"Es ist alles verstaut, Captain", informierten mich Mingi und Jongho, nachdem sie auf meinen Befehl hin die Vorräte in den Bauch des Schiffes geräumt hatten. Dankbar nickte ich den beiden zu und setzte dann meinen Weg zu Yeosang fort. Ich hatte vorhin noch mit San gesprochen, denn merkwürdigerweise schienen Seonghwa und Yeosang gestritten zu haben, als wir mit dem neuen Schiff bei ihnen angekommen waren. Sie hatten einander die kalte Schulter gezeigt und nicht ein einziges Wort gesprochen, zudem hatten sie beide ziemlich genervt geklungen. Deswegen hatte ich San zu Seonghwa geschickt, damit er mit dem Ältesten reden würde, wohingegen ich das bei Yeosang tun würde. Es schien mir so, als hätte ich bisher den engsten Draht zu ihm und das sollte mir einen Vorteil bringen.
"Hey, Yeosang", begrüßte ich den Jungen und stellte mich neben ihn an den Rand des Schiffes, welches inzwischen wieder einer imaginären Route folgte. Er beobachtete erneut die Wellen, die versuchten, am Schiff hinaufzuklettern, jedoch keinen Halt fanden und darum wieder zurück ins Wasser plumpsten. Ein Deja-Vu suchte mich heim und ich erinnerte mich daran, wie wir zum ersten Mal hier standen. Das hinterließ ein komisches Gefühl in mir.
"Ja, Captain?", gab Yeosang nur zurück, ohne mich anzuschauen. Seine schlechte Laune war nach wie vor spürbar, doch das schreckte mich nicht ab. Wenn ich mit ihm reden wollte, dann hatte er zuzuhören. Selbst, wenn er mich keines Blickes würdigte.
"Was ist zwischen dir und Seonghwa vorgefallen, dass ihr euch so überaus kindisch benehmt?", fragte ich gerade heraus und beobachtete weiterhin den jungen Mann. Sein Antwort war ein Schweigen, während sein konzentrierter Blick sich auf irgendetwas versuchte zu fixieren. Aber er scheiterte, denn das Meer bestand aus einer ständigen Bewegung.
"Yeosang?", sprach ich ihn erneut an, in der Hoffnung, er würde mir dieses Mal antworten, doch er schwieg weiterhin. Offensichtlich wollte er es mir wirklich nicht sagen. "Okay, dann fange ich eben anders an. Yeosang, es ist wichtig, dass alle sich auf dem Schiff blind vertrauen können, verstehst du? Egal, wie sehr zwei sich streiten, sie müssen sich trotzdem im Kampf gegenseitig unterstützen und aufeinander vertrauen. Ein Team ist viel stärker als eine einzelne Person, demnach ist es wichtig, diese Regel einzuhalten. Auch wenn es manchmal schwer ist. Hörst du?"
"San hasst mich doch ohnehin", gab Yeosang plötzlich zurück und für einen kurzen Moment brachte er mich damit aus dem Konzept.
"San ist bloß eifersüchtig, weil Wooyoung sein bester Freund ist und die beiden sich besser als alle anderen kennen. Als er auf einmal erfahren hat, dass du und Wooyoung auch einander bekannt seid, hat ihn das genervt, weil er sich benachteiligt gefühlt hat. Aber er wird diese Eifersucht nicht mehr lange zeigen, darüber brauchst du dir keinen Kopf machen. Schon bald wird er dich als gewöhnlichen Kameraden anerkennen", erwiderte ich. Ermutigend lächelte ich ihn an, oder eher, ich versuchte es, denn noch immer schaute Yeosang nicht zu mir. Das Wellenspiel des Meeres war wohl deutlich interessanter als ich.
"Wie du meinst", seufzte er nach einigen Momenten der Stille leise und sah nun endlich zu mir. Etwas Mysteriöses, Geheimnisvolles schimmerte in seinen Augen, bevor er sich schließlich abwandte und vom Holzrand abstieß. "Ich gehe dann wohl besser zurück an die Arbeit", sagte er noch kurz schulterzuckend und ließ mich alleine hier stehen. Wortlos schaute ich ihm nach, wagte es beinahe nicht, einen Gedanken zu fassen.
Wieso war er denn plötzlich so kühl? Wo war der Yeosang von der Nacht auf Tortuga, der mich ermutigt und aufgebaut hatte? Der Yeosang, der mich von dem Verlust Hongjoongs abgelenkt hatte?
Hongjoong...
Ein leises Seufzen entwich meinen trockenen Lippen und ich drehte mich wieder nach vorne, den Blick aufs Meer gerichtet, die Arme auf das Holz gestützt. Hätte Hongjoong mit Yeosang gesprochen, wäre dieser wohl eher wieder zur Vernunft gekommen und auch Seonghwa hätte sofort auf ihn gehört. Ich hingegen scheiterte mal wieder als Kapitän. Es grenzte bereits an ein Wunder, dass wir Tortuga ohne Schwierigkeiten hatten verlassen können. Wahrscheinlich wäre alles anders ausgegangen, wenn Hongjoong noch bei uns gewesen wäre. Er hatte immer gewusst, was zu tun war... und wie man die Crew aufbauen und motivieren konnte...
Ich wusste nicht, wie lange ich hier stand und über meinen ehemaligen Rivalen nachdachte. Verluste waren schwer für mich zu ertragen, das machte mich schwach und angreifbar. Jedoch gelang es erst Yunho, mich aus meiner Trance der Selbstvorwürfe zu ziehen, als er mich zum Essen rief.
"Captain, kommst du endlich?" Die Verwirrung war seiner Stimme zu entnehmen, er wunderte sich sicher, wieso ich wie versteinert stehen blieb und nicht reagierte. "Sohyun?" Wenige Sekunden später war er neben mir aufgetaucht und blickte mich aus seinen großen, besorgten Augen an. Ich richtete meinen Blick auf ihn, bevor ich mich aufrichtete und schwach lächelte. Er sollte sich nicht um mich sorgen.
"Ich esse später etwas. Irgendjemand muss ja hier draußen die Stellung halten", sagte ich bestimmt zu ihm, ließ mir meine mich zerfressenden Sorgen nicht anhand meiner Stimme anmerken. Für gewöhnlich gelang mir das. Immerhin sollte man als Pirat robust sein.
"Das musst du nicht. Jongho und ich passen auf", erwiderte er lächelnd und deutete nebenbei mit ausgestrecktem Arm auf den Schiffsmast, auf dessen Spitze sich Jongho befand und mithilfe eines Fernrohrs Ausschau hielt.
"Ach, willst du etwa nicht hören, wie die anderen sich darüber beklagen, dass dein Essen versalzen ist?", neckte ich den Größeren, hatte innerhalb von Sekunden meine Stimmung gewechselt. Ich kannte Yunho nun einmal zu gut. Auch wenn er der Einzige von uns war, der gut kochen konnte, nahm er des Öfteren zu viel Salz und damit zogen ihn die anderen andauernd auf. Mich mit eingeschlossen.
"Was? Nein, nein, so ist das nicht!", verteidigte er sich rasch und verschränkte beleidigt seine Arme. "Ich wollte dich nur ablösen", fügte er schmollend hinzu und seine Augen wurden dabei größer, runder. Sogleich fing ich an zu lachen, weil das wirklich niedlich aussah und war ihm innerlich dankbar dafür, dass er mich unbewusst abgelenkt hatte. Ich war verdammt froh darüber, Jungs wie ihn in meiner Mannschaft zu haben.
"Jaja, ich merk schon", grinste ich ihn an, ließ ihn hören, wie wenig ich ihm glaubte.
"Captain! Yunho! Da vorne ist etwas!" Ohne Vorwarnung unterbrach Jongho unser Gespräch und sofort schauten wir verwirrt aufs Meer hinaus, versuchten herauszufinden, was er meinte. Im selben Moment erblickten wir eine sehr kleine Insel, die wir normalerweise einfach ignoriert hätten, doch sie selbst war es nicht, was unsere Aufmerksamkeit erweckte.
"Hey! Ihr da! Bitte helft uns!", hörten wir leise Stimmen und somit bestätigte sich meine Vermutung, was die bunten, sich bewegenden Flecken waren. Keine Sekunde später sprach Yunho meinen Verdacht aus.
"Da vorne sind Menschen. Und sie scheinen Hilfe zu benötigen."
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Pirate King - The Lost Treasure [Pausiert]
Fanfiction»Hörst du sie? Die Geschichten, die die Winde erzählen? Die Melodien, die die Wellen mit sich tragen? Und das Blut, das von den Säbeln derer tropft, die bereit sind, alles zu tun? Hast du den Mut, dein Leben zu riskieren, um einen verloren Schatz zu...