Lucien
Natürlich schaut der Händler mich schräg an. So ein junger Kerl mit dicker Brieftasche, aber hey, wenn mein Vater doch ein Baugeschäft besitzt! Isabella, der Wohnwagen, ist einfach der Hammer. Von außen topmodern, schlank und steril, das Fahrerhäuschen mit allen Möglichen technischen Finessen versehen, die den Wagen fast alleine fahren lassen, und der Wohnraum mutet wie ein Zeitsprung in die 70er an. Oh, Happy Day, möchte ich singen und mir Blumen ins Haar stecken, ich, der mörderische Dämon! Ja, ich bin überglücklich, selbst die Zeit mit Isa war immer von ihrem nahenden Verlust überschattet gewesen und nun habe ich einen Gefährten, für immer und ewig! Einen echten, zweiten Aswang! Ich lasse die alte Kiste auf dem Hof des Händlers stehen, er wird ihn sicher als Winterauto los, und starte mein neues Baby. Uh, der Sound kribbelt in meinen Lenden, und ich spüre, dass ich Lust bekomme. Nur schnell nach Hause! Aber nein, die arme Stella ist noch im Heilungsprozess und ich darf sie nicht anrühren. Dabei war der Sex mit ihr der Wahnsinn, als hätte ich gewußt, was sie mir schenken wird, sie schmeckt, wie die süßeste Versuchung und fühlt sich einfach wunderbar an!
Hast du Isa schon vergessen? knurrt Bill.
„Nein. Natürlich nicht. Ich werde sie nie vergessen, aber life goes on", brumme ich und fahre auf die Landstraße, die mich zur Farm bringen wird.
Ich fahre genau nach Vorschrift und hoffe, dass ich nicht angehalten werde. Und dass niemand in der Zwischenzeit versucht hat, Stella zu besuchen, wie gestern, als die Polizeiblondine vorbei gekommen war und ich sie abwimmeln musste, mit dem krächzenden Aswang im Hintergrund. Dann hatte die Polizistin gefragt, ob ich was über den Einbruch in der Praxis wüßte. Ich war so in Panik über Stella gewesen, dass ich meine Einbruchsspuren nur schlecht als Recht verwischt habe und zu aller Not auch noch die Kamera vergessen habe, die den flinken Gabriel aufgezeichnet hatte, wie er medizinische Instrumente in seinen Rucksack gestopft hat. Zum Glück habe ich den Rucksack im Brunnen versenkt! Nun bringen sie ständig in den Nachrichten, dass Gabriel in der Nähe der Farm gesichtet wurde, wo er als Pflegekind hätte hin sollen, und wahrscheinlich nehmen sie an, dass er von Stella versteckt gehalten wird, nachdem er, wie auch immer ein kleiner Junge es geschafft hat, im Zug nach Vancouver eine Schwangere überfallen, eine Fehlgeburt verursacht und mit dem Fetus getürmt sei.
Ganz schön irre, diese Leute!
Aber für uns ist es höchste Zeit, zu fliehen. Und ich bin froh, dass Stella nun doch mit mir kommen will.
Im Radio läuft INXS, What you need. Sofort denke ich an Isa. Wie sehr sie Bill geliebt hat, und den Aswang, ich sehne mich nach Berührungen in meiner wahren Form...es fühlt sich intensiver an, nicht, als stecke ich in einem überdimensionalen, „gefühlsechten" Kondom. Sogar der Geschmack einer Frau schmeckt als Aswang intensiver. Ich singe leise mit und überlege, ob ich Stella bitten soll, es mit mir zu tun, wenn ich gewandelt bin. Oder lieber noch etwas warte, bis sie sich an uns gewöhnt hat, wie Isa...ich bremse scharf und schnappe nach Luft. Vor der Farm steht ein Polizeiwagen! Ich kann nicht erkennen, ob jemand drinnen sitzt, wenn es der Fall sein sollte, haben sie den Wohnwagen schon gesehen. Trotzdem wende ich und fahre die staubige Straße zurück. Parke das Ding in einem Wäldchen und laufe zur Farm, mein Herz rast, als ich mich von hinten meinem neuen Zuhause nähere und meine Panik nimmt zu, als ich Polizisten sehe, die die Ställe durchsuchen.
„Hey!", rufe ich. „Was wird das?"
Ich war doch nur drei Stunden unterwegs! Und nun ist alles verloren. Die Polizisten antworten nicht, plötzlich geht die Hintertür auf und Stella kommt heraus. Sie hat ein Babytuch mit nicht erkennbaren Inhalt umgewickelt und blinzelt in die Sonne.
„Lucien!", ruft sie und ich laufe zu ihr, umarme sie sanft. „Du glaubst es nicht! Sie denken, ich hätte Gabriel hier versteckt!", schnauft sie empört.

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Night Creatures
HorrorEine Sammlung von unheimlichen Geschichten, abstoßenden Kreaturen und Liebe.