(12) Träume und Erzählungen

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Moira

Unruhig drehte ich mich hin und her.
Hicks hatte darauf bestanden, dass ich in der Arena übernachtete, zusammen mit Nachtblitz.
Doch ich kam hier einfach nicht zur Ruhe. Immer wenn ich die Augen schloss, sah ich Drachen, die hier gefangen gehalten und getötet wurden.
Alles wirkte seltsam durchsichtig und auch etwas verschwommen, aber ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass es hier früher wirklich so zu ging.
Auch Nachtblitz neben mir war alles andere als ruhig und entspannt. Sie zuckte immer mal wieder zusammen, so, als ob jemand sie geschlagen hätte.

Ein paar Schreckliche Schrecken kreischten, während sie über der Arena Fange spielten.
Nachtblitz hatte einen ihrer Flügel schützend über mich gelegt. Ich konnte ihren regelmäßigen Atem hören; sie war eingeschlafen.
Nachdenklich verschränkte ich meine Arme hinterm Kopf.
Die Fragen, die ich bisher immer unterdrückt hatte, schwirrten jetzt durch meinen Geist.
Was war ›das Auge‹? Welche Macht besaß derjenige, den die Drachenjäger umbringen wollten? War ich derjenige?
Was würde ich tun, wenn wir unseren Zielort erreicht hatten? Hatte ich überhaupt schon einen Plan?
Nein, hatte ich nicht.
Ich wusste ja noch nichtmal, wie ich von Berk wegkam. Oder ob ich Hicks nun vertrauen sollte oder nicht.
Seufzend schloss ich die Augen und schaffte es irgendwie, einzuschlafen.

<Hey Schlafmütze, aufwachen!>
Blinzelnd öffnete ich die Augen.
Warum war ich in einem Gebäude, das ich nicht kannte?
Ach so, ich hatte ja in der Arena geschlafen.
Das große Tor öffnete sich.
Ich rechnete damit, Hicks zu sehen, da er mich fast nie in Ruhe ließ, aber im Tor stand jemand anderes.
Valka.
Nachtblitz sah mich fragend an.
<Wenn du schnell aufsteigst, könnten wir durch das Tor fliegen...>
Aber da tauchte schon ein großer Drache mit einem eulenähnlichem
Gesicht hinter ihr auf.
Fluchtgedanke bei-drei-habe-ich-aufgehört-zu-zählen wurde somit verworfen.
„Hallo Moira. Ich dachte, wir könnten uns ein wenig unterhalten... ohne Hicks oder jemand anderen."
Mein Missfallen schien sie entweder nicht zu bemerken oder es war ihr ganz einfach egal.

Ich muss zugeben, Valka ist mir viel sympathischer, als ich dachte. Auch sie hatte (wie sie mir erzählte) am Anfang, also nachdem sie von den Drachen zurückgekehrt war, einige Schwierigkeiten damit, Menschen zu vertrauen. Außerdem forderte sie mich nicht direkt dazu auf, von mir zu erzählen. Stattdessen redete sie erstmal von sich selbst, über Drachen, über die Drachenreiter und über vieles mehr. Erst war es anstrengend, ihr zuzuhören, aber es wurde zunehmend interessanter.
Ich erfuhr, wie ihr Drache (Wolkenspringer) sie von Berk wegbrachte, wie sie ihren Sohn wiederfand und wie sie Drago besiegten. Sie erzählte mir von unzähligen Drachenarten, von den Drachenreitern, von Grobian und von Eret.
Nebenbei unterhielt ich mich mit Nachtblitz, die Valka auch nicht so unsympathisch fand.

<Können wir nachher bitte ausfliegen? Wenn es sein muss auch mit Begleitung?>
<Ich hoffe... den ganzen Tag nur Boden unter den Füßen zu haben ist ungewohnt... ich könnte Valka auch jetzt fragen, oder was->
„Du hast eine interessante Augenfarbe."
Irritiert sah ich Valka an. Dann fiel mir ein, dass sich meine Augen veränderten, wenn ich mit Nachtblitz sprach.
„Ähh... Danke?"
Sie musterte erst mich, dann Nachtblitz. Ich dachte, sie würde mich jetzt fragen, woran das lag, aber da hatte ich sie falsch eingeschätzt.
„Ihr seht so aus, als könntet ihr einen Flug vertragen, oder?"
<JAAAAA! Sag ja, Moira!!>
<Ist schon gut, ich hatte nichts Anderes vor!>
„Also?"
<JA!!>
„Ja..."
„Na dann... wer zuerst über den Wolken ist!"   
Und damit stieg sie auf ihren Drachen und hob ab.
Ich sah Nachtblitz kurz an.
< Lass mich raten; du wartest , bis sie fast bei den Wolken ist, schießt dann los und überholst sie in der letzten Sekunde?>
<Korrekt.>
<Ich steige dann schon mal auf.>
Wolkenspringer hatte die paar Schäfchenwolken, die am Himmel waren, fast erreicht.
<Halt dich fest!>, warnte Nachtblitz mich, dann schossen wir in den Himmel.

Im Vorbeischießen sah ich Valkas überraschtes Gesicht. Dann hatten wir sie auch schon überholt und waren zuerst über den Wolken. Triumphierend und übermütig schoss Nachtblitz einen Feuerball in den Himmel, wo er explodierte. Funken stoben wie kleine Sterne durch die Luft.
Ich lächelte. Das war so typisch für sie.
Dann tauchte auch Wolkenspringer über den Wolken auf. Stolz und etwas angeberisch hob Nachtblitz den Kopf. Wolkenspringer verdrehte daraufhin nur die Augen, während Valka sich das Lachen verkneifen musste.
„Du hast wirklich einen außergewöhnlichen Drachen."
Da konnte ich ihr nur zustimmen.

Wir flogen noch eine Weile stumm nebeneinander her. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass ich Valka etwas von mir erzählen sollte. Immerhin wusste ich nun ziemlich viel von ihr.
Sie schien zu bemerken, dass ich noch mit mir rang, und stellte mir das erste Mal an diesem Tag eine Frage über mich.
„Wo bist du eigentlich aufgewachsen?"

In den folgenden Minuten hörte sie mir einfach nur zu. Ich wusste, dass sie nicht nachhaken würde, wenn ich aufhörte.
Ich erzählte ihr, wie meine Mutter mit mir zum Hafen rannte, während die Wikinger mit den restlichen unseres Stammes kämpften. Sie war zu der Kiste gerannt, hatte einen kleinen Gegenstand daraus genommen und war dann mit mir in ein anderes Boot gestiegen und weggefahren.

Danach sagte ich nichts mehr und sah einfach nur aufs Meer hinaus.
So nett und sympathisch Valka auch sein mochte, den Rest meiner Vergangenheit würde sie nicht erfahren.
Doch als ich einen Blick zu ihr riskierte, wurde mir klar, dass das für sie vorerst auch genug Informationen waren.
Sie sah nicht so geschockt aus wie Hicks, nachdem er von dem Kampf der beiden Stämme erfahren hatte, aber sie musste das Gehörte auch erst verarbeiten.

Eine Weile flogen wir also nur schweigend nebeneinander. Dann erhob sie wieder die Stimme.
„Das klingt schrecklich."
Ich schwieg weiterhin.

Es gab nur eine Sache, die ich ihr nach weiteren Minuten der Stille noch anvertraute, und das auch nur, weil sie nichts über mich aussagte und ich allein einfach nicht weiterkam.

Als wir wieder einmal Drachen befreiten, schlich ich mich unters Deck und suchte nach Plänen, um noch mehr Drachen befreien zu können.
In der Kapitänskajüte lagen fünf alte Schriftrollen. Die nahm ich mir und verschwand dann wieder.
Als wir in unserer Höhle waren, öffnete ich die Schriftrollen.
Eine Skizze von Drachenkäfigen, eine Landkarte, eine Schreckenspost und eine Liste mit Drachen für Auktionen.
Aber die letzte Schriftrolle war aus einem anderen Material und sah viel älter aus.
Behutsam öffnete ich sie.
Das Pergament zerbröselte leicht unter meinen Fingern.
Auch Nachtblitz lugte neugierig auf die Schriftrolle.

Sie war leer.

Sternenfluch - Auf den Spuren der RätselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt