(43) Selma

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Hicks

Wenige Sekunden später wurde die Tür geöffnet.
„Ah, ihr seid es. Ich habe mich schon gefragt, warum das so lange dauert."
Die Frau sah genau so aus wie auch vorhin in der Gaststätte.
Nicht einmal ihr offenes Lächeln hatte sich verändert.
„Na los, kommt schon rein. Nicht, dass ihr euch bei diesem Wetter noch den Tod holt."
Mit einer einladenden Geste deutete sie auf das Innere ihrer Hütte.

Keiner von uns sah so aus, als wolle er ihrer Aufforderung nachkommen.
Einen Moment lang spielte ich sogar mit dem Gedanken, einfach umzudrehen, verwarf ihn dann aber sofort wieder.
Zwar bestand meiner Meinung nach kein Zweifel daran, dass es sich hierbei um eine Falle handelte, nur war diese Falle momentan unsere einzige Möglichkeit, dem Sturm zu entkommen.
Ein Blick zu Astrid und ihre verhärteten Gesichtszüge verrieten mir, dass sie etwas Ähnliches dachte.

„Keine Sorge, ich beiße nicht."
Noch immer lächelte sie uns freundlich an.
Ich sah zu Astrid, die leicht den Kopf schüttelte.
‚Was bleibt uns denn übrig?', formte ich mit den Lippen. Sie blickte kurz zurück zum Dorf, wo mittlerweile so gut wie alle Lichter erloschen waren. Dann atmete sie ergeben aus und machte als Erste einen Schritt auf die Hütte zu.
Nach kurzem Zögern machten wir es ihr nach und so befanden wir uns kurz darauf in einem ziemlich vollgestopften, dafür aber großen Raum.
Zufrieden schloss die Frau die Tür.
„Dieser Sturm ist wirklich schrecklich, selbst für diese Gegend.
Da drüben liegen Decken, nehmt euch ruhig welche. Ihr seid ja total durchnässt."
Noch immer argwöhnisch unsere Umgebung musternd wickelten wir uns in die angebotenen Decken ein.

„Das muss eine Falle sein... Das muss eine Falle sein... Das muss einfach eine Falle sein..."
„Fischbein!"
Genervt unterbrach Astrid das Mantra meines Kumpels.
„Du hast zwar wahrscheinlich recht, aber sie muss ja nicht sofort erfahren, dass wir-"
„Mögt ihr eigentlich Tee?"
Abrupt drehten wir unsere Köpfe zu der Tür, hinter der unsere Gastgeberin hervorlugte. Anscheinend hatte sie den Raum verlassen, als wir kurz nicht hingesehen hatten.
„Wir... äh..."
„Lieber Kräuter oder lieber Früchte?"
Hilflos sah ich meine Freunde an.
„Kräuter wäre uns am liebsten.", antwortete Astrid für uns.
„Oh, das ist sehr gut." Die Dame verschwand wieder im Nebenzimmer.
„Nehmt doch schonmal am Tisch platz, ich bin gleich wieder bei euch."

Perplex gingen wir zu besagtem Tisch.
Er war rund und hatte genauso wie die Tische in der Gaststätte tausende Schnitzereien. Nur wirkten diese trostlos und nicht prunkvoll.
Sie zeigten Drachen über Drachen und mindestens doppelt so viele Flammen. Je näher die Verzierung der Tischmitte kam, desto häufiger tauchten auch andere Symbole auf; Sterne, Tropfen und kleine Vertiefungen, die ich nicht identifizieren konnte.
Die Tischmitte selbst war leider von einem Tuch und haufenweise Büchern bedeckt, sodass die Schnitzerei an dieser Stelle verborgen wurde.
An einigen Stellen der Tischbeinen konnte ich gerade noch so Überreste von Farbe erkennen. Wahrscheinlich hatte einst der gesamte Tisch eher einem Kunstwerk als einem Möbelstück geähnelt, doch diese Zeit lag definitiv schon lange zurück. Anstelle von Farbe füllte nun Staub die Eindrücke aus und an manchen Stellen waren sogar Teile der Schnitzereien herausgebrochen oder abgekratzt worden.
Das Selbe galt für die übrigen Möbelstücke und deren Inhalt. Früher mochten die ledernen Buchrücken und das helle Holz vielleicht mal im Kerzenschein geglänzt haben, nun waren sie rissig und gefleckt. Wo man auch hinsah, so gut wie alles war mit Staub bedeckt. Die einzigen Ausnahmen stellten die Decken, die Stühle, Kerzen und zwei Truhen dar.

„Keine Sorge, es sieht zwar nicht so aus, aber hier ist genug Platz für euch zum Schlafen."
Mir wurde eine dampfende Tasse Tee vor die Nase gestellt.
„Sofern ihr vorhabt, hier zu übernachten, natürlich."
Noch immer lächelnd setzte sich die alte Frau mit an den Tisch und sah uns fragend an.
„Deshalb seid ihr doch hier, oder?"
„Wir...äh... ja, natürlich.
Boah, ist das heiß!" Überrascht stellte Rotzbakke seine Tasse zurück auf den Tisch.
„Ich habe ihn ja auch gerade erst gekocht. Schmeckt er denn?"
Das Getränk war fantastisch. Anders konnte man es einfach nicht beschreiben.
Meine Freunde schienen das ganz genauso zu sehen, da jeder von ihnen schweigend nickte.

Sternenfluch - Auf den Spuren der RätselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt