Der Hunger kam auch nicht wieder. Während der restlichen Zeit stocherte ich nur ein wenig auf meinem Teller herum und versuchte noch ein bisschen zu essen. Doch wirklich viel landete nicht mehr in meinem Magen.
Als schließlich das schrille Läuten der Klingel das Ende unserer Pause ausrief, verabschiedete ich mich von Oskar. Wir waren nicht wirklich nochmal ins Gespräch gekommen, sondern hatten uns eher die letzten Minuten nur angeschwiegen.
Die Atmosphäre dabei war gedrückt und hinterließ ein unwohles Gefühl. Auch der Abschied fiel nur knapp aus. Es schien, als wüsste keiner von uns so genau, was er hätte sagen können. Ich ebenso wenig wie er.In dieser drückenden Stimmung folgte ich schließlich dem Weg zum Resteimer, um den größten Teil des Ballastes auf meinem Tablet loszuwerden. Als der letzte Klecks Essen von meinem Teller rutschte, kam in mir zu allem Überfluss auch noch das schlechte Gewissen auf.
Es war unnötig. Eine unnötige Verschwendung, aber ich konnte mich nicht überwinden, es noch hinunterzuwürgen. Nicht das es schlecht schmeckte, das würde ich nie behaupten. Der Grund war das flaue Gefühl in meinem Magen, welches einfach die Überhand gewonnen hatte.Nachdem auch das Tablet im Wagen für das dreckige Geschirr verstaut war, machte ich mich auf zu Niko. Er hatte mir als das Pausenklingeln erklang, mit einem Handzeichen signalisiert, dass er draußen im Gang warten würde.
Während des kurzen Weges drehten sich meine Gedanken weiterhin um den unerwarteten Ausgang, den diese Pause genommen hatte. Er gefiel mir nicht. Ich fühlte mich schlecht und verwirrt. Schlecht wegen diesem Gefühlsausbruch oder wie auch immer man das nennen könnte. Und verwirrt, weil das überhaupt nicht zu mir passte. Dazu kam noch die Enttäuschung über Oskar's Ablehnung.
Mein Ziel war gewesen, ihm zu helfen, neue Leute kennenzulernen, damit er nicht mehr alleine sein musste. Ich wollte ihm helfen, sich wieder besser zu fühlen, doch dann erreichte ich genau das Gegenteil.
Der Ausdruck auf seinem Gesicht bei unserem Abschied war traurig oder besser gesagt bedauernd. Mir stellte sich die Frage, was in seinem Kopf vorging.Vielleicht hätte ich nochmal mit ihm sprechen müssen und versuchen sollen, ihn besser zu verstehen. Vielleicht hätte es geholfen. In jeder anderen Situation hätte ich diese Wahl getroffen, doch nicht heute. Es lag nicht an Oskar, sondern an dem Thema oder besser gesagt, an der Person, um die sich das Thema drehte.
Wenn ich genauer drüber nachdachte, brodelte noch ein weiteres Gefühl in mir.
Wut.
Ich war wütend auf Kay und ich war wütend über die Tatsache, dass ich Oskar nicht verstand. Etwas in mir wollte es auch gar nicht verstehen.
Oskar hatte seine Gründe, sich so zu entscheiden, wie er es eben tat, doch für mich waren diese einfach nicht verständlich und seine Sichtweise eben so wenig nachvollziehbar.Das Bild in seinem Kopf, das von einem guten Kay, welches er mir zu schildern versuchte, widersprach einfach voll und ganz dem, was ich bis jetzt kennengelernt hatte.
>>Lüge<< sagte die leise Stimme aus dem Inneren. Ein kleines Bild tauchte vor meinem geistigen Auge auf. Es zeigte das Krankenzimmer. Die Reihe mit Krankenbetten. Drei davon waren belegt. Die Personen schliefen, während eine vierte vor mir zum Ende des Raumes ging.
Ich erkannte Kay.
In kurzen Abschnitten spielte sich der Film in meinem Kopf ab. Es war die Erinnerung daran, wie er mich stützte. Daran, wie dieser schwarzhaarige Junge die nötigen Hilfsmittel aus den Schränken holte, dann vorsichtig meine Verletzungen desinfizierte und anschließend half, alles zu verbinden.
Die Szene verblasste und wurde durch eine andere Erinnerung ersetzt. Die Umgebung blieb gleich, nur in einem anderen Moment.Dieses Mal handelte es sich um den, als ich ihn verarztete und er mir dankte. In diesem Augenblick war Kay die Person, die Oskar sah.
Genau dort erkannte man keinen Stolz, keine Anzeichen von der Kälte, die jeden zum Schweigen brachte. Das war nicht der Kay, der gnadenlos zu sein schien.
Stattdessen war sein Blick warm, das Wort Danke sanft und voller Ehrlichkeit.
Ich schüttelte den Kopf und schob die Bilder weit nach hinten.>>warum?<< Nur ein Flüstern. Ich wusste es nicht, oder doch? Vielleicht lag es an der immer wiederkehrenden Erinnerungen an unsere erste Begegnung.
Sie waren immer da. Wie ein Schleier hingen sie über meinen Gedanken, sobald jemand von Kay sprach. Und das immer mit einem Gefühl aus Angst verbunden.„Jack?" Nikos Stimme holte mich zurück.
„Alles okay?" Der Blick meines Freundes war etwas besorgt.
„Ja" Ich hielt einen Moment inne. „Also nicht so ganz. Ich bin mir nicht sicher." Nikos Haltung veränderte sich ein wenig. Sein Körper spannte sich kaum erkennbar an, aber der Ausdruck seiner Augen blieb gleich.
„Was ist los?", fragte er mit ruhiger Stimme.
„Ich habe mich mit Oskar...na ja...gestritten oder so etwas in der Art." Meine Augen wanderten automatisch nach unten. „Weswegen?", fragte er.
Ich seufzte leise.„Eigentlich wegen gar nichts. Es war auch nicht wirklich ein richtiger Streit. Ich bin nicht sauer auf ihn und ich denke, er auch nicht auf mich, aber ich verstehe ihn einfach nicht."
„Er möchte nicht zu uns, richtig?" Betrübt nickte ich.
„Er sagt, dass es kein anderes Rudel für ihn gibt und dass es seine eigene Schuld war, verbannt zu werden." Die Haltung meines Freundes entspannte sich wieder vollends. Er war wahrscheinlich davon ausgegangen, dass Oskar mir irgendetwas angetan hatte.
„Als du mir erzählt hast, dass du ihn gerne zu unserer Gruppe holen möchtest, hatte ich schon vermutet, dass er ablehnen würde." Augenblicklich hob ich den Kopf wieder und sah Niko überrascht an.
„Wieso?"
„Weil Kay sein Alpha war und das schon seit mehr als sechs Jahren. oskar wird die Verbindung, dieses Band, welches während dieser Zeit entstanden ist, nicht einfach aufgeben."
Ich wusste, dass unsere Art einen starken Treueinstinkt besaß, so wie auch die Wölfe in der Wildnis einen haben, doch das war mir während unserer Diskussion nicht eingefallen.
„So habe ich das noch gar nicht gesehen." „Dann hilft es dir vielleicht beim nächsten Mal. Ich denke, du solltest noch einmal mit ihm reden."
Das stand außer Frage. Ich wollte nicht, dass es ab jetzt bei jedem Essen so war, wie heute.
„Das werde ich." Für einen Augenblick hielt ich inne und überlegte. „Würdest du Kay als einen guten Alpha beschreiben?Als die Rede nun direkt zu Kay schwankte, verspannte sich Niko erneut und auch stärker als zuvor. Trotzdem blieb seine Stimme ruhig."
„Ehrlich gesagt, kann ich mir über ihn als Anführer kein Urteil erlauben. Ich hatte nie viel mit ihm zu tun und kenne seine Leute auch nicht." Er überlegte kurz, bevor er weiter sprach.
„Trotzdem kann ich dir sagen, dass ich, nachdem was du uns erzählt hast, weder viel von ihm halte, noch ihm vertrauen würde. Das gleiche denke ich auch von Oskar. Nachdem er dich angegriffen hat, verstehe ich nicht, wie du ihn als Freund sehen kannst."
„Aber warum rätst du mir dann, noch einmal mit ihm zu reden und sagst nicht, dass ihm fern bleiben soll?" Niko's Auftreten verwundert mich. Erst schien er so gegen Oskar zu sein.
Er wollte mich überzeugen, nicht zu ihm zu gehen und nahm stets eine Abwehrende und kühle Haltung ein, sobald es um ihn ging. Was hatte sich geändert?Mein Freund fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
Dabei fielen ein zwei etwas längere Strähnen wirr in sein Gesicht.
„Wie ich sagte, ich vertraue Oskar nicht und wenn er auch nur irgendwas versuchen sollte, was dir schadet, werde ich ihn auch nicht davon kommen lassen. Aber du gehörst zu meinen Freunden und wenn du dich dazu entscheidest, anderen zu vergeben und dich mit ihnen anzufreunden, dann vertraue ich dir dabei."
Als er den Satz beendet hatte, fühlte ich mich gleich besser.
Es war ein unbeschreiblich gutes Gefühl, zu wissen, dass er mir vertraute.
„Danke, Niko." Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen.
„Das heißt aber nicht, dass ich damit aufhöre, auch mal auf dich einzureden."
„Hätte ich auch nicht erwartet."Nun mussten wir beide lachen und das war ein schönes, ein erleichterndes Gefühl. Zwar löste es nicht meinen Konflikt mit Oskar, aber das musste es auch nicht. Allein die Tatsache, dass meine Gefühle mich nicht mehr so stark erdrückten, wie zuvor, half.
Umso größer wuchs zudem meine Zuversicht, dass dieser Konflikt zwischen mir und Oskar, sich klären würde.
„Da du jetzt auch wieder lächelst, denke ich, es wäre gut, wenn wir schnell zum Unterricht gehen."
Der Vorschlag war nicht schlecht. Mittlerweile waren wir nämlich die einzigen im Flur.
„Ich glaube wir sind zwar so oder so zu spät, aber wir müssen die Geduld der Lehrer nicht weiter provozieren."
„Ich denke, du hast recht."

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Afraid of the Alpha
Werewolf, „Bitte nicht. Bitte" bettelte ich. Dabei kam ich mir so erbärmlich vor, aber gerade war ich es auch. Kay blieb ungerührt. „Ths Ths Ths. Erst gibst du mir ein Versprechen , damit ich dich verschone und nun willst du es einfach nicht halten. Was sol...