XIV. Das wohlverdiente Schläfchen nach einer wunderbaren Idee ✔️

5.8K 274 4
                                    

Mr. Avens und meine Konzeptidee schlug bei Charly und Andrea wie eine Bombe ein.

Noch in der nächsten Sekunde, nachdem wir die Eingebung hatten, unser Konzept nicht auf die Vergangenheit zu beschränken, sondern unseren Blickwinkel ebenso auf die Zukunft zu richten, waren wir aus dem Café gestürmt. Wir waren in den Seminarraum geplatzt, in dem die beiden gerade eine Pause gemacht zu haben schienen.

Charly hatte stolz einen Arm um mich gelegt und über das ganze Gesicht gestrahlt, während er mir liebevoll gegen die Stirn geschnippt hatte. „Manchmal funktioniert das Ding da drinnen einfach perfekt!", hatte er mich geneckt.

Für solche Kommentare konnte ich meinen Zwilling manchmal würgen, aber in diesem Moment war ich viel zu glücklich, als dass ich es hätte ihm übel nehmen können.

Und nun war Sonntag. Ich saß mit Mr. Avens wieder an unserem Tisch im Seminarraum, während überall unsere Ausarbeitungen und Gestaltungsvariationen der neuen Idee verstreut herumlagen, aber ich beachtete die Unordnung gar nicht. Ich sah nur die Farben vor mir, die jeden Strich meiner Vorstellung in die Realität umsetzten und dem neuen Konzept Leben einhauchten.

Gegenüber von mir konnte ich meinen Chef flott am Laptop tippen hören. Er schrieb unsere Idee nieder und würde dann alles zu einem Antrag zusammenfügen. So fokussiert wie dieses Wochenende hatte ich ihn noch nie bei der Arbeit gesehen – aber es machte ehrlich gesagt verdammt Spaß mit ihm zusammenzuarbeiten. Wieso hatten wir das nicht schon von Beginn an so gemacht? Unsere gemeinsame Idee war einfach perfekt, wir ergänzten uns in der Arbeit und erledigten diese ebenso schnell. Vor allem, dass er sich nun so locker verhielt, machte das Ganze zu einem reinen Pluspunkt. Den Druck, meinen kühlen Chef vor mir sitzen zu haben, schien so abzufallen.

Gerade in diesem Moment schaute ich kurz von meinem Entwurf auf und begegnete gleichzeitig seinem Blick. Mit einer Hand massierte er sich den Nacken, der ihm vom stundenlangen Sitzen bestimmt steif geworden war. In seinen Brillengläsern spiegelte sich leicht das Licht seines Bildschirms, während sich gleich darunter ein leises Lächeln bildete.

„Soll ich uns eine Runde Kaffee holen, Ms. Campbell?"

Vermutlich würden die meisten meiner Kolleginnen für einen Kaffee von diesem schmunzelnden Jesper Avens töten.

••◊••

Keine Ahnung wie viel Uhr wir hatten, aber irgendwann musste ich wohl eingeschlafen sein. Ich erinnerte mich an den Moment zurück, in dem ich geraume Zeit meinen Kopf auf meinem Arm gebettet und eine Pause gemacht hatte. Das Nächste, was kam, war wie ich nun auf einer bequemen Couch lag. Ich blinzelte unbeholfen und wischte mir mit dem Daumen über die Mundwinkel, um unerwünschte Sabberspuren zu vernichten.

Stöhnend setzte ich mich auf. Meine Schultern brachten mich um und ich versuchte sie mit halbgeschlossenen Augen zur Entspannung zu kreisen. Dabei rutsche mir was vom Oberkörper und verwundert sah ich auf die blaue Stoffjacke in meinem Schoß. Gehörte der nicht Charly? Eine Sekunde später entdeckte ich einen dunklen Pullover, der zusätzlich über meine Beine gelegt war.

Mein Hirn war noch müde, weshalb ich die Situation nicht schneller erfasste, aber erst nach einer gefühlten Ewigkeit blickte ich mich um und erkannte Mr. Avens Büro.

Es war bereits dunkel. Ich saß in Richtung der Tür und der Raum wurde nur durch etwas schwaches hinter mir erhellt. Immer noch leicht weggetreten, rieb ich mir über meine Augen und drehte mich schließlich um und entdeckte wie mein Chef selbst mit dem Kopf auf seinem Schreibtisch schlief. Augenblicklich wanderten meine Mundwinkel nach oben und ich musste ein Lachen unterdrücken.

Anscheinend waren wir alle samt gleichermaßen müde gewesen.

Die Schreibtischlampe war gedimmt eingeschaltet und strahlte in erster Linie auf den schlafenden Körper unter ihr. Mr. Avens hatte seinen Kopf auf seinen verschränkten Armen auf dem Tisch gebettet und atmete ruhig und regelmäßig. Vor ihm war sein Laptop zu geklappt, was mich vermuten ließ, dass er bereits mit seiner Arbeit zu Ende war. In seiner Position spannte sich sein Shirt um seine Schultern.

Vorsichtig faltete ich als erstes Charlys Jacke und dann Mr. Avens Pulli zusammen, ehe ich aufstand und bemerkte, dass ich nicht einmal mehr meine Schuhe anhatte und mit Socken auf dem weißen Teppich stand. Nebensächlich entdeckte ich meine Turnschuhe neben dem Couchtisch, lief aber ohne sie wieder anzuziehen auf leisen Sohlen zu ihm.

Ich verkniff mir das Lachen, als ich sah, wie müde und fertig er sogar im Schlaf wirkte. Seine Brille war ihm in die Stirn gerutscht, die braunen Haare standen wild vom Kopf und durch seine leicht geteilten Lippen drang ein schwaches Schnarchen. Die letzten anderthalb Tage voller Arbeit und Stress waren auch an meinem perfekten Chef nicht spurlos vorbeigegangen.

Sachte befreite ich ihn von der Brille, deren Rahmen leichte Abdrücke auf der Stirn hinterlassen hatte und legte sie zusammengefaltet auf dem Schreibtisch ab. Dann holte ich seinen Kapuzenpulli und deckte ihn provisorisch zu, auch wenn nur ein Teil seines Rückens wirklich bedeckt war. Seufzend blieb ich einen Moment noch so neben ihm stehen und betrachtete den Mann vor mir, ehe ich meine Tasche suchte – ich fand sie nicht unweit von meinen Schuhen entfernt –, holte mein Smartphone heraus und entsperrte den Bildschirm.

Charly hatte mir bereits vor einer Ewigkeit geschrieben, dass er nachhause gefahren war und ich ihm bescheid geben sollte, wann ich abgeholt werden möchte. Da ich jedoch im gleichen Moment sah, dass wir bereits halb zwei Uhr in der Nacht hatten, verschmiss ich gedanklich seine nette Geste. Mein Nickerchen – und das von meinem Chef scheinbar auch – war ungewollt lang ausgefallen, und würde mich vermutlich dazu veranlassen im Büro zu bleiben. Ich war sicherlich nicht waghalsig genug, um zu dieser Uhrzeit alleine durch die Gegend bis zu meiner Wohnung zu gehen. Und Taxifahren, war noch nie etwas, das ich freiwillig alleine machen würde.

Leise zog ich mir meine Schuhe an und sammelte meine Sachen zusammen. Zusätzlich versuchte ich das Papierchaos auf Mr. Avens Schreibtisch halbwegs zu beseitigen ohne ihn dabei zu wecken. Ich lächelte, als ich die neuen Logo-Entwürfe wieder einmal in der Hand hatte, sie zu einem kleinen Stapel zusammenlegte und mit einer kleinen Büroklammer, die ich gefunden hatte, heftete. Unten im Seminarraum, wo wir uns die letzten Stunden immer eingesperrt hatten, schaute ich noch nach, ob sich noch irgendwelche Sachen von uns oder dem Projekt befanden.

Mit der digitalen Ausarbeitung des Gestaltungssujets war ich noch nicht ganz fertig, weshalb ich mich oben in Mr. Avens Büro wieder auf die Couch setzte, meinen Laptop auf den Schoß zog und gemütlich weiterarbeitete. Es war nicht mehr viel, was zu tun war, aber dauerte trotzdem solange, dass ich erst wieder vom Bildschirm aufblickt als mein Chef sich auf dem Tisch regte.

Verdutzt und noch leicht benebelt schaute er sich um; zu mir, dann hinter sich aus dem Fenster, bis seine Augen wieder mich fanden.

Gähnend streckte er sich. „Wie viel Uhr haben wir?"

„Gleich drei Uhr", antwortete ich ihm schlicht und speicherte die Datei mit einem Kurzbefehl. Command S war eine Leidenschaft jedes Grafikers.

Ich konnte ihn müde stöhnen hören, während ich mit wenigen Klicks ihm die fertige Ausarbeitung über WeTransfer schickte. Schließlich packte ich meinen Laptop in die Hülle.

„Wieso sind Sie nicht nachhause gegangen?", wollte er dann wissen und entdeckte zum ersten Mal seinen Pullover, der ihm gerade über den Rücken hinunterrutschte.

Ich zuckte mit den Schultern. „Als ich aufwachte, war es schon viel zu spät um meinen Bruder anzurufen, dass er mich abholen kann. Außerdem musste ich noch die Illustrator-Datei des Logos überarbeiten."

„Und jetzt sind Sie fertig und haben mir alles geschickt?"

Ich nickte und lächelte ihm zu. Auf einmal stand er von seinem Bürostuhl auf und kam samt Kapuzenpulli auf mich zu. „Gut, dann kann ich Sie nun Heim fahren", meinte er als wäre es eine absolute Selbstverständlichkeit.

Until FiveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt