Jack:
Als Kay außer Sichtweite war, richtete ich mich vorsichtig auf. Doch gleich im nächsten Moment zuckte ich erschrocken zusammen. Das Adrenalin hatte bereits nachgelassen und langsam nahm ich die Schmerzen wieder wahr. Prüfend betrachtete ich meinen Arm. Das Blut war teilweise schon geronnen. Wie eine dünne Hülle lag es auf meiner bleichen Haut und verschleierte die Verletzungen. Bei dem Versuch die Schulter zu bewegen, zuckte ich erneut zusammen. Beide Wunden sahen nicht gut aus. Langsam stand ich auf. Es wäre wohl besser sofort loszugehen und die Verletzungen zu versorgen. Trotzdem entschloss ich, noch etwas zu warten, anstatt gleich zum Wohnhaus zurück zukehren. Das Risiko war zu groß, Kay noch ein weiteres Mal zu begegnen. Ich wollte ganz sicher sein, dass er auch wirklich weg war.
Auf einem Umweg, der mich etwa 15 Minuten mehr kostete, schlich ich mich zu der Rückseite meines Wohnhauses. Als ich an den Ranken hinauf zum Balkon sah, wurde mir schmerzhaft bewusst, dass mein jetziger Zustand es nicht zuließ, dass ich an ihnen hochkletterte. Also blieb nur der normale Eingang. Zur Sicherheit warf ich einen Blick um die Hausecke. Niemand zu sehen. Geduckt schlich ich zu der großen Eingangstür. Langsam drückte ich die eiserne Klinke runter und öffnete den Eingang einen Spalt. Auf leisen Sohlen schlich ich ins Haus. Auch hier war wieder niemand zu sehen. Kein Wunder. Es musste schon recht spät sein.
Vorsichtig ging ich die hölzerne Treppen hinauf, bis ins dritte Geschoss. Im ganzen Haus war es bereits totenstill. Alle anderen schienen zu schlafen und das war auch gut so. Wenn mich jemand bemerkte, würden nur Fragen aufkommen, auf die ich keine Antworten hatte. Als ich mein Zimmer am Ende des Flures erreicht hatte, trat ich ein und schloss schnell die Tür. Alles war noch so, wie ich es zurückgelassen hatte. Mein zugeschlagenes Notizbuch und der dünne Bleistift lagen auf dem Tisch, die Balkontür war leicht geöffnet und der Sekundenzeiger der Uhr wanderte seine gleichmäßigen Runden. Das beruhigte mich irgendwie.
Als erstes führte mich mein Weg zur Kommode. Dort nahm ich ein paar neue bequeme Sachen heraus und hängte sie mir vorsichtig über die heile Schulter. Noch ein prüfender Blick, dann verließ ich das Zimmer wieder. Geduckt und langsam schlich ich den Korridor entlang ins Gemeinschaftsbad.Ich war alleine. Erleichterung durchfuhr mich. Meine Sachen legte ich auf die Theke, neben den Waschbecken. Suchend wanderten meine Augen umher. Irgendwo musste es einen Erste-Hilfe-Koffer geben. Den gab es in jedem Zimmer, zudem alle Schüler Zutritt hatten. Es war eine Maßnahme der Schule, damit nicht immer alle bei der kleinsten Verletzung ins Krankenzimmer mussten. Die Kästen wurden jede Woche kontrolliert und wenn nötig, wieder aufgefüllt. Leider schien der letzte Benutzer diesen hier nicht an seinen Platz zurückgehängt zu haben. Etwas hilflos durchstöberte ich das Gemeinschaftsbad. er war nirgends zu finden.
Mein letzter Gedanke war die kleine Abstellkammer, hinter dem Duschraum. Tatsächlich. Endlich hatte ich ihn gefunden. Ich nahm ihn in die linke Hand, wobei ich darauf achtete, die Schulter nicht zu sehr zu bewegen. Das Gewicht drückte nach unten. Mein Arm gab soweit es ging nach. Den Weg zu den Waschbecken spürte ich ein unangenehmes Stechen. >>Einfach nicht beachten<<
Der Koffer kam direkt neben meine neuen Klamotten auf die Theke. Verarzten ging jetzt aber noch nicht. Zuerst musste das Blut ab. Das Ausziehen war gar nicht so leicht. Mit zusammengebissenen Zähnen zog ich erst den rechten Arm aus dem Shirt , um es danach Stück für Stück von meiner verletzten Schulter zu entfernen. Unter einem dünnen Strahl Wasser wusch ich dann das Blut ab. Nachdem alles so gut wie möglich gesäubert war, desinfizierte ich meinen Arm und meine Schulter. Es brannte ein wenig, aber es musste sein. Eine Entzündung konnte ich jetzt wirklich nicht gebrauchen.
Damit die Wunden besser heilen konnten, legte ich noch einen groben Verband an. Dabei stellte ich mich nicht gerade geschickt an. Das war auch kein Wunder. Meine Schulter ließ so gut wie keine Bewegung schmerzfrei zu und mein Arm nur einen Teil. Nach einer ganzen Weile war es dann endlich geschafft.Mittlerweile war mein Herzschlag auch wieder zur Ruhe gekommen. Ich atmete einmal tief durch. Der Gedanke >> Du lebst noch<< pochte unaufhörlich in meinem Kopf. Stimmte zwar und ich hatte auch schon schlimmer zugerichtete Werwölfe gesehen. Kay hätte mir auch die Beine verstümmeln oder mir den Bauch aufreißen können. Die Vorstellung daran schüttelte mich. Besser ich dachte nicht mehr darüber nach. Es war vorbei oder zumindest vorerst. Jetzt musste nur noch alles weggeräumt werden.
Als auch das geschafft war und ich die neuen Sachen anhatte, kehrte ich in mein Zimmer zurück. Mein ganzer Körper schrie danach, sich auszuruhen. Er hatte genug. Also ließ ich mich erschöpft in mein weiches Bett sinken. Die ganze Aufregung hatte wirklich an meinen Kräften gezerrt. Ich war ziemlich müde. Meine Augen waren wie Blei und bettelten darum, endlich zufallen zu dürfen. Nach einer kurzen Suche, um eine halbwegs angenehme Position zu finden, erlaubte ich es ihnen. Die Dunkelheit umhüllte mich und ich schlief ein.
Am nächsten Morgen erwachte ich in der selben Haltung, wie ich eingeschlafen war. Dazu kamen nur noch Rückenschmerzen. Stöhnend kämpfte ich mich aus meinem Bett. Eigentlich sagte mein Körper mir, ich solle liegen bleiben. Einfach weiterschlafen und ihm Zeit zur Heilung geben. Das war aber nicht möglich. Egal wie es mir ging, ich musste zum Unterricht. Also kämpfte ich mich hoch. Irgendwie gelang es mir, mich ordentlich anzuziehen und meinen Körper zum Schulgebäude zu schleppen.
Da es niemanden gab, der viel mit mir zu tun hatte, bemerkte auch keine, wie sehr ich mich quälte. Das war auch besser so. Oder vielleicht nicht? Wäre es doch schlauer zum Direktor zu gehen und alles zu erzählen? Oder wenigstens zu einem Lehrer? Wohl eher nicht. Was sollte schon groß geschehen? Selbst wenn man Kay dafür zur Verantwortung ziehen würde, wäre die Strafe milde. Schließlich hat er mich nicht umgebracht. Es würde nur bezwecken, dass er noch wütender auf mich wird. Nicht gerade vorteilhaft. Das Versprechen, das ich ihm gab, müsste so oder so erfüllt werden. Das war sozusagen ein ungeschriebenes Gesetz unter uns Wölfen. Es war ein Gesetzt der Ehre.
Deshalb ließ ich es bleiben und versuchte einfach normal weiter zu machen. Der restliche Tag verging so ruhig und ereignislos, wie jeder andere auch. Wirklich etwas vom Unterricht mitbekommen tat ich nicht. Bei jeder kleinen Bewegung fühlte ich die Schmerzen in meinem Arm. Selbst beim Schreiben hatte ich Probleme. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, ein paar Schmerztabletten zu nehmen, aber im Bad waren morgens zu viele andere. Wahrscheinlich hätte es niemanden gekümmert, wenn ich mir ein paar mitgenommen hätte, doch die Unsicherheit hielt mich davon ab. Dumm, ich weiß. Mittlerweile wünschte ich auch, eine Tablette eingeworfen zu haben. Vielleicht sollte ich mir eine in der Pause holen. Gute Idee.
Zurück in der langweiligen Geschichtsstunde. Die monotone Stimme unseres Lehrers machte es mir wirklich nicht leicht, wach zu bleiben. Und so wie auch diese Stunde, verstrichen die nächsten im Schneckentempo. Es war als würde die Zeit generell langsamer voranschreiten. Auch dieser Tag verging ganz normal. Es gab keinerlei besondere oder beunruhigende Vorkommnisse.
Was meine nächtlichen Wanderungen betraf, hatte ich entschieden, noch später loszugehen. Es war besser, da ich durch meine Verletzungen vorerst nicht richtig klettern konnte. Deshalb musste ich immer durch die Tür nach draußen und so war ich leichter entdeckt zu werden. An manchen Abenden erschien es mir besser, gar nicht erst loszugehen. Im Hinterkopf behielt ich stets, dass meine immer gleichen Abläufe wohl der Grund dafür waren, dass Kay mir auflauern konnte. Die Änderungen hatten demnach auch einen Vorteil.
Zu meinem Glück gab es im Internat keine festgelegte Schlafenszeit und es Interessierte niemanden, wie lange man weg blieb. Solange man seine Aufgaben als Schüler erfüllte und nichts anstellte, fragte keiner nach.
Tagsüber mied ich auch weiterhin die anderen Schüler. Trotzdem kam ich nicht umhin, ab und zu Kay und seinem Gefolge nach Schulschluss zu begegnen. Meist versuchte ich dann so schnell wie möglich aus deren Blickfeld zu verschwinden und flüchtete mich in irgendein nahe gelegenes Versteck. Gelang mir das mal nicht rechtzeitig und Kay bemerkte mich, lag jedes Mal ein Grinsen auf seinem Lippen. Die Bedeutung davon war mir jedoch fern. Um ehrlich zu sein, wollte ich auch gar nicht genau wissen, was er dachte.
Trotzdem beschlich mich oft das Gefühl, als würde er sagen: - ich weiß das du da bist. Du wirst mir nicht entkommen - Wenn dieser Fall eintraf, stellten sich mir die Nackenhaare auf und ein eiskalter Schauer jagte über meinen Rücken. Dennoch ist er nie zu mir gekommen oder hat versucht mich anderswo aufzuspüren.
Schon ein, zwei Mal war mir der kleine Hoffnungsschimmer durch den Kopf gelaufen, dass er mir nur Angst machen wollte. Vielleicht würde er den Gefallen nie einfordern. Was könnte er auch schon von mir wollen? Vielleicht hatte er ihn auch schon vergessen. Vielleicht würde mit der Zeit Gras über die Sache wachsen.
Und doch wusste ich irgendwie, dass es nicht so sein konnte. Das Gefühl blieb, dass er mich nicht so leicht davon kommen lasen würde. Viel mehr wirkte es wie die altbekannte Stille vor dem Sturm.
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Afraid of the Alpha
Про оборотней, „Bitte nicht. Bitte" bettelte ich. Dabei kam ich mir so erbärmlich vor, aber gerade war ich es auch. Kay blieb ungerührt. „Ths Ths Ths. Erst gibst du mir ein Versprechen , damit ich dich verschone und nun willst du es einfach nicht halten. Was sol...