Finnisch für Anfänger

78) DAS Interview

Samu greift nach seinem Handy, als es klingelt und nimmt den Anruf entgegen: "Mikko, wir sind schon fast unten." Er hatte auf dem Bildschirm gelesen, dass Mikko es war und gar nicht erst ein Wort von ihm abgewartet. "Los, er steht schon unten. Wenn er anruft, um mich zu erinnern, ist seine Schmerzgrenze im Warten fast erreicht." Grinsend Zieht er mich an der Hand vom Sofa und zieht mich hinter sich her durch's Treppenhaus.

Mikkos Mercedes steht tatsächlich schon mit laufendem Motor vor der Tür. Samu öffnet mir die hintere Tür des Wagens und setzt sich anschließend vor mich auf den Beifahrersitz, wo er seinen Freund mit einem Handschlag begrüßt. Mikko dreht sich auch kurz zu mir um, um mir umständlich ein Küsschen zur Begrüßung auf die Wange zu drücken. Dann wendet er sich wieder Samu zu: "Um 11 hatten wir gesagt, Samu - nicht 5 nach." Ich habe noch nie jemanden erlebt, der so viel Wert auf Pünktlichkeit legt. Aber das ist wahrscheinlich auch nötig. Samu vertrödelt gerne mal die Zeit und ich glaube, auch die anderen Jungs nehmen das nicht so genau.

Während der Fahrt bin ich komischerweise total entspannt und lausche den beiden beim Fachsimpeln über die diesjährige Eishockeysaison. Nun kann ich es eh nicht mehr ändern. Das Interview wird statt finden und ich kriege meinen Kopf eh nicht mehr aus der Schlinge - obwohl diese Metapher wahrscheinlich zu hart für die aktuelle Situation ist. 

Wir kommen an einem hohen, verglasten Gebäude mitten im Zentrum von Helsinki an. Hier sieht es genauso aus, wie man es aus amerikanischen Filmen kennt: Hochhäuser, alles super Modern und überall laufen sehr geschäftlich aussehende Frauen und Männer mit Telefon am Ohr. Ich bin beeindruckt.

Samu öffnet wieder meine Tür und reißt mich damit aus meinen Gedanken. "Kommst du?" Ich greife nach seiner Hand, die er mir hin hält und steige aus dem Auto. Hand in Hand und Mikko folgend betreten wir das imposante Gebäude. Am Empfang bleiben wir stehen und Mikko spricht auf Englisch mit der Dame dahinter. Dass auch das Interview auf Englisch stattfinden wird, hat Samu mir erzählt. Es handelt sich hier wohl um eine internationale Internetshow, die in vielen europäischen Ländern Büros hat.

Als er sich alles erklären lassen hat, wendet er sich wieder Samu und mir zu. "Wir werden gleich abgeholt.", fasst er das Gespräch kurz zusammen. Zwei Minuten später steht tatsächlich ein junger Mann mit Brille und lässig gekrempelten Hemdärmeln vor uns und bittet uns, ihm zu folgen. Er führt uns in den Fahrstuhl und wir fahren bis in die 5. Etage. Unterwegs erklärt er uns, dass schon alles für uns bereit wäre und der Reporter schon auf uns warten würde. Ich bemerke, dass er mich immer wieder mustert. Anni, ganz ruhig, er weiß sicher, dass es in dem Interview mehr oder weniger um mich gehen wird... Da macht man sich halt ein Bild dazu. Das ist doch ganz natürlich.

Als uns das leise "pling" des Fahrstuhls signalisiert, dass wir angekommen sind, steigt in mir doch wieder Nervosität auf. Ich greife nach Samus Hand, um mir dort die nötige Sicherheit zu holen. Bevor wir endgültig den vorbereiteten Raum betreten, sieht er mir tief in die Augen: "Ich mach alles so wie besprochen und es wird keine Fotos geben." Um dieses Versprechen zu besiegeln, gibt er mir noch einen liebevollen Kuss. 

Der Reporter empfängt uns herzlich. Er reicht zuerst Samu, dann mir und schließlich Mikko die Hand. Ich halte mich an letzteren und setze mich auf einen der beiden Sessel, die am Rande des Raumes stehen. Samu nimmt gegenüber dem Interviewer Platz. Sie sitzen in einer Art Mini-Fernsehstudio und von 3 verschiedenen Seiten sind Kameras auf sie gerichtet. Mikko beobachtet alles sehr professionell und ohne eine Miene zu verziehen. Er verfolgt jedes gesprochene Wort sehr genau. Ich kann dem ganzen Gespräch nur bruchstückchenhaft folgen, ich bin einfach zu nervös. Ab und zu verstehe ich nur mal "girlfriend" oder meinen Namen. Ich bin so damit beschäftigt mein Gedankenchaos zu sortieren, dass ich gar nicht bemerke, wie schnell das Gespräch eigentlich vorbei geht. 

Erst als die beiden vor der Kamera zu einer Verabschiedung ansetzen, komme ich von meinen Gedanken los und kann mich wieder auf das Geschehen konzentrieren. Nachdem alles vorbei ist, kommt Samu wieder zu uns. Mikko klopft ihm freundschaftlich auf die Schulter und sagt etwas sehr schnell und undeutlich auf Finnisch, dass ich nicht verstehen kann, aber durchaus positiv klingt. Scheint, als wenn alles gut gelaufen ist. Er nimmt meine Hand und wir rufen alle noch einen Abschiedsgruß in den Raum, bevor wir gehen. Eine halbe Stunde später sitzen wir schon wieder in Mikkos Mercedes und sind auf dem Rückweg.

Still lausche ich wieder dem Gespräch der beiden Männer und meine Aufregung ist fast wieder ganz verschwunden, als der Wagen vor Samus Haus hält. Wir verabschieden uns bei Mikko und wechseln gleich in Samus BMW, da die Band ja gleich noch im Tonstudio verabredet ist. Jetzt ist Beeilung angesagt. 

Er startet den Motor und fährt los. "Alles gut?", fragt er und sieht mich dabei kurz von der Seite an, bevor er sich wieder dem Geschehen auf der Straße zuwendet. "Jetzt ja.", lächle ich. Ich beobachte sein Profil als er weiter spricht: "Übermorgen können wir uns das Interview auf deren Internetseite angucken... Da geht es online." Ich nicke, auch wenn er es nicht sehen kann. "Wieso gab es denn eigentlich keine Maske oder so etwas? Ist das bei solchen Aufnahmen nicht so?" Das ist mir auf der Rückfahrt schon aufgefallen. Allgemein ging dieser Termin relativ schnell von statten.

"Sie wollten unbedingt dieses Interview mit mir führen. Mikko hat ihnen als Ultimatum gesetzt, dass alles so schnell wie möglich gemacht werden muss. Das neue Album wartet ja schließlich noch. Und weil ich unbedingt Inhalt der nächsten Sendung sein sollte, musste das alles heute sein. Außerdem... Wozu brauch ich denn Make Up?" Spitzbübisch grinst er mich von der Seite an.

Mit ausgelassener Stimmung kommen wir im Tonstudio an, wo die Aufnahmen schon in vollem Gange sind.