„Soll man dir vielleicht helfen?"

177 5 6
                                    

Ich raste die Straße hinunter und versuchte keine meiner vier Taschen zu verlieren, die mir um den Kopf flogen. Ich war viel zu spät Zuhause losgelaufen und nun wusste ich nicht, ob ich den Bus noch erwischen würde. Warum musste ich ausgerechnet heute dieses blöde Kunstprojekt fertigstellen? Ich rutschte beinahe auf dem noch nassen Bürgersteig aus als ich hastig um die Kurve rannte. Der Bus stand schon an der Haltestelle, aber es standen noch genügend Leute auf dem Bürgersteig, die noch einsteigen mussten. Ich stolperte die letzten Schritte bis zur Fahrertür und versuchte in der kleinen Schlange halbwegs zu Atem zu kommen.

Ich kramte umständlich mein Ticket heraus und versuchte es auf den Scanner zu legen. Leider behinderten mich meine vier Hängetaschen dabei, meinen Arm höher als zehn Zentimeter zu heben. Ich unterdrückte ein Fluchen und wollte gerade die Taschen fallen lassen, als jemand mir die Karte aus der Hand nahm. „Soll man dir vielleicht helfen?" Ich drehte erstaunt meinen Kopf zu der tiefen Stimme und erblickte einen Jungen aus meiner Schule. Ich kannte seinen Namen nicht, aber ich hatte ihn schon einige Male bei einem Footballspiel gesehen. Ich nickte ein wenig überfordert und er legte die Karte auf den Scanner. Dann gab er sie mir wieder. Ich lächelte und bedankte mich. Ohne weiter auf ihn zu achten, hastete ich in einen freien Vierer und ließ mich mit einem lauten Seufzer auf einen Platz fallen.

Ich hörte ein Lachen neben mir und bemerkte, dass sich der Junge in den Vierer neben mich gesetzt hatte. Ich lächelte leicht, unsicher ob er über mich lachte oder nur über die Situation. Er zeigte auf meine Taschen: „Schwere Last?" Ich verdrehte die Augen: „Wohl eher schwere und bescheuerte Last. Kunstprojekt für Ms. Darcy." Er zog eine Augenbraue hoch: „Das muss wohl die hochmotivierte Ms. Darcy sein, von der ich schon so viel Gutes gehört habe." Ich nickte ausgiebig, dann sah ich ihn fragend an: „Hast du kein Kunst?" Er zeigte nochmal auf meine Taschen: „Genau damit mir das da erspart bleibt, habe ich Musik gewählt." Ich wollte gerade kontern, da fiel eine Tasche vom Bremsen auf den Boden und meine Pinsel verteilten sich auf dem Boden. Ich gab nach: „Gute Wahl."

Bis ich alle Pinsel endlich aufgesammelt hatte, waren wir schon an der Schule angekommen. Ich hievte meine Taschen über meine Arme und sah zum Vierer neben mir. Der Junge war schon aufgestanden und stand vor dem Gedränge der Tür. Wie als hätte er meinen Blick gespürt, sah er nochmal zurück. Er hob die Hand: „Man sieht sich, viel Glück bei deinem Projekt." Ich lächelte und versuchte die Hand zu heben. Ich scheiterte und schlug mir imaginär eine Hand gegen die Stirn. Als ich mich wieder konzentrierte, war er verschwunden.

Ich runzelte die Stirn. So eine komische Begegnung hatte ich wohl noch nie gehabt, zudem war er mir noch nicht einmal beim Busfahren aufgefallen. Ich schüttelte ihn aus meinen Gedanken und reihte mich zum Gedränge. Draußen war ich kurz verwirrt wo ich eigentlich war. Überall schwirrten Leute umher und ich hatte vollkommen vergessen welches Fach ich jetzt überhaupt hatte. „Gott, du bist so blind." Links neben mir ertönte die amüsierte Stimme meiner besten Freundin Harper. Sie stand lässig gegen eine Säule gelehnt da, ihre Kopfhörer lagen um ihren Hals. Wie immer sah sie angsteinflößend und gut zugleich aus.

Ihre braunen mit lila Strähnchen durchflochtenen Haare waren zu zwei hohen Zöpfen hochgebunden und sie trug ein rotes anliegendes Kleid über das sie ein lockeres, schwarzes Netzkleid geworfen hatte. Ihre Füße steckten in schwarzen DocMartens mit regenbogenfarbigen Schnürsenkeln und ihr Makeup hatte sie wahrscheinlich nur wenige Minuten gekostet, sah aber dennoch unermesslich aufwändig aus. Ich humpelte zu ihr hin und scherzte: „Wie konnte ich dich nur übersehen." Sie drehte sich einmal im Kreis: „Hat mich fast eine Ansprache meines Vaters gekostet und das ist es total wert." Ich lächelte: „Du siehst klasse aus."

Sie boxte mich gegen den Arm und ich stolperte einen Schritt nach vorne: „Genau deswegen bist du meine beste Freundin, bei dir muss ich nicht nach Komplimente betteln." Ich verdrehte die Augen und versuchte nicht aus dem Gleichgewicht zu raten als sie sich auch noch bei mir einhakte: „Du musst nie um Komplimente betteln."Wie auf Kommando lief Jerry, ein Junge aus ihrem Kurs, an ihr vorbei und pfiff anerkennend. Ich sah sie anklagend an und sie lächelte unschuldig und zog die Schultern hoch.

"Mach's besser."Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt