XXIV

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KILIAN

Ich hatte Augenringe bis nach Timbuktu und meine Haut war bleich.
Ich könnte einem Vampir glatt Konkurrenz machen.
Ich schlurfte nach unten in die Küche und schaute mich um.

Bevor Liam mich wieder zwangsernähren musste, nahm ich mir selber einen Apfel aus dem Korb.
In Gedanken versunken schaute ich aus dem Fenster und erschrak als sich eine Hand auf meine Schulter legte.

„Du isst.", teilte mir Liam unnötigerweise mit.

„Mhm.", gab ich nur zurück und blickte wieder nach draußen.

„Dafür siehst du echt scheiße aus. Du solltest einfach mal zu ihm hinfahren und mit ihm reden. Ihm geht es bestimmt mindestens genauso schlecht wie dir.", fing er erneut an.

„Er ist abgehauen. Also kann er auch wieder hierher kommen. Ich renne ihm nicht hinterher.", konterte ich und biss aggressiv in den Apfel.

„Alles klar. Dafür kann der Apfel aber nichts, das weißt du schon, oder?", grinste er mich von der Seite an.

Daraufhin zeigte ich ihm nur meinen Mittelfinger und ging ins Wohnzimmer.
Auf der Couch starrte ich auf den Fernseher.

„Weißt du. Ich bin so blöd. Ich hätte darauf kommen müssen. Die ganzen Gemeinsamkeiten. Der Unfall, als Troy mit seinen Eltern zu mir kamen. Genau zu der Zeit.", sprach ich, da ich wusste, dass Liam mich immer noch hören konnte.

Er setzte sich neben mich und wir schauten uns eine Weile an.

„Nein."

„Was nein?"
Irritiert blickte ich in seine Augen.

„Nein, du konntest es nicht wissen. Nein, du bist nicht blöd, sondern verliebt."

„Ich..."

„Nein! Lass mich ausreden! Man sagt nicht umsonst, man ist blind vor Liebe. Und sei mal ehrlich. Es ist dir doch völlig egal wer er ist oder dass er es dir nicht erzählt hat. Du wusstest am besten, dass er Geheimnisse vor dir hatte. Ich verstehe nicht einmal, warum du dich so benimmst. Warum bist du so sauer auf ihn? Weil er Bryson umgebracht hat? Wohl kaum."

„Weil... weil er einfach abgehauen ist. Ich habe einfach das Gefühl, dass... ach keine Ahnung!", schrie ich auf und legte meinen Kopf in den Nacken.

„Du machst Drama aus etwas, das gar nicht da ist. Du weißt nicht warum er abgehauen ist. Und wie findest du den Grund heraus? Genau. Du gehst ganz einfach zu ihm hin und fragst ihn. Oder traust du dich das etwa nicht mehr?"

Verzweifelt schaute ich ihn an, gab ihm aber keine Antwort.

„Denk drüber nach, Kilian.", sagte er noch, ehe er verschwand und mich mit meinen Gedanken alleine ließ.

Ich wusste ja selber nicht warum ich mich nicht traute zu ihm zu gehen. Vielleicht weil ich dachte, dass er mich wieder wegstößt? Eigentlich hatten wir doch genau das hinter uns gelassen oder?

„Kilian! Wo bist du? Ich muss mit dir reden! Sofort!", schrie eine mir bekannte Stimme durchs ganze Haus.

„Hier.", antwortete ich nur leise und nahm einen weiteren Bissen meines Apfels.

„Wir haben ein Hühnchen miteinander zu rupfen, Freundchen. Mir ist egal ob du nun mein Alpha bist, aber das was du im Moment abziehst geht gar nicht."

„Schon wieder? Könnt ihr mich nicht einmal für zehn Minuten in Ruhe lassen? Ja, ich weiß ich habe scheiße gebaut. Ich weiß, dass ich mit Milo reden muss und ja, das werde ich auch tun. Aber gönnt mir denn keiner mal ein bisschen Ruhe? Darf ich nicht auch mal nachdenken?", jammerte ich rum und ließ mich weiter in die Couch sinken.

„Was? Du gehst hin?", ertönte Troy's erstaunte Stimme.

„Ja, tue ich. Er ist mir schließlich wichtig."

„Na dann interessiert es dich ja auch sicherlich wie es ihm geht.", sagte er und blickte auf mich herunter.

„Wieso? Was ist denn mit ihm?", fragte ich panisch und setzte mich kerzengerade hin.

„Als ich eben dort ankam, musste ich ihn aus seinem Bett zerren. Alleine gehen konnte er nicht, dann wäre er zusammengeklappt. June hat ihm Essen gemacht, das ist aber direkt wieder vorne raus gekommen und dann ist er beinahe vor der Toilette ohnmächtig geworden. Im Moment liegt er schlafend auf der Couch und wenn man ihn anspricht, muss man das mehrmals machen, damit er erstmal merkt, dass jemand neben ihm steht.", erzählte Troy vorwurfsvoll und ließ mich einmal schlucken.

Dass es ihm so schlecht ging, hatte ich nicht erwartet. Aber wie sollte es schon sein? So mitten in der Markierung, machte ihm das natürlich noch mehr zu schaffen als mir.

„Fuck.", sagte ich nur und betrachtete meine Hände.

„Du schwingst jetzt deinen Arsch von der Couch und gehst zu ihm. Das kann ich mir nicht länger anschauen."

Nickend stand ich auf und drückte ihm im Vorbeigehen meinen halb gegessenen Apfel in die Hand.
Ich zog flink meine Schuhe an und verschwand aus meinem Haus.
Eine Jacke war unnötig. Mir wurde ja eh nie wirklich kalt.

Ich fuhr mir einmal frustriert durch die Haare und sprintete los.
Innerhalb von Minuten stand ich vor seinem Haus.
Im Schatten der Bäume beobachtete ich June durch das Küchenfenster, wie sie gerade ein Glas Wasser in die Hand nahm.
Damit ging sie ins Wohnzimmer und hockte sich neben die Couch.

Ein schlaffer Körper setzte sich auf und trank einen Schluck aus dem Glas.
Er sah fertig aus. Noch viel schlimmer als ich es mir vorgestellt hatte.
Seine Augen irrten durch die Gegend ohne zu wissen wohin sie gucken sollen.
Er fokussierte sich auf nichts und ich hörte wie June mehrmals ihre Frage wiederholte, ehe sie eine Antwort bekam.
Diese bestand nur aus einem Kopfschütteln und dann legte sich Milo auch schon wieder hin.

Meine Hand zitterte als ich die Klingel drückte.
Es dauerte eine Weile bis sich die Tür öffnete und als June erkannte wer da vor ihr stand, atmete sie erleichtert aus.

„Gott sei Dank bist du hier.", sagte sie und zog mich ins Haus.

„Er ist im Wohnzimmer.", lächelte sie und verschwand in der Küche.

Langsam setzte ich einen Fuß vor den Anderen und blieb im Türrahmen stehen, als ich seine Gestalt ausmachen konnte.
Er hatte die Augen geschlossen, jedoch schlief er nicht. Ebenso bekam er nicht mit, dass sich ihm jemand näherte.

Ich nahm behutsam seine Hand in meine und spürte das Kribbeln auf meiner Haut.
Seine Augen schlugen auf und fixierten sich auf mich. Er brauchte ein bisschen Zeit um zu realisieren, dass ich tatsächlich da war.

„Hey.", flüsterte ich und legte meine freie Hand auf seine Wange.

Milo zog sich an meinem Arm hoch und schlang seine um meinen Hals.
Wärme durchströmte meinen Körper und ließ mich augenblicklich besser fühlen.
Ich hob ihn leicht hoch und legte mich unter ihn.
Ich verteilte Küsse auf seinem Hals und auf der Markierung.
Ich spürte wie sich Milo immer mehr an mich krallte und etwas nasses meine Haut entlanglief.
Als ich realisierte, dass er tatsächlich weinte, kamen mir ebenfalls die Tränen.

Solitarius LupusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt