IX

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MILO

Es waren drei Wochen vergangen, nachdem Kilian das erste Mal bei mir gewesen war.
Ab diesem Tag holte er mich fast jeden Morgen ab und brachte mich zur Schule.
Wenn er es nicht schaffte schrieb er mir am Abend zuvor eine Nachricht und sagte mir Bescheid.

Er half mir tatsächlich viel.
Manchmal telefonierten wir abends, wenn wir nicht schlafen konnten und erzählten dem Anderen irgendwelche Dinge.
Schreiben taten wir auch oft.
Er gab sich viel Mühe. Das wusste ich.
Ich war dankbar für seine Geduld, da ich wusste, wie sehr er seinen Wolf oftmals zurück halten musste.

Mein Hirn kam manchmal gar nicht mehr mit. Es war soviel in einem Monat passiert. So viel Gutes, dass es schon fast ungewöhnlich für mein Leben war.

Isaiah heulte mich schonmal gerne voll, dass wir ihm endlich alles sagen sollten und vor allem, Kilian endlich an uns ran lassen sollten. Uns markieren lassen und all das.

Ich war dazu jedoch nicht bereit. Ich wusste nicht, ob ich mich überhaupt jemals dazu bereit fühlen würde.
Die Anziehung zwischen uns wurde von Tag zu Tag immer stärker und ich musste mich verdammt gut in seiner Nähe konzentrieren, um nicht aufzufallen.

Gestern hatten June und ich ihn in der Stadt getroffen.
Ich war mir nicht sicher, ob es ein Zufall war oder ob er schon wusste, wo ich war.
Wir waren in einem kleinen Café gewesen und hatten gerade unsere Bestellung aufgegeben.
Der junge Mann warf mir immer wieder verführerische Blicke zu, als er uns an der Theke bediente.
Ich fühlte mich dabei mehr als nur unwohl und war erleichtert als ich plötzlich einen unverkennbaren Geruch wahrnahm.

Die Türklingel ertönte und kurze Zeit später schlangen sich zwei starke Arme um meine Taille. Ich brauchte mich nicht umdrehen um zu wissen wer das war. Es war mir schon von Anfang an klar.
Der junge Mann vor mir guckte leicht ängstlich zu Kilian, als diesem ein leises Knurren entfuhr.
June neben mir lachte bei dem Anblick und auch ich grinste vor mich hin.

Ich legte meine eine Hand auf seine, während ich die Krücken in der Anderen hielt und beruhigte ihn damit ein wenig.
Kilian gab mir einen Kuss auf die Wange.
„Ich nehme auch noch einen Eiscafé.", sagte er bedrohlich ruhig und bekam ein Nicken von seinem Gegenüber.

„Das wären dann 11,60 €.", sprach er leise und schaute mich kein einziges Mal mehr an.
Kilian bezahlte für uns und wir setzten uns an einen kleinen Tisch.

„Toller Auftritt, der Herr.", lobte ihn June und fing erneut an zu lachen.

„Er soll bloß seine Finger bei sich behalten.", sagte Kilian immer noch aufgebraust.

„Es ist doch nichts passiert."
Beruhigend legte ich meine Hand auf sein Bein und nahm einen Schluck meines Getränkes.
„Sonst wäre er auch schon längst tot.", antwortete er mir schulterzuckend und schaute mich an.

„Wehe!"
Warnend hob ich meinen Zeigefinger und schaute ihn gespielt böse an.
Daraufhin lachte er jedoch nur und nahm meine Hand in seine.

„Ich bring euch noch nach Hause.", erklang Kilians Stimme neben mir.

Wir waren gerade aus dem Café gegangen, wo Kilian dem Mitarbeiter noch ein letztes Mal seinen Killerblick zu geworfen hatte.

Er führte uns zu seinem Auto in welches wir einstiegen. Zuerst brachten wir June nach Hause, welche sich von uns verabschiedete und uns noch ein schönes Wochenende wünschte.

Es war bereits am dämmern und somit um die sechs Uhr.
Bald kam der Frühling auf welchen ich mich sehr freute.
Das hieß, die Bäume begannen erneut zu blühen, die Vögel würden durch den Wald fliegen und etwas mehr Stimmung in die Stille bringen.
Ebenso hieß das, mehr Tiere im Wald und somit mehr Essen.

„Woran denkst du?", fragte mich Kilian und schaute mich dabei liebevoll an.

„An den Frühling.", antwortete ich wahrheitsgemäß und erwiderte seinen Blick.

Vor meiner Haustür blieb ich noch kurze Zeit sitzen, ehe ich Kilian einen Kuss auf die Wange gab und mich schnellstmöglich aus dem Auto ins Haus machte.
Ich wusste, ich hatte ihn damit durcheinander gebracht, da ich ihm bisher noch nie einen Kuss gegeben hatte.

***

Ich fragte mich wann wir uns so nah gekommen waren. Küsschen hier, Umarmung da, Händchen halten und und und.
Es gefiel mir, gar keine Frage. Aber ich hatte Angst davor, wenn er die Wahrheit erfuhr. Er würde mich von sich stoßen. Von mir enttäuscht sein oder sonst etwas.

Denk nicht so über ihn.

Wieso nicht? So gut kenne ich ihn nun auch nicht, um zu wissen wie er reagiert.

Eben. Du kannst es nicht wissen. Also denk nicht darüber nach.

Okay, okay, Isaiah.

Müde streckte ich meine Pfoten von mir und gähnte einmal ausgiebig.
Ich lag am Bach und hatte gerade einen Hasen verspeist.
So konnte man auch Geld sparen.

Ich zuckte erschrocken zusammen, als ich ein Knacken hinter mir hörte.
Flink stand ich auf allen Vieren und schaute mich um.
Langsam wich ich immer mehr zurück und als ich leuchtende Augen und leises Knurren hörte, rannte ich los.

Ich wusste nicht wohin, aber ich rannte einfach.
Ich rannte um mein Leben.
Drei Wölfe waren hinter mir her, welche ich nach kurzer Zeit als meine Klassenkameraden ausmachen konnte.

Liam, Ethan und Aiden.
Nicht unbedingt meine liebste Gesellschaft gerade.
Ich sprang über Wurzeln und lief Zick Zack um die Bäume.
Es erinnerte mich an meine Kindheit.

Schlechter Zeitpunkt, Milo.

Tschuldigung.

Ich sprang erneut über eine Wurzel und landete genau in einer Jägerfalle.
Diese riss mich in die Luft.
Ich merkte den Schmerz an meiner rechten Vorderpfote und jaulte gequält auf.

Fuck.
Ich glaub ich heul gleich.

Solche Schmerzen hatte ich noch nie.
Es fühlte sich an, als ob mein Bein gleich ab wär.

Durch meine Geschwindigkeit schlug ich sogar noch mit meinem Kopf gegen einen Baum, welcher mich augenblicklich ausknockte.

Solitarius LupusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt