„Ich hab aber keine Zeit."

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Ich fühlte mich nicht lebendig. Ich saß schon wieder vor seiner Zimmertür und er ließ mich nicht hinein. Besser gesagt, hatte er mich gebeten zu gehen. Das war eigentlich noch tausend Mal schlimmer als unbeantwortet vor seiner Tür zu sitzen. Das hieß, er wollte mich nicht hierhaben. Wahrscheinlich hatte er meine Nachricht noch nicht einmal gelesen. Ich seufzte und ließ mich an der Wand neben seiner Tür hinuntersinken. Gerade als ich mein Buch herausgeholt hatte und angefangen hatte die ersten Sätze zu lesen, hörte ich das Klicken seiner Tür. Er öffnete mir nicht, aber er ließ mich hinein.

Ich rappelte mich auf und drückte vorsichtig die Tür auf. Sein Zimmer war ein einziges Chaos und wie es aussah auch er selbst. Er hatte schon wieder nur sein weißes Shirt und seine schwarze Boxershorts an und er wirkte ganz verwahrlost in dem großen Raum. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt und sah mich verloren an. Wir standen eine ganze Weile nur voreinander und als ich einen Schritt auf ihn zu machte, fiel er weinend in meine Arme. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und führte uns vorsichtig zum Bett.

Dort hielt ich ihn eine ganze Weile. Ich erkannte ihn nicht. Es war als würde ich eine andere Person in den Armen halten. Er weinte eine Weile lang und irgendwann verstummten seine Schluchzer und das Beben seines Körpers verebbte. Ich spürte wie seine Tränen mein Shirt durchnässt hatten. Dann hörte ich gedämpft seine Stimme: „Es tut mir leid." Ich strich ihm über den Rücken: „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen." Er schob mich ein wenig weg und sah zu mir hinauf: „Doch, das muss ich." Er sah mir lange in die Augen: „Ich weiß nicht, wie ich es schaffen soll, dass du dich lebendig fühlst, wenn ich mich genau wie das Gegenteil fühle." Ich strich ihm über die Tränen verklebten Augen: „Du bist manchmal so bescheuert."

Er sah mich fragend an und ich rutschte neben ihn, damit wir auf Augenhöhe waren. „Du brauchst dich nicht zu bemühen, damit ich mich lebendig fühle. Ich brauche einfach nur dich." Er sah mich an und es schien als würde er meine Züge verinnerlichen. „Ich liebe dich, Claire." Ich lächelte ihn liebevoll an: „Und ich liebe dich." Und es war schön als er mich an seine Brust zog. Das erste Mal seit langem kuschelte ich mich an ihn, spürte seine Wärme und fühlte seinen bewusst gewollten Kontakt.

Als seine Hände unter mein Shirt wanderten, schloss ich vor Glückseligkeit die Augen. Ich schlich mich zu seinen Lippen hinauf und als ich dort angelangt war, war ich überrascht, dass ich doch noch dazu in der Lage war ein gewisses Feuer in ihm zu wecken. Ich würde mich heute noch lebendig fühlen, dachte ich, als ich ihm das Shirt über den Kopf zog.

„Noah, es sind deine Freunde." Wir saßen im fast leeren Café und warteten auf Ethan und Harper. Ich hatte ihn dazu überreden können, mitzukommen. Ich hatte aber versprechen müssen, dass es nur bei Harper und Ethan bleiben würde und auch zu einer Zeit passieren müsste, in der das Café noch nicht ganz so überfüllt sein würde. Fast hatte ich lachen müssen als er mich seine ganzen Bedingungen preisgab, aber ich wusste wie viel Überwindung es ihn kostete hier zu sein.

Ich nahm seine Hand und spürte wie er leicht bebte. Ich zog ihn an mich heran und gab ihm einen Kuss. Danach wirkte er leider nicht entspannter, denn er zog meinen Stuhl näher zu seinem und krallte sich an meine Hand. Er sah gehetzt hin und her und strich sich immer wieder seine Haare zurück. Ich lehnte mich zu ihm und fragte leise: „Wie fühlst du dich?" Er sah mich nicht an: „Beobachtet." Ich versuchte ihn kläglich zu überzeugen: „Niemand sieht uns an, Noah. Wir sind genau wie die anderen." Den letzten Teil bereute ich gesagt zu haben und biss mir auf die Lippen.

Noah nickte immer wieder um sich irgendwie selbst zu überzeugen. Es schien jedoch irgendwie auch nicht zu klappen. Ethan und Harper kamen gemeinsam zur Tür herein und ich winkte sie zu uns herüber. Noah starrte Ethan an als würde er gleich auf ihn losgehen. Dann stand er so abrupt auf, dass er beinahe seinen Stuhl umschmiss. Ethan versuchte sein Grinsen zu verstecken, seine Mundwinkel zitterten verdächtig. Ohne Vorwarnung zog er Noah in eine Umarmung. Noah stand steif da und ließ sich eine Weile etwas peinlich berührt von Ethan umarmen, bevor auch er langsam die Arme um seinen Freund schloss.

"Mach's besser."Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt