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Mit böser Miene blickte ich den jungen Mann vor mir an.
"Pass doch auf" murmelte ich.

"Hey, ich hab nicht's falsch gemacht, das warst du." Er hob abwehrend die Hände und ich musste peinlich berührt feststellen, dass es wirklich ich war, die den falschen Schritt gemacht hatte.
Mit rot angelaufenem Kopf schaute ich Kai an, der sich immernoch über mich amüsierte, bis wir es noch ein mal versuchten und jetzt funktionierte es auch. Wir hatten den passenden Takt gefunden und studierten nun die Schrittfolge ein.
Während ich anfangs noch Probleme hatte und mit der Zunge zwischen den Zähnen auf meine Füße starrte, war Kai wohl ein echtes Naturtalent.

"Also Alea, wie alt bist du?" versuchte mein Gegenüber ein Gespräch einzufädeln.

"Achtzehn und du?" hakte ich höflich nach.

"Zwanzig" lächelte er mich an.

"Und kommst du von hier?" fragte er weiter.

Ich wusste ehrlich nicht, warum ich einfach so mit ihm reden konnte, schließlich hatte ich Vier Jahre den Kontakt zu anderen verabscheut und wurde entäuscht, als ich es zu gelassen hatte. Aber irgendwie konnte mich Kai mit seiner Art positiv beeinflussen, auch wenn wir uns noch nicht kannten.

"Ja, ich wurde hier in Köln geboren, aber wir sind schon bald nach meiner Geburt umgezogen, wegen der Arbeit meines Vaters. Aber als-" ich stockte und schluckte hart. In den vergangenen Jahren hatte ich es noch nie so dirket angesprochen und war auch noch nicht bereit dazu.
"Aufjedenfall sind wir vor Vier Jahren wieder zurück gezogen und du?" interessiert schaute ich nach oben zu ihm.

"Naja, ich komme eigentlich aus Aachen, aber wohne jetzt in Leverkusen" er zuckte belanglos mit den Schultern.
"Der Arbeit wegen" fügte er hinzu, noch bevor ich fragen konnte.
Damit war das Thema für ihn abgeschlossen und er konzentrierte sich auf den Tanz, der mittlerweile ziemlich anstrengend wurde.

"Trinkpause" Frau Stiefler klatschte in die Hände und alle bewegten sich auf den Tisch zu. Wir schnappten uns eine Flasche und lehnten uns erschöpft an die Wand an.

"Wie kam es eigentlich dazu, dass wir jetzt miteinander tanzen?" Mit den Händen in der Bauchtasche seines Hoodies, sah mich Kai an.
Ich lachte ironisch auf und begann zu erzählen.

"Meine Mutter hatte mich und meinen Freund hier angemeldet, da wir auf der Hochzeit meiner Tante als Vorzeigepaar tanzen sollten. Naja, er hat vor einer Woche Schluss gemacht, aber meine Mutter bestand darauf, dass ich den Kurs trotzdem machen musste."
So viele ehrliche Worte kamen mir schon lange nicht mehr, so einfach, über die Lippen.

"Geteiltes Leid ist halbes Leid" erwiderte er nur, weshalb ich ihn irritiert anblickte.

"Meine Freundin hat auch vor einigen Tagen Schluss gemacht, warum auch immer. Sie wollte unbedingt Tanzen lernen, jetzt tu ich es eben, mit dir" traurig lächelnd streckte er mir seine Hand entgegen, die ich annahm.

Die nächste Stunde verbrachten wir konzentriert, um die wirklich schweren Schritte umsetzten zu können. Es redete immer mal wieder jemand, aber es fühlte sich nicht schlecht an. Es war so ungezwungen und irgendwie angenehm, sich mit Kai zu unterhalten. Er blieb so bodenständig, war nicht aufdringlich, am Ende kam ich zum Schluss, dass ich ihn wirklich nett fand.

"Also werden wir die nächsten Acht Stunden überleben?" grinsend hielt er mir die Tür auf. Nachdem Frau Stiefler die Stunde beendet hatte, stürmten alle auf den Ausgang zu, worauf wir ebenfalls zu steuerten.

"Ich glaube schon. Bis nächste Woche." sagte ich.

Unsere Wege trennten sich an den Umkleiden, wo ich bloß meine Tasche schnappte und die Tanzschule verließ.
Draußen war es dunkel geworden, fröstelnd zog ich den Pulli enger um mich und suchte nach meinem Handy, um meine Mutter anzurufen, dass sie mich abholen sollte.

"Verdammt" fluchte ich, nachdem ich den Knopf betätigte, sich aber nichts regte.

"Alles klar?" Die Stimme hinter mir ließ mich zusammen zucken. Kai hatte sich auf leisen Sohlen angeschlichen und wohl meinen kurzen Wutausbruch gemerkt.

Genervt schüttelte ich den Kopf "Akku leer. Sollte eigentlich meiner Mutter bescheid geben, damit sie mich abholt"

Kai's Mund formte ein O, bevor er anfing zu sprechen "Ich kann dich auch fahren, wenn es dir nichts ausmacht."

"Ich will dir keine Umstände machen" lehnte ich ab.

"Nein, nein, ich habe sowieso nichts zu tun und wenn ich dich hier stehen lassen würde, im Dunkeln, hätte ich später ein schlechtes Gewissen."

Da mir im Moment einfach nur kalt war, stimmte ich zu und folgte Kai zu seinem Auto.
Ich staunte nicht schlecht, als wir vor einem sündhaft teuer aussehenden Sportwagen stehen blieben.
Mein Mund klappte auf und wieder zu, während Kai die riesige Sporttasche im Kofferraum verstaute und dann einstieg, als wäre es selbstverständlich, das ein Zwanzig Jähriger so ein Auto fuhr.
Perplex ließ ich mich in den tiefen Sitz fallen und sog den Duft nach Leder ein, es roch noch ganz neu.

Als ich meine Sprache wieder gefunden hatte, kam ich auf seine Sporttasche zurück.
"Du hast aber keine Leiche in der Tasche versteckt, oder?" grinsend blickte ich zu Kai, der anfing zu lachen.

"Was denkst du von mir?" empört löste er den Blick von der Straße und schaute mich lachend an.

"Hatte noch Training vorhin, deshalb die Tasche" erklärte er nun.

"Warte. Du hast davor noch trainiert und dann noch Eineinhalb Stunden getanzt?" stammelte ich ergriffen.

"Korrekt" erwiderte er bloß.

"Man und ich dachte, ich wäre endlich mal sportlich, danke, dass du mir das Gefühl genommen hast." Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und schaute ihn mit meinem besten Pokerface an.

"Ich habe dir nur eine Antwort gegeben" konterte er.
"Aber wenn du etwas für deine Ausdauer tun willst, ich kenne mich ganz gut im Bettsport aus." schelmisch grinsend warf er mir einen Blick zu.

Meine Kinnlade klappte nach unten und noch im selben Moment fand meine Hand den Weg zu seinem Arm und schlug zu. Nicht fest, einfach nur um meiner Miene Ausdruck zu verleihen.

"Niemals" empört ließ ich mich zurück in den Sitz fallen, musste jedoch ein Lachen unterdrücken.
Kai hatte sich inzwischen auch wieder beruhigt, nachdem er sich, über seine Worte, selbst gefeiert hatte.

"Weißt du was mir gefällt?" Interessiert, was jetzt kommen würde, schüttelte ich den Kopf.
"Dass wir innerhalb von Zwei Stunden, von 'muss ich die nächsten Acht Wochen mit dir tanzen', zu 'die nächsten Acht Wochen werden gar nicht so schlimm werden' gekommen sind." beendete er den Satz.

Und da lag er gar nicht mal falsch, ich war zwar auch überrascht, dass wir uns auf anhieb so gut verstanden hatten, aber das war nicht schlecht. Ganz im Gegenteil, wir würden die anstehenden Tanzstunden bestimmt gut meistern.
Gemeinsam.

Dancing with a stranger -Kai Havertz Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt