(34) Missverständniss

130 12 22
                                    

Astrid

Das Wasser begann plötzlich sehr hell zu leuchten und dann schossen bestimmt hunderte Funken durch die Wasseroberfläche an die Luft.
Jeder davon zischte, leuchtete noch heller und fing an, wie ein Miniatur-Schneller Stachel kreuz und quer übers Wasser du rasen, sobald er wieder auf der kalten Flüssigkeit aufkam.
Dazu kam noch ein Geräusch wie von hundert zischelnden Schlangen.
Innerhalb weniger Sekunden hatten sich die Funken auch auf den Strand ausgebreitet.
Die menschlichen Übeltäter konnten sich mit knapper Not auf ihre Drachen flüchten und sich in der Luft in Sicherheit bringen, doch für Moira, die am dichtesten an der Glasflasche gestanden hatte, sah es nicht so gut aus.

Sie hatte im Moment aber allem Anschein nach Wichtigeres zu tun, als den winzigen Geschossen auszuweichen. So ignorierte sie diese und sprintete zu ihrer auf dem Boden liegenden Tasche. Kaum hatte sie das Lederobjekt in ihrer Hand, packte ihre geschuppte Freundin sie und setzte sie auf dem Felsen, wo vorhin noch Sturmpfeil gehockt hatte, ab.
Dort stieg das Mädchen wieder auf ihren Drachen auf und flog zu uns zurück.
„Jetzt wisst ihr, weshalb ihr verdammt nochmal eure Finger von meinen Sachen lassen solltet.", meinte sie trocken in Richtung Taffnuss.
Der Thorston schien auf einmal einen äußerst interessanten Fleck auf seiner Weste gefunden zu haben.

„Wie konnte das überhaupt passieren?"
Raff fühlte sich unter meinem Blick ungefähr genauso wohl wie ihr Bruder. Also gar nicht.
„Wir haben... Ähm... FischbeindieTaschestibitztundsiedannmitdemProviantbeutelvertauscht.", ratterte sie schließlich runter, ohne einmal Luft zu holen.
Jetzt war ich verwirrt.
„Warum hattest du Moiras Tasche?"
„Weil... Weil..." Er hörte auf, an seinen Fingernägeln herumzuspielen, atmete nochmal ein und aus und fuhr dann etwas entspannter fort.
„Ich sollte auf sie aufpassen, hat Moira gesagt."
Vermutlich konnte er das riesige blinkende Fragezeichen über meinem Kopf sehen, denn er fügte schnell noch: „Also, nachdem sie sie mir gegeben hat. Bei den Drachenjägern vorhin. Du hattest Hicks gerade gewarnt, da kam sie auf mich zugeflogen und hat mir die Tasche in die Hand gedrückt."
„Ja, und dann hat Fischbein sie gefragt, was sie vorhat."
„Jep, aber vorher hat er vor Schreck fast die Tasche fallen lassen."
„Moira sagte jedenfalls, dass sie euch helfen will."
„Aber dann sollte Ohnezahn uns wegschicken, also haben wir ein bisschen Zeitschinderei betrieben."
„Das war Zwillingserleuchtung!"
Die Zwillinge schlugen ihre Köpfe zusammen, bevor sie fortfuhren.
„Während du so geguckt hast, als hätten wir komplett den Verstand verloren -was rein theoretisch wahrscheinlich gar nicht möglich ist, da nur ich einen Verstand besitze, Raff ihren also gar nicht verlieren kann-"
„Hey!"
„... hat sich unsere Komplizin aus dem Staub gemacht. Also, nicht wirklich, natürlich. Aber so konnte Ohnezahn sie nicht wegschicken!"
Stolz beendete Taff seinen Monolog.
Zugegeben, Sinn ergab das schon.
Moira und Nachtblitz waren schließlich irgendwie unsichtbar geworden, da hätte eine scheinbar in der Luft schwebende Tasche für Verwirrung gesorgt.
Ich tat einfach so, als hätte ich den Teil mit ›so geguckt hast, als hätten...‹ nicht gehört.
„Ihr wusstet also alle davon?"
„Ja..."
„Ja!"
„Was? Nein?"
„Wovon sollten wir was gewusst haben?"
Dreimal dürft ihr raten, aus welchen Mündern die letzten zwei Antworten stammten.

„Rotzbakke, wenn du wusstest, was in der Tasche-"
„Hohlkopf, Astrid meinte was ganz anderes!"
Das war der Beginn einer sehr langen und sehr lauten Diskussion zwischen den Thorstons und dem Jorgenson.
Aus denen würde ich vermutlich niemals schlau werden...
„Und so, wie es aussieht, hat es tatsächlich funktioniert.", murmelte Fischbein mehr zu sich selbst.
Hicks schnaubte leise.
„Aber auch nur zur Hälfte."
Mit großen Augen sah der Gronkelreiter zu mir.
„Aber ihr seid doch jetzt hier..."
Ich nickte leicht.
„Das war die Hälfte, die funktioniert hat."
„Und welche hat dann nicht funktioniert?"
„Die, dass Ohnezahn sie nicht wegschickt."
Fischbeins Blick schnellte zwischen Hicks und mir hin und her.
„Habt ihr euch dann alleine befreit?"
„Zum Teil schon... Aber ohne Moira wären wir vermutlich nicht weit gekommen."
Jetzt war Fischbein derjenige, der nichts  mehr verstand.
„Wenn Ohnezahn sie weggeschickt hat, wie konnte sie euch dann helfen?"
Seine Augen wurden noch größer.
„Es sei denn, sie hat sich dem Alpha widersetzt, ist somit nicht weggeflogen und-"
Wahrscheinlich erwartete er von uns Widerspruch, doch der kam nicht. Schließlich hatte er den Nagel so ziemlich auf den Kopf getroffen.
„Sie... sie... s-sie h-hat s-sich w-wirklich d-d-dem A-Alpha w-w-w-widersetzt?", stotterte er dann.
Ich war kurz davor zu nicken, als Moira sich zu Wort meldete. Ich hatte ganz vergessen, dass sie die ganze Zeit über neben uns flog.
„Niemand widersetzt sich dem Alpha. Wenigstens in diesem Punkt hatte Enar recht."
Fischbein war nicht mehr der einzige, der überrascht und verwirrt war.

„Habt ihr allen Ernstes gedacht, Nachtblitz hätte sich Ohnezahn widersetzt?"
Sie schüttelte den Kopf.
„Wir haben auf ihn gehört. Deshalb sind wir auch weggeflogen."
„Ihr seid direkt danach wiedergekommen."
„Er hat nicht gesagt, wie weit wir wegfliegen sollen oder für wie lange."
Das machte irgendwie Sinn.
„Ich habe mich schon gefragt, weshalb Ohnezahn so ruhig geblieben ist."
„Nachtblitz hatte allerdings erst vor, ihn tatsächlich zu ignorieren."
Die genannte Persönlichkeit verdrehte die Augen.
„Es hat eine Weile gedauert, bis ich sie überzeugt hatte, es nicht auf einen Kampf mit deinem Drachen ankommen zu lassen."
Moira bedachte die Drachendame mit einem vielsagenden Blick.

„Was war das eigentlich für Zeug? Du weißt schon, diese Teile, die vorhin über das Wasser gezischt sind."
Taffnuss schaffte es tatsächlich, den ungeschicktesten Themenwechsel des Jahres hinzulegen.
„Du meinst das, was eigentlich noch in meiner Tasche sein sollte?"
Halb rechnete ich damit, Taffnuss in Kürze aus dem Meer fischen zu können.
„Ich schwöre auch, nie wieder meine Nase in deine Sachen zu stecken! Thorston-Ehrenwort!"
Er sah auffordernd zu seiner Schwester.
„Was ist? Habe ich was im Gesicht? Warum guckst du so?"
Um seiner Geste etwas mehr Nachdruck zu verleihen, hob Taff seine Hände.
„Ach so. Na gut. Thorston-Schwur genehmigt. Aber jetzt erwarte bloß nicht, dass ich das auch mache!"
Keine Minute später hatte dann auch Raffnuss den Thorston-Schwur abgelegt.
Ich bezweifelte dennoch stark, dass die Beiden sich länger als eine Woche daran halten würden.
Moiras skeptischer Blick spiegelte auch ihre Zweifel wieder.
Sie gab trotzdem nach.
„Ehrlich gesagt weiß ich das selbst nicht. Ich habe es mal gefunden. Sie sind ganz praktisch, wenn man sie richtig anwendet. Anders als sonstige Materialien entzündet sich dieses Zeug, sobald es mit Wasser in Berührung kommt."
Augenblicklich hatte sie die ungeteilte Aufmerksamkeit der Zwillinge und Fischbein.
„Ein Stoff, der sich erst mit der Berührung von Wasser entzündet... Stellt euch doch mal vor, was man daraus alles machen könnte!"
„So viele geniale Streichideen hatte ich schon seit gestern nicht mehr!"
„Das meinte ich eigentlich nicht..."
Aber das war den Geschwistern egal.
„Man könnte es Astrid in die Schuhe tun und sie dann mit Wasserbomben bewerfen!"
In euren Träumen.
„Dann könnte es sein, dass mir ganz aus Versehen die Axt ausrutscht. Überlegt euch also gut, ob ihr euch wirklich schon von eurem Eigentum trennen wollt."
So wie es aussah, konnte ich wirklich bald mit meinen Blicken töten.
Schnell korrigierte Raffnuss: „Oder Fischbein. Oder Rotzbakke. Hey, lass es uns bei Rotzbakke probieren! Bei ihm macht das immer mit am meisten Spaß!"
„Ihr überseht da etwas."
Moira hatte einen nicht weniger drohenden Blick als ich aufgesetzt und auch ihre Tonlage war ein paar Ticken schärfer als meine.
„Dazu müsstet ihr an meine Tasche."
„Das ist durchaus ein triftiges Argument... Das lassen wir wohl lieber..."
Taff schniefte demonstrativ.
„Ade, oh du schöner Streich... vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder..."
Seine Schwester verdrehte mit verschränkten Armen die Augen.

„Moira, dürfen wir dem Zeug denn bitte wenigstens einen Namen geben?"
„Oh ja, ich hätte auch schon eine Idee!"
„Wie wäre es mit ›kleine Teile, die wie Riesenhafte Albträume übers Wasser rennen‹?"
Taff kassierte von seiner Schwester einen Schlag gegen den Oberarm.
„Riesenhafte Albträume laufen nicht über Wasser! Ich dachte eher an ›wasserbrennende Kieselsteinchen‹"
„Was ist mit ›Wasserblitzer‹?", meldete sich auch Rotzbakke zu Wort.
„Das trifft es ganz gut..."
„Ja, den nehmen wir."
„Hey, das ist nicht allein deine Entscheidung!"
„Warum denn nicht? Ich bin doch älter als du!"
„Wir sind Zwillinge! Keiner von uns ist älter als der Andere!"
„Mir doch egal!"
„Aber du kannst nicht einfach..."
So ging das immer weiter. Sogar, als Hicks das Kommando zum Abflug gab.
Und auf dem gesamten Weg zur nächsten Insel, auf der wir tagsüber schlafen würden.

Als wir diese dann endlich erreichten, war der Vollmond schon fast gänzlich vom Himmel verschwunden.
„Die Wildschweingrube war meine Idee!"
„Das stimmt überhaupt nicht! Die Idee hatte ich!"
„Lügner!"
Das war der Moment, in dem mein Geduldsfaden riss.
„IHR HALTET JETZT BEIDE ENDLICH MAL DIE KLAPPE! EINIGE UNTER UNS VERSUCHEN ZU SCHLAFEN!"
Das kommt nun mal raus, wenn man geschlagene zwei Stunden lang ihrer Diskussion zuhören musste.

Die Zwillinge waren klug genug, sich nicht mit mir anzulegen.

————————————————-

So, und nun wie immer: Das Bild ist aus dem (Trommelwirbel bitte) Internet.

Sternenfluch - Auf den Spuren der RätselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt