(44) Zweifel

110 8 12
                                    


Hicks

Unsere Blicke schnellten zu dem Getränk.
Unschuldig dampfte das Bisschen, was sich noch in unseren Tassen befand, vor sich hin.

Mit einem Satz sprang Astrid von ihrem Stuhl auf, überquerte mit einer Art Drehhocke den Tisch und hielt Selma ihren Dolch an die Kehle.
Ihr Stuhl schlug zusammen mit der Decke klappernd auf dem Boden auf und die drei Tassen, die noch auf dem Tisch lagen, rollten in den verschütteten Teeresten leicht hin und her. Der Buchstapel in der Mitte des Tisches war von Astrid umgestoßen worden und ganz langsam nahmen die Seiten der Bücher den Tee auf.
Wir anderen saßen da wie erstarrt und auch ich konnte nichts Anderes tun, als das Geschehen zu verfolgen, so überrumpelt war ich.
„Was hast du in Tee getan?!"
Astrids Stimme zitterte leicht, vermutlich vor Anspannung. Hoffentlich vor Anspannung und nicht aus einem anderen Grund.
Selma schüttelte seufzend den Kopf.
„Es ist immer das Selbe. Man sollte doch meinen, ich würde dazulernen, aber dafür bin ich anscheinend schon zu alt."
Die Augen meiner Verlobten sprühten fast schon Funken.
„Was. Hast. Du. In. Den. Verdammten. Tee. getan?!"
Verständnislos sah Selma sie an.
„In den Tee? Wenn du den Dolch runternimmst, kann ich dir die Teeblätter-"
Demonstrativ drückte Astrid die Klinge noch etwas mehr an den Hals der alten Dame.
„Die Teeblätter interessieren mich einen Yakdung. Was hast du zusätzlich in das Getränk gemixt?"
„Was hätte ich denn-"
„Nur, damit du mich nicht falsch verstehst: Ich habe keinen einzigen Tropfen dieses Gemisches zu mir genommen. Also würde ich dir empfehlen, nicht länger die Scheinheilige zu spielen!", fauchte Sturmpfeils Reiterin schon fast.

Das erklärte, weshalb sich eine so große Pfütze um die Scherben von Astrids Tasse gebildet hatte.
Wieso war ich nicht auch darauf gekommen, den Tee nicht wirklich zu trinken? Moira hatte uns sogar noch gewarnt.
Andererseits hatte Selma nicht so gewirkt, als würde sie uns vergiften wollen oder uns irgendwie anders hintergehen. Und ich Schafskopf war auch noch auf ihre freundliche Art hereingefallen.
Wenn jemand zu nett war, dann war es doch immer eine Falle. Absolut immer. Ohne Ausnahme. Warum kapierte ich das einfach nicht? Nein, ich fiel jedesmal erneut darauf rein. Aber sobald man mir gegenüber abweisend war, musste ich mehr erfahren und begann, Dinge zu hinterfragen. So waren wir überhaupt erst in diese Situation gekommen.
Ich hasste es.
Warum musste meine Neugier immer stärker sein als meine Vernunft?

Das einzig Positive in diesem Moment war, dass Ohnezahn nicht hier war. Wenn ihm etwas zustoßen würde, weil ich einen Fehler begangen hatte, würde ich mir das nie verzeihen.
Allerdings galt das Gleiche auch für meine Freunde, insbesondere Astrid. Tja, und die waren leider fast alle anwesend. Nicht nur das, die meisten hatten so wie ich auch den vergifteten Tee getrunken.

Anstatt Astrid zu antworten, sah Selma uns der Reihe nach an. Noch immer konnte ich in ihrem Gesicht keine Freude oder Boshaftigkeit erkennen, sie sah eher ein bisschen traurig aus.
„Fühlt ihr euch denn vergiftet?"
Mir fielen augenblicklich an die zwanzig Dinge ein, die ich der alten Frau jetzt am liebsten an den Kopf werfen würde. Nicht bei allen handelte es sich nur um Worte. Unsere Situation erinnerte mich stark an einen anderen Vorfall, in dem Händler Johann nicht unbeteiligt gewesen war.
Mein Verstand sagte mir immer und immer wieder, dass wir in eine Falle getappt waren, dass wir vergiftet worden waren, dass wir Selma überwältigen mussten.
Aber irgendetwas hielt mich davon ab, wie Astrid aufzuspringen und mein ebenfalls im Schuh verstecktes Feuerschwert auf die Frau zu richten.
Meine Nerven waren zwar zum Zerreißen gespannt und jeder Regentropfen, der die Hauswand traf, ließ mich innerlich zusammenzucken, aber ich konnte und wollte irgendwie nicht meinen Ort wechseln. Etwas tief in mir drin war einfach der Meinung, dass es falsch wäre. Noch dazu fand ich, so sehr ich auch suchte, nichts Verdächtiges in diesem Raum. Von dem Zeichen an der Wand mal abgesehen. Keine versteckten Waffen, keine Netze, Seile oder sonstige Hinweise auf Kampfausrüstung. Nichts, was auf weitere Personen, die sich bisher versteckt hatten, hinwies. Es gab nichtmal eine Axt, um Feuerholz zu hacken.
Auch an oder besser in mir selbst kam mir nichts verdächtig vor. Mein Hals brannte nicht, kein einziger Muskel verkrampfte aus einem nicht erkennbaren Grund.
Die Wahrheit war, dass ich mich ganz normal fühlte.

Sternenfluch - Auf den Spuren der RätselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt