Ich stand vor dem Spiegel und fühlte mich wie bei einem Bewerbungsgespräch. Ich trug eine schwarze Jeans und eine helle Bluse. Es war gerade halb sechs und um halb sieben würde ich mich auf den Weg zu Noah machen. Es war das erste Mal, dass wir bei ihm sein würden und ich war seltsam aufgeregt. Ich wollte unbedingt in seine kleine Welt eintauchen und seine gesamte Existenz erkunden. Aber definitiv nicht in diesem Outfit. Ich zog mich aus und stand in zitternd in Unterwäsche vor meinem Spiegel.
Ich quiekte erschrocken auf als meine Zimmertür aufgestoßen wurde und knallte fast gegen meinen Spiegel. Harper spazierte pfeifend herein, sie balancierte zwei mit Waffeln bedeckte Teller in ihren Händen. Sie schlug die Tür lässig mit einem Fuß zu und sah dann zu mir. Ihr Blick glitt an mir hinab und sie pfiff flirtend: „Oh, da komme ich ja genau richtig." Ich schnaufte und ließ meine verkrampften Hände fallen: „Mensch, ich dachte du schon du wärst Noah..." Harper ließ sich im Schneidersitz auf meinen Teppich sinken und legte die Waffeln ab: „Und was genau wäre dann so schlimm?" Ich wollte etwas erwidern, stutzte dann aber. Eigentlich hatte sie Recht.
Noah war immerhin mein Freund und früher oder später würde er mich vielleicht in Unterwäsche sehen. Ich erschauderte bei dem Gedanken. Ich hatte nicht wirklich darüber nachgedacht, wie es wäre mit ihm zu schlafen, weil ich noch nie mit jemandem geschlafen hatte. Außerdem hatte ich immer mal wieder meine Probleme mit meinem nackten Körper. Vor allem wenn Harper schon wieder so aussah wie sie aussah. Sie trug eine pinke Netzstrumpfhose und kurze schwarze Shorts darüber. Ihr Oberteil glich eher einem BH und sie schien sich unglaublich wohl in ihrer Haut zu fühlen. „Hast du abgenommen?"
Sie holte mich aus meinen Gedanken und ich schaute erschrocken an mir hinunter. Ich war sowieso schon schmal und musste früher stark darauf aufpassen, dass ich nicht dünner wurde. Ich hatte leider einen ziemlich guten Stoffwechsel und egal wie viel ich aß, es war schwer für mich zuzunehmen. Viele machten sich dabei über mich lustig, aber sie verstanden wohl einfach nicht wie es war zu essen und trotzdem noch aufpassen zu müssen, gesund zu bleiben. „Was wieso?" Ich schaute panisch in den Spiegel und checkte mich kurz einmal rundum ab.
Harper war wohl bewusst geworden, was sie gerade gesagt hatte und sie sagte schnell: „Muss wohl von unten nur so ausgesehen haben." Ich sah sie an und ließ meine Schultern hängen. „Warum kann ich nicht mal normale Brüste haben?" Harper sah mich ohne jegliche Ironie an: „Weil du sowieso normale Brüste hast." Ich schlüpfte in meinen kuscheligen Bademantel und setzte mich zu ihr auf den Boden. Ich war froh, dass sie gekommen war ohne sie darum bitten zu müssen. Ich sah sie an: „Aber du..."
Sie unterbrach mich sofort: „Nichts da, mit du. Wie oft hab ich schon zu dir gesagt, dass wir uns nicht vergleichen sollen. Du bist perfekt wie du bist, okay? Wir sind komplett verschieden und das ist super so. Und nur weil ich hier und da ein wenig mehr Speck habe als du, macht mich das nicht automatisch attraktiver okay? Das wichtigste ist, dass du dich selbst magst." Ich lächelte sie ein wenig erschöpft an. Das erzählte sie mir immer, wenn ich mal wieder in eine dieser Phasen kam. Ich schaute meine kleinen Finger an: „Es ist nur... ich versuch es ja, aber irgendwie klappt es nicht so richtig."
Harper sah mich verständnisvoll an: „Es wird auch nicht von einem Tag auf den anderen klappen. Es braucht Zeit und selbst wenn du denkst, dass du so weit bist... es kann immer noch passieren, dass du wieder solche Phasen hast. Das ist vollkommen normal, mach dir keine Gedanken darüber." Ich nickte, ihre Worte ergaben wirklich einen Sinn für mich. Aber ich war einfach manchmal viel zu ungeduldig. Harper schob mir lächelnd die Waffeln entgegen und ich lachte: „Ich geh doch nachher noch zu Noah zum Essen. Wo hast du die überhaupt aufgetrieben?" Harper verdrehte die Augen: „Als wäre das ein ernsthaftes Argument gegen diese Waffeln. Dein Dad hat sie mir in die Hände gedrückt beim Reinlassen."
Ich lächelte. Mein Dad hatte früher schon immer die Angewohnheit gehabt, Prim und mir vor einem Wettbewerb oder einer schwierigen oder aufregenden Situation Waffeln zu machen und ich würde ihm später noch meine Dankbarkeit zeigen. Harper schnappte sich eine Waffel und biss herzhaft hinein. Ich teilte sie zuerst ordentlich in die verschiedenen Herzformen und wir lachten beide über unsere verschiedenen Herangehensweisen.
Ich drehte mich lachend einmal im Kreis für meinen Dad. Ich trug einen roten Rock und eine lockere, aber schicke Bluse und beides Flatterte um mich herum. Er sah mich stolz an und ich verdrehte die Augen. Im Geheimen fühlte ich mich jedoch genauso stolz wie er mich ansah. Harper war vor fünf Minuten gegangen und ich brachte nach dem Umziehen die Teller in die Küche. Ich bedankte mich bei meinem Dad und ich sah sofort, dass er sich freute, dass ich seine kleine Geste bemerkt hatte.
Ich schwang mich auf unsere Kücheninsel und sah ihn an. „Hat Prim sich gemeldet?" Er ließ Wasser in die Spüle laufen, um die paar Teller von Hand zu spülen. „Sie ist mittlerweile gelandet und es gefällt ihr sehr gut bis jetzt." Ich wusste sofort, dass sie Dad von unserem Streit erzählt haben muss, denn er wusste genau, dass ich eigentlich informiert sein sollte, weil er eben genau von unseren regelmäßigen Telefonaten wusste.
Ich seufzte. „Ich war einfach enttäuscht von ihrer Entscheidung uns nicht einmal mehr zu besuchen." Mein Dad sah mich nicht überrascht an und ich schenkte ihm den leicht schmollenden Du-hast-gewonnen-Blick. Er lächelte leicht und drehte sich mit dem Geschirrtuch zu mir um. „Sie baut sich momentan eben ihr eigenes Leben auf, Schatz. Vielleicht hindert sie ihr Altes dabei ein wenig." Ich sah ihn kalt an: „Genau so hat sie das mit Mom formuliert. Das ist nach vorne sehen sollte. Ich sehe nach vorne. Und ich sehe uns beide. Nicht Mom." Mein Dad sah mich geduldig an: „Deine Mom hat auch angerufen."
Ich sah ihn überrascht an und dann schlug ich mir die Hand gegen die Stirn. Ich hatte ein paar Skype-Gespräche wohl einfach übergangen. Und ihren Vorschlag auch. Dad wirkte ein wenig vorwurfsvoll, aber ich wusste, dass er mich niemals zu irgendetwas zwingen würde. „Wäre doch ein schöner Wochenendausflug..." Ich verschränkte die Arme vor der Brust: „Wenn sie keine Lust auf mein Leben hatte, dann hab ich eben auch keine Lust auf ihres." Ein Schatten legte sich über das Gesicht meines Dads und ich hatte das Gefühl, ich hatte eine wunde Stelle erwischt. „Sie hat sehr wohl Lust auf dein Leben, Claire. Das Einzige was sie nicht in ihrem Leben möchte, bin ich."
Ich sah ihn verletzt an: „Und genau deswegen passt es nicht, Dad. Du bist mein Leben." Er sah mich traurig lächelnd an: „Das ist sehr loyal von dir, Claire. Aber sie ist die Frau, die dich geboren hat." Er drehte sich um und ich eigentlich hätte ich ihn gerne umarmt. Er sah über die Schulter zu mir und lächelte frech: „Du kannst ja deinen neuen Verehrer mitnehmen." Ich musste gegen meinen Willen lächeln. Mein Dad schaffte es immer eine ernste Konversation aufzulockern. Jedoch würde ich sehr gerne einmal mit ihm über Mom reden. Und warum er um Himmels Willen niemand anderes gefunden hat. Na ja, eher gesagt gesucht hat.
Ich wusste, dass er seit meiner Mom kein einziges Date mehr gehabt hatte. Und ich wusste auch, dass mein Dad keine schlechte Partie war. Ich beschloss das Thema ein anderes Mal noch anzusprechen, ich wollte nicht traurig zum Abendessen mit Noahs Eltern erscheinen. Ich sprang von der Insel herunter, gab meinem Dad einen Kuss auf die Wange, schnappte mir meine Jacke und machte mich auf den Weg zu Noah.
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"Mach's besser."
RomanceClaire und Noah lernen sich auf simple Art und Weise kennen und verlieben sich ineinander. Die beiden führen ein schönes Leben, Claire als kluge Schülerin und Noah als sportlicher Footballer. Einige Zeit scheint den beiden nichts im Weg zu stehen. D...