(39) Schlaflos

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Hicks

Ich wachte auf, als jemand mich unsanft schüttelte.
Kaum hatte ich die Augen aufgeschlagen, zog Astrid mich hoch und schleifte mich regelrecht - und wortlos - von unserem Lager weg.
„Hey! Astrid, ich bin gerade erst... Kannst du mal bitte stehenbleiben?"
Seufzend tat sie mir den Gefallen.
Ich gähnte und schüttelte kurz meinen Kopf, um wacher zu werden.
„Was ist überhaupt los?"
Als sie mir in die Augen sah, war ihr Blick todernst.
„Moira."

„Was ist mit ihr? Geht's ihr wieder schlechter?"
Astrid winkte schnaubend ab.
„Ihr geht's super. Fast schon ein bisschen zu gut."
Trotz meines bestimmt nicht allzu intelligenten Blicks ließ sie sich für die Erklärung Zeit.
Schließlich hörte sie auf, das Meer anzustarren und wandte sich wieder mir zu: „Überleg doch mal; Vor knapp vier Tagen wäre sie fast gestorben und jetzt joggt sie morgens immer, bevor wir aufbrechen?"
„Und? Du gehst jeden Morgen trainieren."
„Aber ich falle anschließend nicht fast aus dem Sattel. Apropos Sattel; sie sitzt auf Nachtblitz, als hätte sie noch nie einen Drachen gesehen. Sogar Gustav hatte früher mehr Gleichgewicht als sie zur Zeit."
Ich konnte nichtmal meinen Mund öffnen, da fuhr sie auch schon fort.
„Vor ungefähr einer Woche hat sie auf ihrem Drachen geschlafen, Hicks! Bei Sturm! Und mit Nachtblitz stimmt auch etwas nicht. Sie wirkt, als wäre sie geistig abwesend."
„Das liegt an den Nachwirkungen des blauen Oleanders, Astrid."
„Sagt Moira. Sie meinte aber auch, dass Nachtblitz nichts von dem Zeug abbekommen hat."
„Du vertraust ihr nicht mehr?"
„Ich... bin vorsichtiger. Rotzbakke hatte damals schon irgendwie recht. Wir kennen sie kaum und vertrauen ihr schon voll und ganz. Auch wenn sie Drachenjäger bekämpft und einen Drachen reitet, wir sollten nicht ins offene Messer laufen. Ehrlich gesagt wundere ich mich sowieso die ganze Zeit über, warum ich ihr so schnell vertraut habe."
Einen Moment lang war ich sprachlos.
Astrid misstraute Moira?
Ich wusste ja, dass es Astrid schwerfiel, Fremden zu vertrauen, aber das überraschte mich jetzt doch.
„Ich dachte, ihr kommt gut miteinander klar...? Immerhin warst du so ziemlich die Einzige, mit der sie längere Unterhaltungen geführt hat."
Nachdenklich verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah wieder aufs Meer hinaus.
„Ich weiß nicht, weshalb. Ich kann dir nichtmal sagen, seit wann. Aber mein Gefühl rät mir, vorsichtiger zu sein. Das hat es bei Heidrun damals auch. Und es hatte recht."

Obwohl ich in den folgenden Stunden unseres Fluges sehr genau darauf achtete, ich fand nichts, was Astrid's Theorie unterstützte.
Unsere Verbündete redete mit den Zwillingen, die sie nach neuen Streichen fragten.
Fast schon bewundernd sahen sie sie dann an, als sie einige Dinge aufzählte.
So leise hatte ich die Geschwister noch nie erlebt...
Als wir dann schließlich auf einer Insel landeten, wollte ich Moira nochmal auf Nachtblitz ansprechen, denn entgegen ihrer Vorhersage ging es der Drachendame überhaupt nicht besser.
Aber ich konnte die Brünette nirgends finden.

„Taff, weißt du zufällig, wo Moira ist? Nachtblitz braucht wahrscheinlich doch das Gegenmittel."
„Ich bin hier."
Überrascht fuhr ich herum. Da stand sie, mit einem tropfenden Wasserschlauch in den Händen.
„In der Nähe gibt es einen Bach, da können wir das Wasser auffüllen.", erklärte sie.
„Zum Glück, ich verdurste gleich!"
Polternd rannte Rotzbakke in die von Moira gezeigte Richtung, stolperte dabei über seine eigenen Füße und kam der Länge nach auf dem Boden auf.
Wir Anderen waren ähnlich erfreut wie er, auch wenn wir unsere Freude nicht mit vollem Körpereinsatz zeigten, denn gestern Abend hatten wir unsere letzte Wasservorräte aufgebraucht. Hoffentlich würden wir auch unsere übrigen Vorräte bald wieder aufstocken können, denn auf den spärlich bewachsenen Inseln gab es nur selten essbare Pflanzen.
„Moira? Ich weiß, dass du dich darüber nicht so freuen wirst, aber Nachtblitz braucht das Gegenmittel. Wie du garantiert mitbekommen hast, geht es ihr nicht einmal ansatzweise besser. Ich hatte vorhin wirklich gedacht, ihr würdet gleich abstürzen."
Moira, die gerade ihren Wasserschlauch eingepackt hatte, erstarrte mitten in der Bewegung. Dann richtete sie sich langsam wieder auf.
Innerlich wappnete ich mich schon für die gleich folgende Auseinandersetzung, wurde kurz darauf allerdings von der schwarzen Kriegerin überrascht.
„Ich weiß."
„Was?"
Das fragte ich nicht nur, weil ich mit etwas vollkommen Anderem gerechnet hatte, sondern auch, weil sie so leise sprach, dass ich mir ihre Worte auch einfach nur eingebildet haben könnte.
„Ich weiß.", wiederholte sie, diesmal deutlich lauter, „Sie müsste das Gegenmittel bekommen, wenn es sich um das Gift des blauen Oleanders handelt."
Sie machte eine Pause. Als sich diese jedoch über zwei Minuten dahinzog und man langsam den Eindruck hatte, man könne ewig auf weitere Äußerungen ihrerseits warten, sprach ich das Offensichtliche aus.
„Aber der blaue Oleander hat damit nichts zu tun."

Sternenfluch - Auf den Spuren der RätselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt