(5) reden und schweigen

471 23 4
                                    

Schwarze Kriegerin

Die Drachenreiter und die Frau mit den kurzen Haaren unterhielten sich.
Ich überlegte derweil, wie ich am besten von hier wegkomme.
Schwimmen; die Drachenreiter würden mich einholen.
Wegsegeln; mit dem Schiff auf dem ich mich befand? Dann müsste ich erst die anderen irgendwie loswerden...
„Und ihr wisst nicht, wer sie ist oder warum sie gejagt wird?"
„Nein, Mala, wir haben keine Ahnung."
„Aber sie kann ganz schön zuschlagen."
Der rothaarige Wikinger hatte sich wieder erholt und meldete sich jetzt auch zu Wort.
Ich stöhnte innerlich auf. Musste das sein?
„Auf jeden Fall ist sie kein Drachenjäger, sondern eher eine von uns."
„Vielleicht kennen wir sie sogar."
„Taff, ich will deine Gedanken nur ungern unterbrechen, aber ich denke-"
„Hört, hört: Rotzbakke denkt!"
„Raff!"
„... dass wir sie dann erkannt hätten."
„Sie hat eine Maske auf, vermutlich liegt es daran."
„Astrid hat recht. Wenn wir ihr die Maske abnehmen, erkennen wir sie womöglich."
Sind die allen Ernstes so blöd und merken nicht, dass ich zuhöre?
Sie landeten auf Malas Schiff.
Der braunhaarige Junge stieg von seinem Nachtschatten und begann zu reden.

„Wir wollen dir nicht weh tun."
Ich euch schon, wenn's nötig werden sollte. Ich war nunmal nicht unbedingt für mein friedliches Wesen bekannt und heute würde ich definitiv keine Ausnahme machen.
„Ganz ruhig..."
Der Junge arbeitete offensichtlich zu viel mit Drachen und viel zu wenig mit Menschen.
Hicks streckte seine Hand nach mir aus.
Ich wartete.
Er kam näher.
Mit jedem Schritt, den er auf mich zu machte, machte ich einen Schritt zurück, bis ich die Reling erreicht hatte.
Dann ließ ich mich nach hinten fallen.

Alle stürzten zur Reling und sahen ins Meer.
Aber mich konnten sie nicht sehen, da ich nicht schwamm, sondern flog.
Doch dann lief der Nachtschatten zu seinem Reiter und deutete in meine Richtung.
Das lief ja super.
„Wie... Was zum..."
Die Menschen auf dem Schiff kamen nicht mit dem klar, was sie sahen.
„Warum hat die Flügel? Ich will auch so welche haben!"
„Ja, das ist viel cooler als Hicks' oller Fluganzug!"
„Könnt ihr zwei Schafsköpfe bitte einfach mal euren Mund halten?"

Sie liefen zu ihren Drachen und flogen in meine Richtung.
Ich wartete nicht lange, denn ich wusste, dass die Drachen schneller fliegen konnten als ich.
Von der Kondition mal ganz zu schweigen.
Mein einziger Vorteil bestand im Überraschungsmoment, welches ich gerade eben ausgespielt hatte, und darin, dass ich durch meine geringer Größe wendiger war als die Drachen.

Ich flog knapp über der Wasseroberfläche, um im Notfall untertauchen zu können.
Da ich mich so darauf konzentrierte, nicht von oben erwischt zu werden, krachte ich fast in den Gronkelreiter.
Wenige Zentimeter vor ihm schoss ich in de Höhe, auch wenn mir im selben Moment auffiel, dass dies dumm war. Sehr dumm.
Sekunden später war ich umzingelt.
Ein Reiter flog über mir, die restlichen vier hatten ein Viereck um mich gebildet.
Ich tat das einzig richtige; ich flog nach oben, holte -diesmal ohne den Gronkel umzupflügen- Schwung und stieß dann mit angelegten Flügeln ins Meer.

Normalerweise war Wasser nicht so mein Ding; ich flog lieber.
Aber normalerweise wurde ich auch nicht von irgendwelchen Leuten verfolgt.
Und Not macht erfinderisch.
Oder bringt einen auf Ideen, die man teilweise auch als Dummheit des Jahrtausends krönen könnte.
Ganz schön viele Krönungen für einen Tag... aber das, was ich gerade getan hatte, verdiente garantiert Platz Eins.
Vorerst.

Ich tauchte unter dem Zipper durch, während sie noch damit beschäftigt waren, ins Wasser zu starren.
Dann schwamm ich an die Oberfläche und flog wieder los.
Es dauerte tatsächlich eine Weile, bis sie aus ihrer Starre erwachten und erneut die Verfolgung aufnahmen.
Von da an musste ich mich darauf konzentrieren, enge Kurven zu fliegen und sie immer wieder zu verwirren.
Beim Zipper ging das mit Abstand am leichtesten.
Aber auch ich machte (an diesem Tag für meine Verhältnisse eindeutig zu viele) Fehler.
So kam es, dass ein gewisser schwarzer Drache mit einem gewissen nervigen Reiter mir den Weg abschnitt.
Ich konnte erahnen, wie es den Drachenjägern gehen musste.
Kurz darauf hielt der Nachtschatten mich mit seinen Pfoten fest.
Ich legte die Flügel an und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Gut gemacht, Ohnezahn. Dann wollen wir mal sehen, ob man jetzt in Ruhe mit ihr reden kann."
Erst in diesem Moment bemerkte ich, dass wir uns ein gutes Stück von den übrigen Reitern entfernt hatten.

„Wie heißt du?"
Er wiederholte die Frage zum ungefähr 18ten Mal. Und er bekam ebenfalls zum 18ten Mal keine Antwort.
„Ach komm schon! Soo schwer ist das doch nicht!"
Irgendwie machte es mir Spaß, ihn zum Verzweifeln zu bringen.
„Wenn du es mir nicht sagst, fliege ich zurück zu den anderen."
Pfff, mach doch. Ich kann dich eh nicht davon abhalten, solange dein Drache mich trägt.
„Du kannst nicht ewig schweigen!"
Wer weiß, vielleicht ja doch? Wäre die perfekte Gelegenheit, es auszuprobieren.
„Ohnezahn, hilf mir doch mal!"
Der schwarze Drache drehte sich auf den Rücken und grinste zahnlos in meine Richtung.
Ich lag jetzt auf seinem Bauch, und das gefiel mir noch weniger als alles Andere.
Von den Drachenjägerschiffen am Horizont mal abgesehen.
Wenig später sah auch Ohnezahn die Schiffe.
Ich schluckte meinen Stolz herunter und beschloss, Hicks zu warnen.
„Frag doch einfach die da..."

„Und was schlägst du vor?"
Natürlich war er zu den Übrigen zurück geflogen und natürlich ging auch diese Frage wieder an mich. Sollte er nicht auch selbst über so einiges an Erfahrung im Kampf gegen Drachenjäger verfügen?
„Wenn ihr sie besiegen wollt, dürft ihr nicht starr auf sie feuern, sondern..."
„Seit wann hast du hier was zu melden?"
Der rothaarige Krieger war anscheinend immer noch wütend auf mich.
„Dagur, sie kennt diese Leute besser als wir. Vielleicht sollten wir auf sie hören."
„Und wenn das eine Falle ist?"
„Dann werden wir uns irgendwie retten, so wie sonst auch immer."
„Aber..."
„Das ist nicht der passende Zeitpunkt für eine Diskussion!"
„Um genau zu sein, diskutiert ihr schon."
„RAFF!"
Okay, damit wäre meine Frage wohl beantwortet. Wie hatte diese Gruppe es bitte so lange mit den Drachenjägern aufnehmen können?
„HALLO? Könntet ihr mir jetzt bitte zuhören?"
„Warum redest du denn jetzt auf einmal?"
Ich stöhnte innerlich auf.
„Weil dein Drache mich immer noch festhält und ich keine andere Möglichkeit habe?
Also nochmal: wenn ihr sie besiegen wollt, dann müsst ihr sie verwirren. Am besten, ihr beschießt sie nur kurz und versteckt euch dann, während sie euch angreifen. Ihr solltet sie auch immer wieder daran erinnern, dass ihr noch da seid, aber schießt niemals aus eurem Versteck!"
„Hmm... na gut, vielleicht hat sie recht. So schlecht klingt das nicht... aber das ist keine Entschuldigung dafür, dass sie mich geschlagen hat, obwohl ich nicht zu den Drachenjägern gehöre."
Dagur, wie er leibt und lebt. Draufgängerisch, durchgeknallt und mit einer Handvoll zu wenig Intelligenz.
„Woher sollte ich das denn wissen?"
Er murmelte irgendetwas vor sich hin.
„Okay Leute, dann legen wir mal los. Rotzbakke, du feuerst ins Wasser, bis Hakenzahn nicht mehr kann. Raff, Taff, sobald sie im Nebel sind, verbreitet ihr so viel Zippergas wie möglich. Königin Mala und Dagur, es wäre gut, wenn ihr außerhalb des Nebels bleibt, zu eurer eigenen Sicherheit.
Wir müssen darauf achten, dass der Nebel sich nicht lichtet, also macht nicht zu viel unnötigen Wind. Alles klar?"
Sofort gingen alle an die Arbeit.
Die Zwillinge schienen sich sehr darüber zu freuen, Chaos verbreiten zu können. Sie grinsten bis über beide Ohren und rieben sich erwartungsvoll die Hände. Wenn ich mich nicht irrte, was heute durchaus der Fall sein konnte, hatte sogar der Zipper ein vorfreudiges Funkeln in den Augen.
Dann begann das Spektakel.

Alles lief gut, bis das Wetter sich schlagartig änderte und es anfing zu stürmen.
„Rückzug!" Hicks brüllte gegen den Wind, aber die anderen schienen ihn nicht verstanden zu haben.
„Was?"
„Wie bitte?"
„Ich hab dich nicht verstanden!"
„Hä?"
Hicks brüllte nochmal, diesmal lauter. Die Reiter zogen sich zurück, aber ein letzter Pfeil der Drachenjäger erwischte Ohnezahns Schwanzflossen-Prothese und hinterließ ein großes Loch.
Während die übrigen Reiter zu einer Insel flogen, wurden wir vom Sturm mitgerissen.
Hicks schaffte es irgendwie, dass sein Drache flog, aber mit so einem Loch in der Schwanzflosse konnte der Nachtschatten nicht gegen den Sturm ankommen.

Ich sah noch, wie das Gewebe ruckartig weiter einriss, dann sackte der Nachtschatten ab und ich knallte mit dem Hinterkopf gegen irgendwas Hartes.
Alles wurde schwarz.

———————————————

Wie ihr alle höchst wahrscheinlich schon wisst, ist das Bild oben nicht von mir.

Sternenfluch - Auf den Spuren der RätselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt