(41) Regen und Donner

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Hicks

Moira sah so aus, als würde sie ernsthaft in Erwägung ziehen, gleich auf meine Freundin loszugehen.
„... Falls du deine Stimmungsschwankungen gerne an irgendwelchen Unbeteiligten auslässt, dann bitte. Aber ich warne dich, noch ein Wort über Nachtblitz, und es könnte dein letztes sein. Ich brauche deine Hilfe und die deiner Freunde nicht, ganz im Gegenteil. Ihr behindert mich nur. Also pass gefälligst auf, was du über wen sagst. Glaub mir, es kann sonst sein, dass ich plötzlich das Gegenmittel besitze, du aber keinen Drachen mehr. Mich würde das nicht stören."
„Oh, jetzt drohst du mir also? Du kannst mir gar nichts. Und wenn du gerne noch eine Weile laufen gehen möchtest, dann lässt du Sturmpfeil und meine Freunde gefälligst in Ruhe. Nur ich stehe für meine eigene Meinung gerade, und die sagt im Augenblick folgendes: Du kannst mich mal.
Glaubst du wirklich, du bist die Einzige, die schonmal hintergangen wurde? Tja, da irrst du dich gewaltig."
„Gewaltig, hm? Ein ganz schön gutes Wort für das, was dein Ego betrifft. Hochmut kommt immer vor dem Fall, Wikingerin. Und bei mir fällt man tief."
„Wie gut, dass ich auch im Fallen kämpfen kann."
„Nicht gegen mich."
„Sicher?"
Beide hatten ihre Äxte in den Händen und ihre Blicke sprühten Funken.

„Es reicht jetzt, verstanden?"
Keine Reaktion von Seiten der Mädchen.
Ich wurde lauter.
„ÄXTE RUNTER, VERDAMMT NOCHMAL!"
Sie versuchten noch immer, sich mit ihren Blicken zu erstechen.
„JETZT!"
Äußerst widerwillig wurden die Waffen aus den Händen gelegt.
„Okay, jetzt hört mir beide gut zu: Ich weiß, dass es manchmal schwer ist, miteinander klarzukommen. Aber das hier stehen wir als Team durch, klar? Das heißt, keiner greift einen von uns an, verstanden? VERSTANDEN?"
Missmutiges, aber zustimmendes Gemurmel war die Antwort.

Die restlichen Stunden bis zur Dämmerung legten wir in eisigem Schweigen zurück.
Und eisig war in gewisser Weise wortwörtlich gemeint, obwohl es auf Berk jetzt erst Ende Sommer war.
Selbst der Wind nahm immer weiter zu und peitschte die Gischt der Wellen sogar bis zu uns hinauf. Ganz klar: hier war der Herbst bereits voll im Gange.

Meine Vermutung wurde von der aufziehenden Wolkenfront nur noch bestätigt. Kaum fünf Minuten später platschten schon die ersten Regentropfen auf uns nieder.
„Auf der nächsten Insel landen wir! Sonst fegt uns der Sturm noch vom Himmel."
Fischbein nickte, alle anderen gaben so gut wie keine Reaktion von sich. Niemand wollte das Schweigen brechen.

Das Problem lag schlussendlich nicht daran, dass mir niemand zugehört hatte -das hatten tatsächlich alle- sondern einfach an den irgendwie nicht existenten Inseln. Warum gab es diese Landflecken überall im Überfluss, wenn man sie nicht brauchte? Und warum waren sie dann scheinbar alle weg, sobald man nach ihnen Ausschau hielt?
Der Himmel verdunkelte sich zusehends, ich war mir ziemlich sicher, dass ich gerade eben auch einen Blitz gesehen hatte. Der Donner ging im Tosen des Meeres unter.
Zum Vorbeifliegen war es zu spät. Jetzt hieß es Augen auf und das Beste hoffen.

„Die Götter hassen mich..."
So kündigte Moira schließlich unsere Rettung an.
Eine große Insel rückte in unser Sichtfeld. Und das war noch nicht alles: auf der Insel leuchtete etwas. Das hieß, sie war bewohnt. Wenn wir uns gut anstellten, könnten wir dort nicht nur den Sturm sicher überstehen, sondern auch gleich noch unsere Vorräte auffüllen.
„Wir landen dort!"
„Nein, tun wir nicht!"
Astrid öffnete augenblicklich den Mund, und ihr einen Konter zu geben, schloss ihn dann aber wieder und begann stattdessen, ihre Fingernägel in den Sattel zu rammen.
Es glich einem Wunder, dass die Regentropfen, welche sie durchdringend anstarrte, nicht verdampften.
„Moira, wir sind mitten in einem aufziehenden Sturm. Wenn wir nicht dort landen, dann landen wir demnächst im Meer."
„Ja, das kann sein. Aber. Ich. Lande. Nicht. Auf. Dieser. Insel."
Mich überkam sofort das Gefühl, in der Zeit zurückversetzt worden zu sein. Jetzt war mein Gesprächspartner nicht mehr Moira, sondern mein Vater. Und ich war sechs Jahre jünger und versuchte, ihn von der guten Seite der Drachen zu überzeugen.
Egal, was ich auch sagte, er drehte mir die Worte im Mund um oder hörte mir überhaupt nicht zu, war aber in jedem Fall zu stur, um mir zu glauben.
Erst der Wassertropfen, der direkt in meinem Auge landete, ließ die Illusion verschwinden.

Sternenfluch - Auf den Spuren der RätselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt