-44- Busfahrt

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Der Reisebus setzte sich langsam in Bewegung und rollte vom Internatsgelände.
Durch die Fensterscheibe sahen wir, wie unsere Freunde sich langsam von uns entfernten und immer kleiner wurden. Isabell winkte uns noch nach, während Jim, Lea und Yuri sich schon wieder Richtung Wohnhaus aufmachten.
Alice antwortete ihr energisch.

Dann bog das metallene Gefährt um eine Ecke auf einen schmalen Sandweg ein.
>>Ab jetzt gibt es kein zurück mehr.<<
Das mulmige Gefühl in meinem Magen war geblieben. Eigentlich gab es dafür doch keinen Grund mehr, oder? Seit dem Abend im Krankenzimmer sind Kay und ich uns nicht mehr wirklich begegnet.
Er schien sich sogar eher vor mir fernzuhalten oder kam es mir vielleicht nur so vor? Jedenfalls gab es keine Anzeichen auf einen Zug von seiner Seite aus.
Und dennoch ließ mich allein seine Anwesenheit unruhig werden. Wir saßen im selben Bus, nur ein paar Sitzreihen voneinander entfernt. Das Wissen, dass er mich von seinem Platz aus sehen konnte, aber ich ihn nicht, verschlimmerte das ungute Gefühl nur noch mehr.
Eigentlich war das doch ziemlich dumm. Immerhin könnte es auch sein, dass jetzt alles vorbei war und Kay mich wieder wie jeden anderen ignorieren würde.
Schließlich waren diese...Vorfälle nun schon mehrere Wochen her.
Bei dem Gedanken daran wurde mir selbst jetzt noch schlecht.
>>Hör endlich auf, darüber nachzudenken. Es wird nichts passieren. Du wirst nie wieder mit ihm zu tun haben<<

Bei dem Versuch meinen erhöhten Herzschlag, durch bewusstes Ein- und ausatmen, wieder zu beruhigen, wurde Alice auf mich aufmerksam.
Sie drehte den Kopf zu mir. Ein fragender Ausdruck lag in ihren Augen.
„Alles in Ordnung", versuchte ich mich rauszureden. Sie sollte sich keine Gedanken machen. Nicht jetzt, wo wir gerade losgefahren sind und ich sie davon überzeugt habe, dass ich schon klarkommen würde. Und erst recht nicht, weil ich anscheinend paranoid war.
„Ich glaube, ich bin nur etwas aufgeregt. Mein Herz schlägt ein wenig schnell." Das braunhaarige Mädchen blickte mich erst einen Moment lang an. Dann schloss sie die Augen und schien zu lauschen.
„Du hast recht, ich kann es hören." Ihre Augen öffneten sich und ich sah in ein leuchtendes Blau.
„Das ist ja komisch. Wir sind doch gerade erst losgefahren. Du bist doch nicht das erste Mal auf einem Ausflug. Oder etwa doch?"
In dem Moment fiel mir nur das Wort süß ein. Die Art und Weise, wie der,für sie typische, kindlich Ton in ihrer Stimme mit der Frage mitschwang, beruhigte mich irgendwie.

„Nein, ich bin schon zweidrei Mal gefahren, aber nie länger als drei Tage."
„Vielleicht liegt es daran. Für mich ist es auch der erste große Ausflug."
„Und, bist du aufgeregt?" Alice sah mich lächelnd an.
„Nein, kein Bisschen. Ich kann es sogar kaum erwarten. Weißt du, die zwei Klassenfahrten im letzten Jahr waren leider nicht für meine Klasse eingeplant. Dabei hatte ich so gehofft, schon früher zu fahren." Sie hielt kurz inne. „Aber dafür werden wir nächstes Frühjahr ganz bestimmt eine längere Zeit unterwegs sein. Darauf freue ich mich schon, auch wenn noch nicht wirklich fest steht, wann genau oder wo es hingeht."
„Bestimmt irgendwo in die Berge. Dort ging jedenfalls meine erste Reise hin."
„Meinst du?" Alice Augen strahlten erfreut. „Das wäre toll. Ich wollte schon immer mal in die Berge. Aber nicht in so kleine, sondern in die richtig richtig Großen. Zu denen, wo man nur mit Seilen und Spitzhacke hochkommt. Genau wie es in den Filmen gezeigt wird."
Ein Lächeln legte sich auf mein Gesicht. „Naja auf so hohen Bergen waren wir nicht, aber wenn du größer bist, können wir vielleicht mal einen Ausflug in Regionen mit solchen Giganten machen."
„Meinst du? Das wäre super schön."
Das kleine Mädchen ließ ihren Blick hoch zur Gepäckablage über uns gleiten.

„Wenn es so weit ist, müssen wir den höchsten Berg hochklettern. Und von der Spitze aus können wir dann das gaaaanze Land sehen."
Ich folgte Alice's Gedankengang. Vor meinem inneren Auge tauchten schon die ersten Berge aus. Gewaltig ragten sie dem Himmel entgegen. Das Bild wechselte. Nun standen wir auf der schneebedeckten Spitze.
Im Schnee.
Unter uns erstreckten sich die verschiedensten Landschaften. Von Wiesen über kleine Dörfer und große Städte, bis hin zu weiteren Bergkuppen. Ich konnte den kalten Wind förmlich im Gesicht spüren und die Lieder hören, die er mit sich trug.
In solchen Höhen wie Alice sie sich erträumte musste man sich unendlich frei fühlen. Gelöst von der Welt, die man alltäglich sieht. Weg von den Sorgen und Problemen. Frei von allen Verpflichtungen und Ängsten.
„Ja das wäre schön", flüsterte ich leise, bevor meine Gedanken zurück in die Realität kehrten. Schließlich lagen schon in wesentlich greifbarerer Zukunft andere Abenteuer auf uns.

Afraid of the AlphaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt