Ein leises Seufzen verließ meine Lippen, als ich hinauf in den dunklen Nachthimmel schaute. Nachdem meine Jungs das Gasthaus verlassen hatten, war auch ich hinaus gegangen und hatte mich auf eine alte Mauer außerhalb der kleinen Stadt gesetzt. Meinen Säbel und einen Dolch hatte ich mitgenommen, denn ein Mädchen, das ganz allein in der Dunkelheit herumlief, wurde nicht selten überfallen und ich wollte ungern meinen Jungs entrissen werden. Der Verlust eines Captains reichte völlig aus.
Ich zog meine Beine enger an meinen Körper heran und beobachtete die Sterne am Nachthimmel. Das tat ich oft, wenn ich nachdenken wollte und danach fühlte ich mich immer befreiter. Es war, als würden mir die Sterne Flügel schenken, damit ich aus dem tiefen Loch, in welches ich gefallen war, herausfliegen konnte. Aber heute war es anders. Heute blieb das beruhigende Gefühl aus und stattdessen fühlte ich mich einsam, verlassen und verloren.
"Sohyun?"
Ich zuckte zusammen, als ich plötzlich Yeosangs tiefe Stimme hinter mir vernahm. Erst seit wenigen Minuten saß ich hier und war voll und ganz in meinen Gedanken versunken, hatte fest damit gerechnet, dass ganz Ateez in die Bar verschwunden waren. Doch scheinbar hatte Yeosang andere Pläne gehabt. Das erklärte auch, wieso er nicht so begeistert wie die anderen ausgesehen hatte, als San seinen Vorschlag gemacht hatte.
"Was machst du hier?", fragte ich ihn sofort, nachdem ich meinen Kopf zu ihm gedreht hatte. Fragend musterte ich und zog eine Augenbraue nach oben, um meinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen. Ich hatte gehofft, dass er sich abschrecken und mich wieder allein lassen würde, allerdings hatte er offenbar nicht vor zu gehen. Stattdessen setzte er sich neben mich und schaute ebenfalls nach oben in die Sterne. Etwas ungeduldig wartete ich auf eine Antwort und betrachtete ihn solange von der Seite, bis er seinen Kopf zu mir drehte und nun anfing, mich zu mustern.
"Dasselbe könnte ich dich fragen", erwiderte er ruhig, "Ich habe mir nur Sorgen gemacht und bin dir darum gefolgt. Tortuga ist immerhin nicht der sicherste Platz für eine Frau."
"Zu freundlich, danke. Aber ich brauche keinen Beschützer", gab ich recht kühl zurück und wandte meinen Blick von ihm ab. Aus irgendeinem Grund mochte ich es nicht, dass er meine schwächste Seite gerade entdeckte. Niemand sollte von ihr erfahren. Das würde mir meine Stärke rauben, die ich der ganzen Welt zeigte.
"Was ist los, Sohyun?", wollte Yeosang nun deutlich sanfter wissen. Seine tiefe Stimme hatte einen beruhigenden Effekt auf mich und ich spürte, wie sich eine Gänsehaut auf meinem Körper ausbreitete. Ich versuchte dagegen anzukämpfen und nicht einzuknicken, jedoch hatte mich dieser Tag zu sehr erschöpft. Ich konnte nicht länger stark bleiben.
"Ich mache mir Sorgen um Hongjoong... er hat sich für mich geopfert, sicher hat er - anders als ich - geahnt, was Junmyeon vorhatte... und jetzt ist er weg", seufzte ich leise und biss mir fest auf meine Unterlippe. Noch immer wagte ich es nicht, zu Yeosang zu schauen, auch wenn ich ich mir sicher war, dass er mich nicht hierfür verurteilen würde. Das konnte ich spüren.
"Wer weiß, ob sie ihm etwas antun, ob sie ihn foltern oder quälen. Wer weiß, wie lange sie ihn am Leben lassen und was sie mit ihm vorhaben. Sie hätten mich mitnehmen sollen, nicht ihn. Ich... ich will das nicht einsehen", fuhr ich fort und zwang mich dazu, den schweren Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken. Mein Mund fühlte sich plötzlich ganz trocken an und ich musste ein paar Mal blinzeln, weil auch meine Augen zu brennen begannen.
"Er bedeutet dir viel, nicht wahr?", fragte Yeosang vorsichtig und rutschte näher zu mir. Ich spürte, wie er zögerte, doch schließlich überwand er sich und legte vorsichtig einen Arm um mich. Zustimmend nickte ich leicht und lehnte erschöpft meinen Kopf gegen seine Schulter, musste zugeben, dass es sich tatsächlich gut anfühlte, nicht mehr allein zu sein. Es war ein schönes Gefühl, jemanden hierzuhaben und mit ihm reden zu können.
"Auch wenn wir uns anfangs gehasst haben, ist er wie ein Bruder für mich. Seine Meinung ist mir wichtig und ich weiß, dass ich mich auf ihn verlassen kann. Wir teilen eine ähnliche Vergangenheit und haben dennoch unterschiedliche Erfahrungen gemacht, die uns oft gegenseitig geholfen haben. Manchmal glaube ich sogar, dass er der bessere Captain wäre und gerade heute hat er das wieder bewiesen... er wäre so viel besser als ich", gestand ich ihm leise. Vielleicht hatte er mit etwas anderem gerechnet, dass ich Hongjoong auf eine andere Art und Weise liebte, doch das tat ich nicht. Er bedeutete mir viel, ja, aber in familiärer Hinsicht. Aber diese reichte vollkommen aus, damit es mich schmerzte, nun in Unwissenheit über seinen Zustand leben zu müssen.
"Verstehe...", antwortete Yeosang leise und schwieg für einen Moment, vermutlich, um sich passende Worte zu überlegen.
"Weißt du, Sohyun, weder mein Rauswurf noch deine Begleiter haben mich dazu überredet, mich euch anzuschließen. Es hat für mich keinen Grund gegeben, ein Pirat zu werden und mein Leben der See zu verschreiben. Doch dein Auftreten und dieses überzeugte Funkeln in deinen Augen, dein Ehrgeiz und deine Furchtlosigkeit, das hat mich fasziniert. Es hat mir gezeigt, dass hinter der Fassade eines Piraten viel mehr als bloße Gewalt und Rupellosigkeit steckt. Darum habe ich zugesagt und dir vertraut, mein Captain zu sein. Und das war ganz allein dein Verdienst, nicht der von Hongjoong. Verstehst du? Das hast du geschafft.
Auch die anderen Crewmitglieder hast du zu dir geholt. Du hast mir selbst erzählt, wie du am Anfang allein warst und Stück für Stück Menschen dazu gewonnen hast. Ja, einige haben abgelehnt oder Reißaus genommen, aber die, die zugestimmt haben, sind zu deiner Crew geworden. Sie sind zu deiner Familie geworden. Unserer Familie. Und Hongjoong hat sich für dich geopfert, damit du uns weiterhin anführen und den Schatz mit uns finden kannst. Dazu ist er nicht in der Lage. Einzig und allein du kannst das schaffen. Also lass den Kopf nicht hängen, ja? Du bist ein toller Captain und du wirst niemanden enttäuschen. Egal, was du glaubst, du hast keinen von uns bisher enttäuscht, auch heute nicht. Du machst das gut so. Glaube mir."
Ich schwieg. Seine Worte geisterten in meinem Kopf umher und ich nahm sie in mir auf, verinnerlichte sie förmlich. Es war schön zu hören, dass ich nicht alles falsch machte und es gab mir Mut, Hoffnung. Mein Brustkorb füllte sich mit Wärme und langsam verschwanden die schlechten Gefühle, zurück blieb nur neue Entschlossenheit. Er hatte immerhin recht mit dem, was er sagte. Ich musste nur lernen, darauf zu vertrauen.
"Danke, Yeosang...", murmelte ich irgendwann leise in die Ruhe der Nacht hinein und kuschelte mich vorsichtig näher an ihn. "Ich werde mein Bestes geben und mich nicht länger schlecht machen", fügte ich hinzu und schaute kurz zu ihm auf, als ich dieses Versprechen machte. Sanft lächelte er mich an und hob seine freie Hand an, von der er seinen kleinen Finger für mich ausstreckte.
"Kleiner-Finger-Schwur?", fragte er schmunzelnd und zauberte mir somit ein schwaches Lächeln auf die Lippen. Zustimmend nickte ich und hob meine eigene Hand an, um meinen kleinen Finger mit seinem zu verschränken.
"Ja. Kleiner-Finger-Schwur."
Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, ließen wir unsere Hände wieder sinken, jedoch blieben unsere Finger miteinander verschränkt. Wir beide schauten in den mit Sternen übersähten Himmel und schwiegen, genossen einfach nur die Stille und die wärmende Anwesenheit des Anderen. Wie lange wir hier noch saßen, bevor wir zurückkehrten, wusste ich nicht, doch es war lang genug, damit ich neue Kraft tanken konnte.
Von nun an würde ich noch entschlossener an die Schatzsuche und das Befreien Hongjoongs herangehen.
~~~
Und hiermit beginnt eine Lesenacht von insgesamt vier Kapiteln. Jede Stunde werde ich euch ein neues Kapitel hochladen, darum, seid gespannt. ;3
~Cookie
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Pirate King - The Lost Treasure [Pausiert]
Fanfiction»Hörst du sie? Die Geschichten, die die Winde erzählen? Die Melodien, die die Wellen mit sich tragen? Und das Blut, das von den Säbeln derer tropft, die bereit sind, alles zu tun? Hast du den Mut, dein Leben zu riskieren, um einen verloren Schatz zu...