XXX

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MILO

Ich saß neben June im Englischunterricht und starrte die kleine, pummelige Lehrerin an.
Sie schrieb eine erneute Aufgabe an die Tafel, welche wir erledigen sollten.
Jedem hier war klar, dass wir dies nicht mehr schaffen würden, da wir nur noch drei Minuten Unterricht hatten.

„Wer das nicht mehr schafft, macht die Aufgabe zu Hause fertig!", sagte sie laut und guckte mich an.

Sie mochte mich nicht, da ich die letzten Wochen so oft gefehlt hatte und das schien sie persönlich zu nehmen.
War mir aber egal, denn ich mochte sie ebenso wenig.
June packte bereits ihre Sachen ein und schaute erwartungsvoll auf die Uhr.

Als es klingelte sprang sie auf und sprintete als Erste aus dem Raum.
Ich lief ihr gemütlich hinterher und sah sie dann draußen an unserem Stammplatz.
Dort redete sie bereits mit Tyler, welcher seit kurzer Zeit ebenfalls neu hier war.
Als ich den ersten Tag wieder regelmäßig zur Schule kam, hatte er mich sofort entdeckt.
Er schien ein Auge dafür zu haben, herauszufinden wer schwul ist, denn er hatte mich direkt angesprochen.
Auf meine Antwort hin, ich hätte kein Interesse und wäre sowieso schon vergeben, hatte er nur mit den Schultern gezuckt und sich weiterhin an mich ran gemacht.
Er war ein normaler Mensch und erkannte daher die Markierung nicht.
Ich hatte Kilian davon erzählt, welcher das eher weniger lustig fand, aber da Tyler einfach nur flirtete, hatte ich ihm verboten etwas zu unternehmen.

Ich blieb stehen und schaute mich um.
Ich würde erst zu June gehen, wenn Tyler weg war. Auf eine weitere Begegnung mit ihm hatte ich heute keine Lust.

Ich entdeckte Aiden, welcher auf seine Freunde zu ging und lief ebenfalls in ihre Richtung.
Normalerweise stellte ich mich nicht zu ihnen, aber wen anders mochte und kannte ich nicht.
Meine Krücken nervten mich.
Da konnte ich mein Bein endlich wieder bewegen und musste sie trotzdem bei mir haben.
Kilian und ich hatten heute Morgen zehn Minuten lang diskutiert, bis ich nachgegeben hatte.
Aber auch nur, weil wir sonst zu spät gekommen wären und er mich mit Küssen weich bekommen hatte.

Emilia bemerkte mich als Erste und lächelte mir freundlich zu.
Ich begrüßte die Wölfe und lehnte mich neben Liam an die Mauer.

„Was machst du denn hier?", fragte Ethan irritiert.

„Bin vor Tyler geflüchtet. Der redet mit June und ich behaupte mal zu euch würde er nicht kommen.", lachte ich und schaute in die Runde.

„Achja. Der ist schon ein Komischer.", lachte Aiden mit mir.
„Der hat sich auch schon an mich rangemacht. Seitdem er mich dann mit Troy in der Stadt gesehen hat, lässt er mich in Ruhe."

„Vielleicht sollte Kilian ihm Mal einen Besuch abstatten.", grinste Emilia und brachte uns anderen zum Lachen.

„Das überlebt der nicht.", sagte ich und schüttelte den Kopf.

„Apropos. Ich soll dich nach der Schule mit zu uns nehmen. Anweisung des Alphas.", sagte Liam und wackelte mit den Augenbrauen.

Daraufhin zeigte ich ihm nur meinen Mittelfinger und verdrehte die Augen.
Liam hatte Kilian und mich vor ein paar Tagen im Bett erwischt.
Fragt mich nicht wieso er reingekommen ist, denn als Werwolf sollte er uns schon vorher gehört haben.

Gedankenverloren starrte ich durch die Gegend, während sich die anderen Wölfe unterhielten.
In der Ferne erblickte ich eine dunkle Gestalt im Schatten der Bäume.
Sie erinnerte mich an den Typ aus dem Café und verwirrt runzelte ich die Stirn.
June zog jedoch meine Aufmerksamkeit auf sich, als sie zu uns rüber kam.

„Ich gehe schonmal rein, ok? Ich muss noch auf Toilette.", teilte sie mir mit und verschwand nach einem Nicken meinerseits.

Die Schulglocke ertönte und das Rudel machte sich auf den Weg ins Innere des Gebäudes.
Ich blieb jedoch weiterhin stehen und blickte erneut auf die Stelle im Wald, wo der Mann gestanden hatte.
Der Schulhof leerte sich, jedoch fand ich die Person nicht mehr.

Ich wollte mich gerade zum gehen umdrehen, als sich plötzlich eine Hand auf meinen Mund legte und ein Arm um meinen Bauch mich nach hinten zog.
Geschockt ließ ich meine Krücken fallen und versuchte mich aus dem festen Griff zu lösen.
Panisch krallte ich meine Finger in die Haut der Person und brachte sie dazu mich stöhnend loszulassen.

„Fuck! Das tat weh!", schrie eine männliche Stimme und ließ mich zu ihm herum fahren.

„Josh?!", schrie ich ebenfalls und schaute ihn mit aufgerissen Augen an.

„Na Kleiner.", lachte dieser und rieb sich seinen Arm.

„Was-... was zum Teufel?"
Mein Blick wanderte ihn einmal auf und ab. Er hatte sich sehr verändert.
Er war größer, hatte noch mehr Muskeln als er damals schon gehabt hatte und seine Haare waren so lang, dass sie unter seiner Kapuze hervorlugten.

Seine grünen Augen schimmerten mir dunkel entgegen und kopfschüttelnd hielt ich mir eine Hand vor den Mund.
Tränen bahnten sich ihren Weg meine Wangen hinunter und verschwammen mir meine Sicht.

Er kam langsam auf mich zu und drückte meinen, im Vergleich zierlichen, Körper an sich.
Seine Hände fuhren meinen Rücken entlang und strichen mir durchs Haar.
Meine Finger krallten sich in den Stoff seines Hoodies und zogen ihn noch näher zu mir.

„Ich hab dich vermisst, kleiner Bruder.", hörte ich Josh schniefen.

„Ich hab dich auch vermisst.", flüsterte ich und löste mich vorsichtig von ihm.

„Was machst du hier? Wie hast du mich überhaupt gefunden?", fragte ich irritiert und schaute meinen Bruder an.

„Ich habe von unserem Onkel gehört, dass Mum und Dad gestorben sind. Ich habe sofort versucht dich ausfindig zu machen, aber egal wen ich gefragt habe, niemand konnte mir helfen.", erzählte er.

„Von Seth?", fragte ich und versuchte mich daran zu erinnern ob wir noch einen anderen Onkel hatten.

„Ja von Seth. Unserem einzigen Onkel, Milo.", lachte Josh.

„Ich habe dich zwei Jahre gesucht. Ich kann es grade irgendwie gar nicht glauben, dass du vor mir stehst. Du hast dich so verändert, Miles.", lächelte er und brachte mich ebenfalls zum Lächeln, als er meinen von ihm erfundenen Spitznamen verwendete.

„Du bist verrückt. Zwei Jahre? Du hast die letzten zwei Jahre nach mir gesucht?"

„Naja was hätte ich denn tun sollen? Die Ärzte haben mir keine Auskunft gegeben und eine Nummer um mal eben anzurufen hatte ich auch nicht.", antwortete er amüsiert.

Erstaunt betrachtete ich meinen älteren Bruder und versuchte passende Worte zu finden.
Ein plötzliches Knurren ließ uns zur Seite blicken.
Kilian trat mit einem wütenden Blick und dem halben Rudel hinter einem Gebüsch hervor.
Als er bei mir ankam zog er mich besitzergreifend an sich und warf Josh einen bösen Blick zu.

Solitarius LupusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt