Blutleere Blutsbande

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Karlina ging den dunklen Gang zurück und dachte über diese ereignisreiche Nacht nach. Nach all den Jahren der Einsamkeit hatte sich ein Mädchen in das Schloss verirrt. Ein Mädchen, das sie vom ersten Moment an gemocht hatte und das Karlina zu verstehen schien.

Aber Lena war ein Mensch, und für ihren Onkel somit nichts weiter als ein gedeckter Frühstückstisch. Für sie sollte es doch auch so sein, schließlich war sie eine Vampirin. Verflixt noch mal, bis gestern war das Leben so einfach. Aufstehen, Karte suchen, schlafen gehen. Langweilig, zugegeben, aber so einfach.

Bisher hatte ihr Onkel das Leben auf dem Schloss bestimmt und nun war urplötzlich alles anders. Karlina hatte sich entscheiden müssen.

Es war keine bewusste Entscheidung gewesen, sie hatte sie aus dem Bauch heraus getroffen - aus einer tiefen Sehnsucht. Und sie war fest davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Warum aber fühlte sie sich so schrecklich dabei?

Vermutlich hätte sie sich ebenso miserabel gefühlt, wenn sie sich anders entschieden hätte. Es war zum Verzweifeln.

Wie würde nun ihr Onkel reagieren?

Von oben hörte sie ein ohrenbetäubendes Krachen und die durchdringende Stimme des Grafen.

„Schneller! Ich glaube, ich weiß, wohin dieses Menschenkind mithilfe meiner Nichte fliehen will. Schnell zum Verlies, aus dem schon ...!" Er verstummte, als er unten an der Wendeltreppe ankam und vor Karlina stehen blieb. Mit einem Blick, der zugleich Wut und Trauer ausdrückte, blickte er seine Nichte an.

„Hast du ihr tatsächlich den Weg nach draußen gezeigt?"

Karlina nickte schwach und senkte ihren Kopf. „Es tut mir leid, Onkel Karl, es tut mir so leid ..."

Eine Träne lief über ihre Wange. Ungläubig starrte der Graf ihr in die Augen. Nach und nach wich die Wut aus seinem Blick und verwandelte sich in bittere Enttäuschung.

„Du wirst dich augenblicklich in den Traurigen Turm begeben und dort für unser leibliches Wohl sorgen. Anschließend bleibst du im Turm, bis ich dich wieder heraus lasse, hast du verstanden?"

Karlinas Augen weiteten sich. Sie holte zu einer Antwort aus, verstummte jedoch resigniert und machte sich auf den Weg.

„Hören Sie gut zu!", raunte der Graf den beiden Halbvampiren zu. „Das Mädchen befindet sich noch im Schloss und ich vermute, dass sie Sir Rigoberts Versteck finden wird. Sie folgen meiner Nichte und bringen mir eine Stärkung aus dem Traurigen Turm. Für die anstehende Jagd werde ich meine ganze Kraft brauchen", die Augen des Grafen bohrten sich in die seiner Gehilfen. „Anschließend machen Sie sich auf die Suche nach dem Mädchen. Doch seien Sie wachsam! Zweimal ist sie schon entkommen. Ich werde in der großen Eingangshalle wachen, der einzige Fluchtweg für das Mädchen ist die Tür nach draußen. Wenn Sie sie gefunden haben, überzeugen Sie sie davon, dass ich ihr die Freiheit schenke im Tausch gegen alles, was sich in Sir Rigoberts Versteck befindet, verstanden?"

Teilnahmslos nickten der Professor und sein Assistent.

„Und nun los, beeilen Sie sich!"

Umgehend machten die beiden Diener sich auf die Suche nach Lena, die sich inzwischen in einer heiklen Lage befand.

Jagd auf Lena - Eine Nacht auf Schloss RottsteinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt