94) Schlimmer geht immer

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Irgendwann später schaffe ich es dann doch fast einzuschlafen, bis die Tür auf geht und das Licht vom Flur ins Schlafzimmer scheint. Ich stelle mich schlafend und hoffe, dass Samu sich jetzt einfach zu mir legt. Er geht ganz leise um's Bett, aber nicht um sich rein zulegen. Er nimmt sein Kissen und seine Decke und geht wieder. Ohne dass ich es will, verletzt mich das fast noch mehr, als dass er mich angeschrien hat. Als ob ich ihm was getan hätte! Ich fange wieder an zu weinen und weiß gar nicht wohin mit meinen Gefühlen. Ich bin wütend auf ihn, weil er mich so ungerecht behandelt. Ich kann doch für das Ganze gar nichts! Ich habe diesem Typen gesagt, dass er gehen soll und dass ich mit meinem Freund da bin! Auf der anderen Seite fühle ich mich total hilflos und bräuchte nach dieser unschönen Erfahrung eigentlich seine Schulter zum Anlehnen. Ich wurde schließlich bedrängt!

Durch sein Verhalten grade könnte ich Eifersucht als Grund sehen. Ich habe mit einem anderen Mann gesprochen, der mich auch noch angefasst hat. Aber das passt überhaupt nicht zu ihm, das ist gar nicht seine Art! Und außerdem, so wie Samu mit ihm gesprochen hat, kannten die sich hundertprozentig schon vorher. Was ist denn dort vorgefallen, dass Samu so ausrastet? Irgendwann kann ich dann doch einschlafen, Antworten finde ich ja sowieso nicht.

Am nächsten Morgen bin ich auch schon zeitig wach. Samus Bettseite ist immer noch leer. Traurig stehe ich auf und sehe ihn schon in Sportsachen im Flur stehen. "Wo willst du hin?", frage ich ihn, nachdem ich ihn einen kurzen Moment beobachtet habe. Er sieht mich nicht mal an und antwortet trocken: "Weg." "Man Samu, können wir denn nicht einfach drüber reden?" Aber bevor ich den Satz zu Ende gesprochen habe, zieht er schon die Tür hinter sich ins Schloss und ist verschwunden. Wieder bahnen sich Tränen den Weg über mein Gesicht. War's das jetzt? Ich will gar nicht dran denken. Ich kann doch nicht ohne ihn sein!

Ich schleppe mich erstmal ins Bad um zu duschen. Ich sehe wirklich furchtbar aus nach der vergangenen Nacht. Irgendwie schaffe ich es dann doch mich halbwegs herzurichten. Im Schlafzimmer zieh ich mir eine Leggins und einen von Samus Hoodies an. Ich brauche seine Nähe, so hab ich wenigstens seinen Geruch um mich. Ich sitze auf dem Sofa und verfalle wieder meinen Gedanken, bis mein Handy den Benachrichtigungston spielt.

Es zeigt eine neue Facebook-Nachricht an. Ich klicke drauf und auf dem Profilbild kann ich den Typen von gestern Abend erkennen. Janne Kärkkäinen ist sein Name. 'Hallo schöne Frau', schreibt er. Kann der mich nicht einfach in Ruhe lassen? In mir steigt Panik auf. 'Hast du heute Lust auf einen Drink?', ploppt gleich die nächste Nachricht auf. 'Warum antwortest du nicht?'

Eine Nachricht folgt der nächsten. Panisch blockiere ich ihn. Ich will das nicht! Und wo ist nur Samu? Hoffentlich baut er keinen Mist. Rastlos laufe ich im Wohnzimmer auf und ab und sehe immer wieder aus dem Fenster. Ich habe das dumme Gefühl beobachtet zu werden. Dann endlich öffnet sich die Wohnungstür und Samu betritt völlig verschwitzt den Flur. "Samu", ich bin so erleichtert, dass er endlich wieder da ist und scheinbar wirklich nur laufen war. "Ich geh duschen." Und schon wieder war er einfach weg. Ich bin so verzweifelt, ich weiß überhaupt nicht wohin mit mir. Zusätzlich hab ich jetzt auch noch Angst vor diesem Typen und davor dass es das jetzt mit mir und Samu war. Zusammengekauert sitze ich auf der Couch und weine einfach nur.

"Warum heulst du jetzt?" Samu ist aus dem Bad zurück und spricht mit einer Gleichgültigkeit zu mir, die mich richtig erschreckt und alles noch schlimmer macht. "Ist das jetzt grade dein Ernst?", seine Äußerung macht mich richtig wütend. "Du beachtest mich gar nicht erst, schläfst auf dem Sofa, hast irgendein scheiß Problem, das du mir nicht sagst... ich hab einfach nur Angst, kannst du das nicht verstehen? Und als wenn das nicht schon reichen würde, schreibt mir dieser Mistkerl auch noch bei Facebook!" Bei meinem letzten Satz spannt sich sein ganzer Körper an und er ballt die Hände zur Faust. "Ich... ach...", dabei fährt er sich mit der Hand durch die blonden Haare und geht wieder auf den Balkon zum Rauchen. Immer haut er ab!

Wütend laufe ich ihm hinterher und reiße die Tür auf. "Willst du überhaupt noch, dass ich hier bin? Oder soll ich lieber gehen?" Ich schreie ihn an und es ist mir egal, ob uns jemand hören kann. Er dreht sich nicht mal zu mir um, sondern bleibt einfach an's Geländer gelehnt stehen und zieht an seiner Zigarette. Keine Antwort ist auch eine Antwort.

Gut, dass ich meine Wohnung noch habe, dahin gehe ich nämlich jetzt zurück. Schluchzend schmeiße ich alle meine Klamotten aus dem Schrank in eine Tasche und glaube nicht, dass ich das wirklich tue. Eigentlich will ich doch nur bei ihm sein. Aber nicht wenn er so ist...

Vor lauter Tränen sehe ich kaum noch etwas und merke in meinem Wahn überhaupt nicht, dass er in der Schlafzimmertür steht. "Anni...", sein Ton ist deutlich ruhiger geworden, trotzdem fahre ich ihn an: "Was?! Ach ja, hier dein Schlüssel." Ich greife ihn mir von der Kommode und werfe ihn direkt vor seine Füße. Er muss hart schlucken. Scheinbar hat er den Ernst der Lage jetzt endlich verstanden.

"Du redest nicht mit mir, was soll das dann?", fahre ich einfach fort und packe weiter meine Sachen. Er nimmt mir die Hose, die ich gerade einpacken will aus der Hand. "Lass uns jetzt reden.", bittet er mich fast schon kleinlaut. "Ach, jetzt können wir reden? Ich... ich muss hier raus." Ich stürme an ihm vorbei, schnappe mir noch Jacke und Schuhe und ziehe die Tür hinter mir zu. Ich ertrage das nicht. Obwohl ich nichts lieber täte, als mich in seine Arme zu legen, ertrage ich seine Nähe gerade nicht. Er hat mich einfach zu sehr verletzt. Schniefend laufe ich einfach nur die Straße entlang. Immer noch habe ich das komische Gefühl beobachtet zu werden. Ich laufe schneller, immer geradeaus, einfach nur weg. Vielleicht sollte ich auch einfach zurück nach Deutschland gehen...

Plötzlich höre ich Schritte hinter mir, sie werden immer lauter und kommen näher. Ich blicke kurz hinter mich und erkenne diesen Janne. Nein, das jetzt nicht auch noch. Warum ist denn hier sonst niemand? Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen. Ich fange an zu rennen. "Jetzt warte doch!", ruft er mir hinterher. Ich weine immer mehr und habe richtig Angst. "Samu wird dir weh tun. Das verspreche ich dir! Das hat er bisher mit jeder getan." Was will der von mir? Ich renne immer schneller und schneller. Immer noch kann ich nirgends jemanden sehen. Ich bin ganz alleine mit diesem Verrückten.

Dann höre ich aber seine Schritte nicht mehr hinter mir und wage einen Blick. Tatsächlich ist er nicht mehr da. Trotzdem renne ich immer weiter, bis ich schlussendlich wieder bei unserer Wohnung ankomme. Scheiße, ich hab keinen Schlüssel mehr, den habe ich Samu vorhin vor die Füße geschmissen. Heulend lasse ich mich an der Wand herunterrutschen und bleibe einfach sitzen. Was will ich denn eigentlich noch hier? Ich weiß gar nicht, wieso ich hierher zurück gekommen bin. Es war alles viel zu schön um wahr zu sein. Das konnte doch nur schief gehen! Wie kann man nur so naiv sein?! Ich bin so wütend auf mich selbst und kalt ist es außerdem.

Ich weiß gar nicht, wie viel Zeit vergeht, bis Samu aus der Haustür kommt. "Anni, Gott sei Dank bist du hier. Bitte komm mit nach oben. Es ist viel zu kalt hier. Lass mich dir alles erklären." Er klingt wirklich besorgt und hilflos. Als ich keine Anstalten mache aufzustehen, nimmt er mich kurzerhand auf den Arm und trägt mich nach oben. Ich fühle mich so leer.  Oben legt er mich ins Bett und wickelt mich in die Bettdecke, um mich aufzuwärmen. Er setzt sich wortlos neben mich und streichelt mir immer wieder über den Kopf. "Er hat mich verfolgt.", sage ich emotionslos und mir rollen wieder die Tränen über's Gesicht. "Wer? Janne? Dieses Arschloch. Den pack ich mir!" Er ist schon wieder wütend und steht auf. "Bitte bleib bei mir.", sage ich, bevor er los laufen kann. Er zögert kurz, setzt sich dann aber doch wieder. "Ist alles in Ordnung? Hat er dir was getan?" Auf einmal ist er wieder wie immer und sorgt sich um mich. "Kannst du dich bitte einfach zu mir legen?" Ich hab jetzt keine Lust zu reden. Gerade ist er wieder normal und diesen Zustand möchte ich nicht ändern.

Er legt sich von hinten an mich und vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren. Ich genieße seine Nähe und habe Angst, dass wir das letzte Mal so da liegen. Er hat mich so enttäuscht und alleine gelassen, als ich ihn am nötigsten gebraucht habe.

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