Tag 5, Mitternacht
Kaum habe ich aufgelegt, ruft Adrian an.
„Kann ich kommen?" fragt er leise.
„Alleine?"
„Ja. Erzähle ich dir gleich."
„Okay. Bis dann."
Ich lege auf. Als er eine Minute später vor mir steht, ist er voller Erde und ich stöhne:
„Hast du Max ausgegraben?"
„Nein. Ich hab auf dem Grab gelegen und eine Stunde lang gelauscht. Ich denke, du hast recht, er ist nur noch eine Puppe. Zum Glück. Aber dann kam jemand und hat mich überrascht..." Er schließt die Augen. „Agata." haucht er. „Ich bin schnell weg gelaufen, hoffe, sie hat mich nicht erkannt."
„Ich hoffe, sie hat es und einen Schock bekommen. Weiß sie von dem Fluch?"
„Ja, aber wie gesagt, ist sie die Letzte, die an so etwas glaubt."
„Warum waren eure Eltern eigentlich nicht hier?" frage ich und beobachte, wie die Alten langsam zusammen sacken. Ich stelle die Maschine aus und beginne, die Schläuche zu entfernen.
„Hast du das mit mir...auch gemacht?" fragt Adrian schockiert.
„Ja." murmele ich. „Und, magst du nicht antworten?"
„Ach so, ja. War gerade abgelenkt, das ist...uah. Ähm, Mutter erträgt es nicht und Vater ist zu krank. Außerdem fahren die nie getrennt irgendwo hin. Schon komisch, dass die jetzt einen Unbekannten begraben anstatt mir."
„Vermisst du sie?"
„Anton, wie Hölle. Meinen Freund Christian, der leider total hetero ist. Und meine Oma, die ist tot, wie ich. Also...nicht wirklich. Komisch, der Typ von gestern hält echt lange vor, vielleicht muss ich ja nicht jede Nacht töten..."
„Adrian, ich wollte etwas mit dir besprechen. Kannst du mir kurz mal hier helfen?"
„Klar. Wow, hätte nie gedacht, dass ich mal in einem Leichenhaus arbeite!"
„Genau darum geht es. Also, Papa und Berit wollen umziehen, in Berits Wohnung. Papa möchte etwas kürzer treten, heißt, ich bin hier bald nahezu alleine und werde wieder oben einziehen. Es gibt einen unausgebauten Dachboden, du hättest dein eigenes Reich, kannst dich dort verstecken, wenn mal jemand her kommt, aber wie du weißt, hab ich eh selten Besuch und schon gar nicht hier- niemand will über Leichen Kaffee trinken. Oder ne Party feiern."
Er lacht.
„Außer dir, hm?"
„Genau. Morgen kommt ein Typ, der hier arbeiten will. Ich soll ihn mir angucken, Papa wird nicht dabei sein, deshalb dachte ich, ich sage dem Bewerber inoffiziell ab und stelle für dich einen Fake- Vertrag aus. Du kannst mir hier helfen und...vielleicht bekommen wir ab und zu eine Leiche, die du verputzen kannst, ohne, dass es groß auffällt. Und wenn alle Stricke reissen, kannst du dich immer noch verbrennen."
„Warum machst du das, Tilda? Ich bin eine dämonische Kreatur und ich darf nicht hier sein, sondern gehöre in die Hölle!" jault er nun.
„Quatsch. Wir essen tote Tiere, wo ist der Unterschied?"
„Das ist doch was ganz anderes. Nein, ich denke nicht, dass du es vergleichen kannst."
„Dann geh doch in den Ofen." murre ich und lasse den Opa, den ich auf die Seite gedreht hatte, zurück fallen, er furzt dabei laut.
Adrian schaut angewidert auf den Leichnam. „Ist das normal?"
„Ja." brumme ich.
„Hey, Tilda. Es liegt nicht an dir, okay?"

DU LIEST GERADE
Night Creatures
HorrorEine Sammlung von unheimlichen Geschichten, abstoßenden Kreaturen und Liebe.