Wer hätte gedacht, dass mein Chef mich jemals fragen würde, ob wir gemeinsam Weihnachtsgeschenke einkaufen gingen?
Mr. Avens hatte scheinbar das gleiche Talent wie ich, und bat mich ihm bei seiner Wahl zu unterstützen. Warum und für wen genau konnte er mir nicht verraten, da ich in schallendes Gelächter ausbrach. Nachdem ich dann aber seine Reaktion und die Blicke der umstehenden Leute wahrnahm, verstummte ich, konnte aber nicht verhindern, dass ich noch leise vor mich hin prustete.
„So lustig ist das nun auch nicht", grummelte er und verschränkte seine Arme vor der Brust.
Entschuldigend grinste ich ihn an. „Ist es auch nicht, Sir, doch ich hätte nie erwartet, dass Sie so chaotisch wie ich sein können. Sie wirken so...normal, wenn ich es so umschreiben darf."
Meine Ehrlichkeit schien ihn zu verwundern. Wenn man sich schon in der Freizeit traf, durfte man doch ein, zwei neckische Aussagen machen, oder nicht?
Seine hellen Augen musterten mich und langsam aber sicher verzogen sich seine schmalen Lippen zu einem Schmunzeln. Ein wenig erleichtert, dass er es mir nicht übel nahm, beruhigte ich mich langsam wieder und betrachtete ihn neugierig.
„Also", begann ich locker. „Für wen ist Ihr Geschenk und wie kann ich Ihnen dabei helfen?"
„Es ist für meine Schwester, aber ich habe wirklich keine Ahnung, was ich ihr schenken soll."
Kurz nickte ich, deutete ihm einen Moment hier zu warten, ehe ich noch schnell Papás Buch holte und es an der Kassa bezahlte. Dann stieß ich wieder zu Mr. Avens und – keine Ahnung, was mich geritten hatte, dass ich das tat – ich umschloss mit meinen Händen seinen Ärmel und zog ihn aufgedreht zum Ausgang, bis auf den belebten Gehsteig. Nach einigen Schritten und der Erkenntnis, was ich gerade tat, löste ich mich von ihm und ging in einem gesunden Abstand neben ihm her.
„Wie alt ist Ihre Schwester?"
„Fünfzehn", antwortete er schlicht und kratzte sich am Kopf.
Überrascht schaute ich ihn von der Seite an. Sie musste wohl der Nachzügler in der Familie sein. „Und was haben Sie ihr letztes Jahr geschenkt?"
„Das ist es eben", meinte er missmutig und rückte seine Brille den Nasenrücken hinauf. „Zu Weihnachten hatte ich ihr ein kleines Stofftier gegeben. Sie hat sich wirklich gefreut, müssen Sie wissen, doch kein halbes Jahr später, an ihrem Geburtstag, bekam ich eine Standpauke, als ich es wieder tun wollte. Sie meinte, sie wäre nun viel zu alt dafür. Und jetzt, weiß ich nicht wirklich was, laut ihr, ‚altersentsprechen' für eine pubertierende Fünfzehnjährige ist."
Klassischer Fall von Da-will-jemand-nicht-dass-sein-kleines-Mädchen-erwachsen-Wird. Erinnerte mich stark an Dad. Ich musste das aufkommende Lachen wirklich unterdrücken und versuchte es mit aggressiven Lippenbeißen mir nicht anmerken zu lassen. Jedoch hatte mein Pech heute Glückstag.
„Ja, ha, ha, ha, Ms. Campbell. Es ist wiedermal wirklich witzig für Sie", betonte Mr. Avens sarkastisch jede Silbe und veranlasste mich, mein breites Lachen doch zu zeigen.
Ich wusste nicht ganz an was es lag, aber im Moment fühlte es sich nicht so an, als wären wir Chef und Angestellte. Er war nicht so kühl gestimmt wie sonst im Büro, das Hemd und die Anzughose waren in einen dunklen Kapuzenpulli und lockerer Jeans eingetauscht worden, und – das bemerkte ich erst jetzt – er hatte sogar Ohrringe drinnen.
Er wirkte einfach wie ein stinknormaler junger Mann, der verzweifelt nach einem Weihnachtsgeschenk für seine kleine Schwester suchte.
„Ach, kommen Sie! Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich Sie außerhalb des Büros etwas veräpple", lachte ich und stupste ihn leicht mit meinem Ellenbogen an. „Außerdem finde ich es süß, wie Sie sich darüber Gedanken machen. Es erinnert mich an meine Väter, die genau dasselbe durchgemacht haben, als ich in diesem Alter war."
Für einen Augenblick sah er mich einfach nur an. Zugegebenermaßen, es lenkte mich ein wenig ab, und ich musste wirklich schauen, dass wir nicht in andere Passanten hineinliefen.
Schließlich räusperte er sich knapp, sah sich um und fragte mich dann: „Wo gehen wir überhaupt hin?"
Erst jetzt fiel mir auf, dass ich ihm von unserem Vorhaben noch nicht verraten hatte. Glücklicherweise konnte ich unser Ziel von hier aus bereits sehen und deutete mit meiner Hand auf den Juwelier namens DayDream.
Bereits als ich das Wort „Schwester" aus seinem Mund gehört hatte, musste ich schon an das kleine Geschäft denken. Es gehörte Mara, eine Ex-Freundin meines Bruders, und auch wenn ihre Beziehung eher schlecht als recht auseinander gegangen war, hatten wir uns wunderbar verstanden und ich bekam heute noch einen Freundschaftsrabatt. Wenn Mr. Avens kleine Schwester nun erwachsen sein wollte, würde er mit Schmuck auf jeden Fall in die richtige Richtung zielen.
Das versuchte ich ihm auch genauso zu erklären, nur leider runzelte er daraufhin nur unzufrieden die Stirn.
Im Laden meinte ich, dass er sich einfach mal in Ruhe umschauen und sich mit dem Gedanken anfreunden sollte. Somit ließ ich ihn alleine und begrüßte ich Mara erstmal mit einer festen Umarmung. Wir hatten uns schon ewig nicht mehr gesehen.
Wir redeten über Gott und die Welt, jedoch musste sie mich einige Male – so wie gerade – zeitweise zurücklassen, um sich um andere Kunden zu kümmern. Derweil stellte ich mich neben meinen Chef, der interessiert über die Vitrine mit Ohrringen gebeugt war.
„Na?", hakte ich nach und riss ihn so scheinbar aus seinen Gedanken. „Schon was gefunden?"
Nickend hob er seine linke Hand in der er eine kleine zartrosafarbene Papiertüte, mit dem Logo des Juweliergeschäfts darauf, hielt. Wie lange hatte ich mit Mara geredet, dass er bereits gezahlt hatte? Irgendwie stimmte es mich traurig, dass ich mich nicht bei seiner Auswahl beteiligen konnte. Aber bevor ich weiter darüber sinnieren konnte, vibrierte mein Smartphone in meiner Jackentasche.
Charly hatte mir bereits einige Nachrichten geschrieben, dass ich mich langsam sputen sollte, wenn ich mit ihm mit und nicht mit dem Bus zu unseren Eltern fahren wollte.
„Danke", meinte Mr. Avens im selben Moment, was mich von dem kleinen Bildschirm in meiner Hand aufblicken ließ. Dieses unscheinbare Wort in Verbindung mit dem Grübchen, welches auf seiner rechten Wange aufgetaucht war, könnte vermutlich jede Frau in der Grafik-Abteilung zum Dahinschmelzen bringen.
Das Lächeln stand ihm. Er sollte es unbedingt öfters zeigen.
„Überhaupt kein Problem." Ich verstaute mein Smartphone in meiner Tasche und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich weiß wie es ist, am letzten Tag gestresst durch die Straßen zu rennen und das perfekte Geschenk zu suchen. Es fängt also bei der Solidarität an, dass ich Ihnen geholfen habe", witzelte ich noch und sah wie sich leichte Lachfältchen um seine Augen bildeten.
„Aber, Mr. Avens, ich muss los. Mein Bruder möchte schon in einer Stunde zu unseren Eltern losfahren und ich muss mir noch ein Taxi rufen." Gerade als ich ihm noch „Frohe Weihnachten" wünschen konnte, hielt er mich auf.
„Ich kann Sie fahren", schlug er vor und zuckte dabei mit den Schultern. Ehrlich gesagt, wusste ich nicht ganz wie ich auf dieses Angebot reagieren sollte. Mr. Avens war mein Chef: Immer distanziert seinen Angestellten gegenüber und nur auf seine Arbeit fokussiert. Und plötzlich wollte er mich nachhause fahren?
Er bemerkte rasch, dass ich wahrscheinlich ablehnen würde und sagte mich Nachdruck: „Als Zeichen meiner Solidarität."
Er verwendete tatsächlich meinen eigenen Satz gegen mich. Ich würde lügen, wenn ich sagte, es überraschte mich nicht, dass er Witze reißen konnte. Weshalb meine Augen kurz groß wurden, ehe sie rollten.
Schmunzelnd nickte ich ihm zu, verabschiedete mich mit einem knappen Winken bei Mara, die noch tief in ihr Kundengespräch steckte, und folgte ihm nach draußen.
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Until Five
ChickLitEine Grafikerin in einer erfolgreichen Werbeagentur zu sein, hat so seine Tücken. Stress steht an der Tagesordnung und viel Zeit für Freizeit bleibt hierbei leider nicht, aber das ist Chloe egal! Sie liebt ihren Job über alles, obwohl sie das vor la...