Jagd auf Lena - Eine Nacht auf Schloss Rottstein

Rattengeheimnisse

  
Kochend vor Wut eilte Karl von Rottstein durch die Gänge seines Schlosses.

Seine Nichte hatte ihn in dieser Nacht bitter enttäuscht und sich seinen Befehlen widersetzt.

Am schlimmsten jedoch war, dass sie sich mit einem Menschenkind angefreundet hatte - einer Mahlzeit! Nie hätte er gedacht, dass es möglich sein würde, beim Anblick eines Menschen etwas anderes zu empfinden als Durst.

Aber Karlina war zu jung, um zu wissen, was richtig für sie war.

Sie musste doch sehen, dass all seine Anstrengungen darauf ausgerichtet waren, alles zum Besseren zu wenden. Sie würden in ihre Heimat zurückkehren können, zu Ihresgleichen!

Und, verflixt noch mal, sie würden endlich wieder etwas Vernünftiges zu essen bekommen!

Der Gedanke an das Blut Lenas ließ seine Schritte schneller werden, als sich plötzlich etwas in seiner Tasche regte.

Die kleine Ratte.

Der Graf hielt inne und holte das zierliche Tier aus seinem Umhang. Es schien nicht mehr ohnmächtig zu sein.

Mit interessiertem Blick musterte er die Ratte und dann hatte er plötzlich eine Idee...

Warum war er nicht eher darauf gekommen? Mit einem zufriedenen Grinsen setzte er seinen Weg fort.

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In der Eingangshalle ging der Professor vor dem Kamin auf und ab. Er versuchte, sich über das weitere Geschehen klar zu werden.

Wie groß waren Karlinas Chancen, rechtzeitig im Traurigen Turm zu sein bevor ihr Onkel dort auftauchte?

Würde Lena durchhalten oder würde sie sich in das Versteck Sir Rigoberts begeben und dort einfach den sicheren Tag abwarten?

Für den Professor und Pierre würde es das Ende bedeuten, soviel war klar.

Der Graf würde ohne Zweifel seine Drohung wahr machen und ihn und Pierre genüsslich der Sonne aussetzen.

Vielleicht wäre das sogar die beste Lösung, dachte der Professor.

Er fühlte sich plötzlich sehr alt und den Anforderungen dieser Nacht nicht mehr gewachsen. Eine bleischwere Müdigkeit legte sich auf seine Seele.

Als er sich in einem nahe stehenden Sessel niedergelassen hatte, fielen ihm umgehend die Augen zu. Bilder dieser Nacht erschienen traumgleich: Pierre, der Graf, Kartenhälften, Sternenbilder.

Schließlich sah er die junge Lena vor sich und dazu Karlina, die in Lena endlich eine Freundin gefunden hatte.

Zwei Mädchen, die es bislang in ihrem Leben auf unterschiedliche Weise nicht leicht gehabt hatten und die ihr Leben eigentlich noch vor sich haben sollten.

Auch über Pierre, seinen oftmals tollpatschigen Assistenten, dachte er nach. Er hatte ihn in all den Jahren nicht besonders freundlich behandelt.

Pierre hatte ihm immer wieder als Blitzableiter für seinen Frust über ihr Dasein und das Verschwinden seiner Frau gedient.

Heute Nacht hatte der junge Kerl allerdings gezeigt, dass einiges mehr in ihm steckte.

Auch er hatte mehr verdient als dieses „Leben".

Und schließlich erschien das Bild seiner Frau, seiner geliebten Marlène, vor seinen Augen. Nein, sie sollte hier in diesem Schloss nicht umsonst ums Leben gekommen sein.

Der Professor öffnete die Augen, griff in seine Tasche und holte eine Taschenuhr heraus. Sie funktionierte schon lange nicht mehr und das, was sich darin befand, erfüllte ihn mit Schmerzen.

Er öffnete die Uhr und schaute in den Deckel, in dem ein Bild eingearbeitet war.

Es war das Bild der schönsten Frau der Welt: Seiner Frau. Zärtlich strich er mit dem Zeigefinger über ihr Antlitz und seine Augen füllten sich mit Tränen.

Für kurze Zeit vergaß er, wo er war. Unwillkürlich fiel er in die Vergangenheit zurück, Bilder seines längst vergessenen Lebens erschienen vor seinem inneren Auge.

Und dann spürte er plötzlich neue Energie in sich. Nein, aufgeben konnte er jetzt nicht. Er würde alles in seiner Macht stehende tun, um dem Schicksal seiner Freunde eine positive Wendung zu geben !

Der Professor erschrak als unvermittelt der Graf vor ihm stand. In seiner rechten Hand saß - mehr tot als lebendig - eine weiße Ratte. Lorraine ...