Mutter ein neues Gesprächsthema. Bevor sie weiter spricht, wischt sie sich mit ihrer Serviette den Mund ab. "Samu, du und deine Band, habt jetzt ein neues Album und deswegen macht ihr das Konzert, oder? Aber warum ist dann danach noch eine Party? Macht ihr das immer so?" Ich habe meine Mutter natürlich schon vorher grob darüber aufgeklärt, aber manchmal ist sie auch etwas weltfremd, was solche Dinge betrifft. Lachend übersetze ich Samu ihre Fragen auf Finnisch. Dieses Sprachenchaos ist ganz schön verwirrend, aber irgendwie klappt es ja doch.

"Ein neues Album ist doch ein Grund zu feiern oder nicht?", lacht er. "Es wird ja nur ein kleines Konzert und da wollen wir im Anschluss natürlich die Meinung der Fans zu den neuen Songs hören. Da ist das so natürlich eine gute Möglichkeit." Mein Vater übersetzt kurz vom Englischen ins Deutsche für meine Mutter und Emil. Der Abend zieht sich noch eine ganze Weile und wir reden über alles Mögliche. Ich genieße die vertraute Umgebung meines Zuhauses.

Als die Küchenuhr elf zeigt, verabschiedet sich Rebecca von uns. Wir haben uns aber schon für morgen zum Frühstück verabredet und haben dann endlich mal wieder ausgiebig Zeit für einander. "Wollen wir gleich mit raus gehen, unsere Sachen aus dem Auto holen?", frage ich Samu. Er stimmt zu und wir gehen schließlich raus. Vor der Tür umarme ich Becci noch einmal fest. "Ich freu mich schon auf morgen, Süße." "Ich hol dich ab. Pünktlich um 9 vor deiner Tür.", mahnt sie mich lachend. Auch Samu zieht sie zum Abschied in eine lockere Umarmung, was sie knallrot anlaufen lässt. Das sehe ich sogar in dem wenigen Licht, dass die Lampe vor unserem Haus her gibt, und muss grinsen.

Rebecca wohnt nur drei Häuser weiter. Unsere Eltern haben uns schon im Kindergarten beigebracht, dass wir den anderen auf seinem Nach-Hause-Weg solange beobachten sollen, bis er in der eigenen Haustür verschwunden ist. Damals galt das natürlich nur unserer Sicherheit, aber wir haben das bis heute für uns beibehalten. Auch heute sehe ich ihr nach, bis der Bewegungsmelder für die Lampe am Gartentor ihres Hauses verrät, dass sie angekommen ist.

Wieder drin rufen wir noch ein kurzes "Gute Nacht" ins Wohnzimmer und gehen dann nach oben. Meine Mutter hat mein Bett für uns frisch bezogen und auf den Nachttisch zwei Gläser und eine Flasche Wasser gestellt. So fürsorglich können auch nur Mütter sein. Samu sieht sich in meinem Kinderzimmer um und bleibt dann vor der Wand stehen, an die ich viele gerahmte Fotos gehangen habe. Grinsend deutet er auf eins, auf dem ich schätzungsweise 13 oder 14 bin und mit Becci in die Kamera pose. "Was ist denn das?", lacht er. "Jaja, ich war auch mal jung. Bei mir ist das auch noch nicht so lange her wie bei dir.", stecke ich ihm die Zunge raus. "Hey, das ist fies! Aber wenigstens gibt es von mir nicht solche Bilder.", protestiert er grinsend. "Sicher? Soll ich mal Tante Google fragen? Da finde ich mit Sicherheit auch ein paar schöne Exemplare von dir." Wenn er anfängt zu stänkern, dann muss er mit dem Echo leben. "Ok, ok", er hebt abwehrend die Hände. "Ich gebe mich geschlagen, du hast gewonnen." Lachend zieht er mich in seine Arme.

Er legt seinen Kopf auf meinem ab und sagt verträumt: "Ich mag deine Familie. Deine Mama ist süß. Sie würde sich bestimmt gut mit meiner verstehen." Das läuft ja hier alles wie am Schnürchen. Es ist so schön, das zu hören.


Finnisch für AnfängerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt