„Heute hab ich sogar zwei Glücksbringer."

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Harpers Wagen war so verdammt winzig, dass sogar meine Beine eingequetscht wurden. Ich wusste gar nicht, wie sie das aushielt. Aber sie bog pfeifend auf den Sportparkplatz ein und scrollte noch kurz in ihrem Handy bevor wir ausstiegen. Auf dem Parkplatz wimmelte es schon von Schülern und Eltern und ich hatte vergessen wie unwohl ich mich immer zwischen Menschen fühlte.

Harper kaute lässig Kaugummi und als sie mir einen anbot, nahm ich ihn dankend an. Es war laut und roch nach Hotdogs. Und schon knurrte mein Magen, ich verzog das Gesicht, vielleicht hätte ich davor noch etwas essen sollen. Harper öffnete neben mir eine Haribotüte und ich hatte keine Ahnung woher sie die schon wieder gezaubert hatte. Sie hielt mir frech lächelnd die Tüte hin und ich sah sie nur bitterböse an. Auch wenn ich wusste, dass Noah wahrscheinlich in der Kabine saß und einer mehr oder weniger motivierende Ansprache des Coachs lauschten musste, sah ich mich nach ihm um.

Harper zog mich etwas unmotiviert hinter ihr her und irgendwann konzentrierte ich mich nur noch auf Harpers Motive. Harper hatte eine Schwäche für Momentaufnahmen. Sie hasste jegliches Posing oder gestellte Fotos. Für sie war es das Schönste die pure Emotion einzufangen. Und das konnte sie verdammt gut. Sie fotografierte lachende, hüpfende Cheerleader und die gelangweilte Lehrerschaft, die Aufsicht hatte. Manchmal schwenkte sie die Kamera zu mir und machte ein Foto von mir. Ich versuchte immer irgendwelche Grimassen zu schneiden, was sie wiederum aufregte.

Fotografien von mir waren mir immer ein wenig unangenehm. Als sich Harper zum hundertsten Mal den Cheerleadern widmete, hörte ich gedämpft meinen Namen. „Claire." Es war keine Frage, es war mehr eine erleichterte Feststellung. Ich drehte mich fragend um, konnte aber niemanden erblicken, der mich meinen könnte. Ich hörte ihn nochmal: „Claire."

Ich sah in Richtung Kabinen und sofort zauberte sich ein Lächeln auf meine Lippen. Noah stand im Türrahmen und winkte mir schüchtern zu. Ich vergaß vollkommen Harper Bescheid zu geben, dass ich kurz weg war und ging mit schnellen Schritten auf Noah zu. Ich spürte, wie er mich von oben nach unten musterte. Ich blieb ungefähr einen Meter vor ihm stehen.

Er musterte immer noch mein Gesicht und ich sah verlegen auf den Boden: „Ist vielleicht ein bisschen übertrieben..." Noah trat einen Schritt zu mir: „Rot ist deine Lieblingsfarbe." Ich war erleichtert, dass er sich nicht über mich lustig machte. Ich zuckte mit den Schultern und als er mein Kinn anhob, wurden meine Knie weich. „Schade ist nur, dass ich deine Sommersprossen nicht mehr so gut erkennen kann."

Wahrscheinlich lächelte ich schon wieder dümmlich vor mir her, aber das war mir egal. Ich sah ihm in die Augen: „Viel Glück bei eurem Spiel." Noah bedankte sich mit seinen Augen und starrte in den Sturm aus Emotionen. Ich atmete kurz tief ein, trat einen Schritt nach vorne und küsste ihn sanft auf die Wange. Er roch nach frischem Wacholder und nach Kaffee. Komischerweise gefiel mir diese Mischung ziemlich gut und ich ließ mir Zeit mit meinem Rückzug.

Noahs Wangen wirkten im späten Nachmittagslicht rosa und ich kicherte leise. Noah schüttelte den Kopf und ließ mich dabei nicht aus den Augen. Erst jetzt bemerkte ich, dass er etwas in der Hand hielt. Er bemerkte meinen Blick und öffnete die Handfläche. Zum Vorschein kam eine simple, feine Silberkette ohne Anhänger.

Ich hatte sie bis jetzt noch nie an ihm gesehen und bemerkte aber sofort, dass sie zu ihm passte. Er zuckte verlegen mit den Schultern: „Ist mein Glücksbringer." Ich schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln. Seine Stimme war rau als er die nächsten Worte sagte: „Dreh dich um und schließ die Augen." Und wie auf Knopfdruck gehorchte ich. Ich spürte wie Noah meinen Zopf vorsichtig beiseite schob und dann spürte ich wie sich etwas Kaltes auf mein Schlüsselbein legte. Ich spürte seinen Atem an meinem Ohr: „Heute hab ich sogar zwei Glücksbringer."

Gänsehaut breitete sich von der Stelle die sein Atem berührt hatte auf meinen ganzen Körper aus. Ich öffnete die Augen und drehte mich um, sah aber nur wie er wieder in der Tür verschwand. Ich biss mir auf die Lippe und betastete vorsichtig meinen Hals. Er hatte mir die Kette umgelegt. Ich blieb noch einen Moment stehen um das Gefühl der Wärme zu genießen. Ein strenger Ruf aus der Ferne holte mich von meiner Wolke herunter. Harper stand am Tribünenanfang und winkte mich befehlend zu ihr.

Ich joggte noch immer lächelnd zu ihr hin und auch ihr böser Blick konnte mein Lächeln nicht schwächen. Harpers Augen wanderten hinunter zu meinem Hals. Ihre Augenbraue schoss nach oben: „Er schenkt dir was zum Zweitägigen? Wenn du ihn nicht heiratest, dann mach ich's..." Ich verdrehte die Augen: „Er hat's mir nicht geschenkt." Ich fügte mich erhobenem Kinn hinzu: „Er hat nur seinen Bedeutungswert verdoppelt. Wir sind seine Glücksbringer."

Harper schüttelte den Kopf: „Ihr seid echt eklig." Ich boxte sie, aber ich wusste genau, dass Harper es auch ein klein wenig romantisch fand. Denn ich kannte sie gut genug um zu sagen, dass auch in ihr ein kleiner Romantiker steckte. Das Geschrei und Getrommel auf der Tribüne wurde lauter und ich sah in Richtung Kabinen. Unsere Mannschaft schwärmte jodelnd aus ihrer Umkleide und sofort suchten meine Augen nach Nummer 7.

Ich fand ihn nicht, sagte mir aber, dass ich ihn leichter erkennen würde, wenn sie sich erstmal positionierten. Die Gegnerschule wurde ausgebuht und bekam nur mäßigen Applaus. Harper rannte hin und her und ich hatte Schwierigkeiten ihr auf Schritt und Tritt zu folgen. Einmal lief sie blindlinks gegen mich und schubste mich einfach auf die Seite. Soviel zur wichtigen Assistentin. Ich hatte leider fast keine Zeit mich dem Spielfeld zu widmen, weil ich zu sehr aufpassen musste wo Harper eigentlich hintrat.

Ganze zwei Mal rettete ich sie vor einem peinlichen Zusammenstoß mit dem Coach der gegnerischen Mannschaft und einmal von einer Totalkollision mit den Cheerleadern. Dennoch bekam ich einiges vom Spiel mit, da Harper dazu neigte mit sich selbst zu reden. Wir führten haushoch und wenn es nach Harper ging, dann würden sich das auch nicht mehr ändern, da sich die Gegner laut ihr als „Schlappschwänze" entpuppten.

Als tatsächlich schon der Endpfiff ertönte, sah ich überrascht auf. Unsere gesamte Schule brüllte und johlte und war von ihren Plätzen aufgesprungen. Die Freude übertrug sich schnell auf mich und ich lachte vollen Herzens mit. Gerade als ich mich Richtung Spielfeld drehen wollte, wurde ich umarmt und einmal im Kreis herumgewirbelt.

Ich kreischte lachend und erwiderte die Umarmung soweit es mit den Schulterprotektoren nur ging. Noah roch nach Schweiß und Wacholder und Kaffee und einfach nach... Noah. Ich spürte seine Arme um meine Taille und seinen Atem an meinem Hals. Seine Aufregung und Freude schien ansteckend und ich lachte, während er mich ein wenig hin und herwiegte. Er löste sich sanft von mir, seine Hände behielt er um meine Taille. Ich strahlte lächelnd zu ihm nach oben. Seine Augen leuchteten mir heller als sonst entgegen. In ihnen strahlten Freude und Glückseligkeit um die Wette.

Als ihm jemand von hinten auf die Schulter schlug, ließ er mich los. Dann brüllte er mit seinen Teamkollegen um die Wette und sprang glücklich auf und ab. Ich sah amüsiert lachend der Truppe zu und stand klatschend daneben. Harper gesellte sich zu mir, ihr Gesicht zierte ein selbstzufriedenes Lächeln. Ich sah sie strahlend an: „Gute Momente eingefangen?" Harper zuckte lässig mit den Schultern, aber ihr Lächeln verriet sie: „Kann schon sein. Kannst sie später jamal durchsehen und selbst beurteilen."

Ich konnte einfach nicht aufhören zu strahlen und nickte. Noah löste sich aus der Truppe und trabte nochmal zu mir, er wirkte plötzlich ganz verlegen: „Hey, du hast nicht zufällig Hunger?" Wenn es überhaupt noch möglich war, lächelte ich noch breiter: „Den hab ich tatsächlich rein zufällig." Ich hatte meinen Magen den ganzen Abend schon knurren hören, also musste ich nicht einmal lügen. Und selbst wenn ich keinen Hunger gehabt hätte, Essen konnte ich immer. Mein Lächeln verschwand plötzlich:„Oh... Moment."

Ich sah Harper an und dann schaute ich wieder bedauerlich zu Noah: „Weißt du, Harper und ich haben da diese Tradition, dass wir die Bilder aussortieren und entwickeln..." Harper sah mich mit offenem Mund an, dann schlug sie mich kräftig gegen den Oberarm.

"Mach's besser."Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt