Verschwörer in Not - Part 1

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„Bitte, Karlina, beeil dich!" Lena trieb ihre Freundin zur Eile an und schaute immer wieder nervös zur Tür der Bibliothek.

Staunend war Karlina in das Buch vertieft. Lena schüttelte sie. „Karlina, bitte, wenn dein Onkel den Tumult hier oben mitbekommen hat, dann wird er alarmiert sein. Was ist jetzt, kannst du den Text lesen?!"

Wie aus einem Traum schreckte Karlina auf und sah Lena an. Ihr Gesichtsausdruck war schwer zu deuten, aber Lena glaubte, darin eine tiefe Traurigkeit erkennen zu können.

„Er ist tot ...", murmelte Karlina mit ausdruckloser Stimme, „... tot ..."

„Tot?", fragte Lena. „Du meinst Sir Rigobert? Ja, es sieht ganz danach aus. Aber das ist jetzt unwichtig. Hast du den letzten Satz lesen können? Sprich doch, es ist wichtig!"

Kaum sichtbar schüttelte Karlina den Kopf.

„Nein, Lena, tut mir leid, ich kann dir nicht helfen. Es muss einen anderen Weg geben, um herauszufinden, was dort geschrieben steht."

„Nun, wir können es nicht ändern", sagte der Professor entschieden. „Zeigen Sie uns, was Sie noch gefunden haben, Fräulein Lena. Vielleicht hilft uns das weiter."

Lena nickte, holte das Stück Holz aus dem Lederbeutel und reichte es herum.

„Sonderbar", sagte der Professor stirnrunzelnd. „Besonders die winzigen Schriftzeichen an der Seite. Leider ist mir so etwas bisher nie begegnet. Es tut mir leid, ich habe keine Ahnung, was es mit diesem Holzstück auf sich hat."

Ernst sah er von einem zum anderen, holte tief Luft und sprach: „Liebe Freunde, es hat den Anschein, als müssten wir uns dem Grafen mit dem, was das Fräulein Lena gefunden hat, entgegenstellen. Wir müssen, wie sagten sie doch gleich, meine Liebe?", dabei sah er Lena an, „Wir müssen es wohl mit Bluffen probieren!"

„Was meinen Sie mit Bluffen, Herr Professor?", schaltete sich Karlina ein. „Sie wollen doch meinem Onkel nicht ohne irgendetwas Handfestes gegenübertreten! Selbst, wenn Sie ihm die zweite Kartenhälfte auf einem Silbertablett präsentieren, was derzeit mehr als unwahrscheinlich ist, dann heißt das noch lange nicht, dass er Sie alle fröhlich umarmen und anschließend in die Freiheit entlassen wird! Lena wird er trotzdem ..."

Bis hier kam Karlina, dann wurde sie lautstark von Pierre unterbrochen, der an der Tür der Bibliothek Wache hielt.

„Ich höre Schritte! Schnelle Schritte!", rief er aufgeregt, „Ich glaube, sie kommen von der Treppe. Was sollen wir tun?"

Lena, Karlina und der Professor sahen sich fragend an.

„Karlina und Lena!", rief der Professor endlich. „Sie müssen so schnell es geht verschwinden. Ich habe keine Ahnung wohin, doch Sie müssen sich verstecken, irgendwo! Verflucht, wir brauchen mehr Zeit. Fräulein Karlina, wir müssen Ihren Onkel aufhalten! Gibt es eine Möglichkeit, die Tür der Bibliothek zu verschließen?"

„Verschließen?" Karlina dachte nach.

„Schlüssel gibt es für fast alle Türen im Schloss. Sie befinden sich an der Wand auf der Treppe, die nach unten führt. Dort haben die Menschen eine Glasvitrine mit unzähligen Schlüsseln aufgehängt, zum Angucken." Ihr Blick wanderte zu Lena. „Verstehe einer euch Menschen - Schlüssel zum Angucken!"

Lena zuckte nur mit den Schultern.

„Nein", sprach Karlina weiter, „wir können die Tür von hier aus nicht verschließen."

Wie in die Enge getriebene Beute sahen die beiden Mädchen sich um.

Der Dietrich.

Lena stürzte ohne Vorwarnung zur Tür. Und kramte in ihren Taschen.

„Machen Sie Platz, Pierre, Beeilung!", rief sie und drängte den jungen Assistenten von der Tür weg.

„Fräulein Lena, was machen Sie denn da? Bleiben Sie von der Tür weg, Sie müssen sich verstecken!" Der Professor lief hinter Lena her und hielt sie am Arme fest.

„Vertrauen Sie mir, Herr Professor, ich weiß genau, was ich tue", sagte Lena und sah dem Professor fest in die Augen. „Bitte!"

Der Professor zögerte. Dann nickte er und ließ sie los.

Mit einer Hand griff Lena nach der Klinke, mit der anderen fischte sie in ihrer Hose herum und holte endlich das längliche Stück Metall heraus, an dessen Ende sich so etwas Ähnliches wie die Zähnchen eines Schlüssels befanden.

Nervös zitternd bekam sie das Werkzeug irgendwie in das Schlüsselloch und stocherte hektisch darin rum, schaffte es jedoch nicht, sich zu konzentrieren.

Immer wieder rutschte ihr der Dietrich aus der Hand. War es nur Einbildung oder hörte sie vom Gang her tatsächlich Schritte näher kommen?

Dann stand plötzlich Karlina neben ihr und hielt ihre Hand. Und obwohl ihre Freundin sich seltsam kalt anfühlte, durchfuhr Lena ein angenehmer Schauer. Sie entspannte sich.

Nach zwei weiteren Versuchen drehte sich der Dietrich im Schloss herum - die Tür war abgeschlossen. Lena und Karlina sahen sich an und grinsten.

„Gib mir fünf!", sagte Lena und hob ihre rechte Hand.

„Fünf?" Karlina sah sie mit fragendem Blick an. „Fünf was?"

Auch Pierre, der die Szene belustigt verfolgte, zuckte mit den Schultern, als Karlina ihn fragend ansah.

„Mensch, du hast ja gar keine Ahnung", antwortete Lena amüsiert.

„Also, ,Gib mir fünf', das macht man, wenn man etwas gemeinsam gewuppt ... also ... geschafft hat. Etwas, das man alleine nicht hinbekommen hätte, denn ..."

„Es ist wirklich reizend, wie Sie die verehrte Karlina über Gepflogenheiten Ihrer Altersgruppe in der heutigen Zeit aufklären, Fräulein Lena", unterbrach der Professor die beiden Mädchen flüsternd, „aber bitte machen Sie das doch später, wenn ..."

Klack! Der Türgriff wurde plötzlich mit großer Kraft von der anderen Seite hinunter gedrückt. Wer dort hinter der Tür stand, war unschwer an dem lautstarken Wutausbruch zu erkennen, als Karl von Rottstein gewahr wurde, dass die Tür verriegelt war.

Jagd auf Lena - Eine Nacht auf Schloss RottsteinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt