Noch ein Tag ohne Anton, gefühlt einhundert
Im Prinzip kann ich froh sein, dass Berit so ist, wie sie jetzt ist, denn sie ist tatsächlich beleidigt über Papa's langes Fernbleiben und um das wieder glatt zu bügeln, muss er nun den ganzen Montag bei ihr bleiben. Einerseits katastrophal, weil ich erstmal nachlesen muss, was er am Tag zuvor alles geregelt hat, obwohl er ja alles aufgeschrieben hat, trotzdem geht eine halbe Stunde dafür flöten, und Tim kann halt noch nicht alles, wie auch, in der kurzen Zeit und die Angehörigen rennen uns die Bude ein! Andererseits ist es gut, dass Papa fernbleibt, denn Adrian will gegen neun zurück sein und ich freue mich, wie Bolle. Ich stehe im Andachtsraum, in dem die alte Dame aufgebahrt ist. Und denke gerade, dass es echt blöd ist, dass Papa den Aufbahrungs- Kram nicht mehr machen kann, als Adrian mir kurz hinter dem Vorhang zuwinkt. Ich gehe rüber, die Angehörigen sind eh gerade dabei, zu diskutieren, ob der Hund eingeschläfert werden soll oder ob jemand ihn freiwillig nimmt, und Adrian umarmt mich fest. Ich drücke mich an ihn und seufze.
„Schön, dass du zurück bist. Hier ist die Hölle los. Äh, nicht nur deswegen." grinse ich schief.
„Ich weiß. Zum Glück hab ich mich gestern Abend genährt und etwas regeneriert. Und...tut mir leid, Tilli."
„Du hast Anton nicht gefunden?"
„Doch. Er war zuhause, aber immer nur sporadisch. Er hat sowas wie ne Friedhofsrundfahrt gemacht und in schrägen Gruften gepennt, da hab ich ihn schließlich gekriegt und bin ein wenig mit ihm rumgezogen. Polen hat echt schöne, friedliche Orte. Und so verlassen, dass die gar nicht mit kriegen, wenn man Leichen entwendet. Ich hatte Anton fast soweit, dass er wieder mit zurück kommt, er meinte, dieser Trip wäre sein Jacobsweg. Doch dann hat Berlin angerufen, vom Jacobsweg nach Hollywood." schließt Adrian seufzend.
„Er macht doch nicht wirklich diesen Film?" japse ich.
„Serie, Tilli. Serie. Das wird sich über Jahre hinziehen, und er kriegt eine Hauptrolle. Vielleicht schafft er den Durchbruch, und dann...weißt du, als ich ihn gefunden habe, war ich echt happy und hab geglaubt, dass ich es schaffe, ihn zu überzeugen, doch nun sind wir auch im Streit auseinander, wie ihr beide und ich verstehe es. Sorry, Tilli, aber mein Bruder ist zum untoten, egoistischen Arschloch geworden. Oh, was passiert da?"
„Shit!" jaule ich und stürze in den Andachtsraum, in dem sich die Söhne der alten Dame an die Gurgel gehen, während sie mit einem Lächeln im Gesicht im Sarg liegt und chillt.
„Stop!" rufe ich. „Auseinander!"
Sie hören nicht, haben sich schon zu Boden gerungen und ein Tisch mit Blumengesteck fällt um, das Wasser läuft über den Parkettboden und die Schwiegertochter weicht apathisch aus, anstatt sich um ihren Mann zu kümmern! Ich will näher an die Kämpfenden ran, aber Adrian ist schon an mir vorbei und Tim hält mich fest.
„Du weißt doch, gehe niemals zwischen beißende Hunde." grinst er und ich sehe, wie Adrian geschickt einem Fausthieb ausweicht und einen der Kerle wegzieht, obwohl der doppelt so viel ist, wie der Ghul!
Tim läßt mich los, packt den anderen Streithammel und die Jungs befördern die schimpfenden Kerle nach draußen. Ich seufze, stelle das Tischchen wieder hin, das Gesteck darauf, hebe die paar abgebrochenen Blüten...Rosen!... auf und stopfe sie ins Gesteck, dann hole ich den Wischmop. Kein Wort der Entschuldigung von der übrig gebliebenen Familie! Die Damen gehen stumm hinaus, ich schnaube. Habe ja nicht erwartet, dass sie aufräumen helfen, aber ein Wort des Dankes wäre schon nett gewesen!
„Seien sie froh, dass sie die los sind!" erkläre ich der Toten.
„Ähm, entschuldigen sie?" höre ich jemanden krächzen.
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Night Creatures
HorrorEine Sammlung von unheimlichen Geschichten, abstoßenden Kreaturen und Liebe.