„Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir wirklich einen Maulwurf hatten", dachte mein Zwilling laut. „Und dann ist es ausgerechnet der Teddybär aus der Buchhaltung."
Es war bereits eine Woche her seit wir unser Konzept der Gründerjahrsfeier an die Stadtverwaltung geschickt hatten und sich bestätigte, dass Wilson die erste Idee an DreamLine weitergegeben hatte. Auch wenn das sehr gute und erleichternde Neuigkeiten waren, machte es mich nervös, dass wir noch auf ein Feedback für das Projekt warteten.
Murmelnd stimmte ich meinem Bruder zu, damit er merkte, dass ich ihm noch irgendwie zuhörte und rückte ein Stückchen näher an ihn heran. Heute war einer der wenigen Tage im Jahr, an denen es wie aus Kübeln regnete. Unter dem einzigen Schirm, den wir in unserer Wohnung fanden – ein Wunder, dass wir so ein Ding überhaupt besaßen –, quetschten wir uns so eng wie nur irgend möglich zusammen, um nicht komplett durchnässt zu werden. Meinen rechten Ärmel konnte ich dennoch nicht vor dem Regen retten und klebte mir unangenehm feucht an meiner Haut.
Endlich im Agenturgebäude angekommen, zog ich mir meine Jacke aus. Charly neben mir schüttelte kurz den Schirm aus, sodass die übrigen Tropfen quer durch die Luft flogen. Ich quietschte auf und brachte mit einigen Schritten einen gewissen Abstand zwischen uns. Mein Zwilling grinste mich nur dämlich an, bevor wir schließlich zusammen und halbnass zu den Aufzügen gingen.
„Was meinst du, Charly, wer wird Wilsons Platz einnehmen?", fragte ich ihn leise, als wir in den Lift einstiegen.
Daraufhin zuckte er nur mit den Schultern. In dem Fall hatte er nichts von den Gerüchten gehört, dass jemand von außerhalb von Avens and Arts dazu stoßen würde. Am Dienstag hatte ich per Zufall Ms. Navarro mit den Kollegen aus der Fotografie, die an dem Projekt mithalfen, bei ebendieser Vermutung überhört. Ehe ich Mr. Avens irgendwie darauf ansprechen konnte, war ich mit Arbeit zugedeckt worden und hatte keine Zeit mehr dafür gehabt.
Ich vertraute meinem Chef bei der Sache, weshalb es mir auch nichts weiter ausgemacht hatte, nicht weiter nach zu graben.
Von Charly verabschiedete ich mich mit einem Winken und betrat dann zwei Stockwerke weiter die Grafik-Abteilung. Meine flachen Schuhe quietschten dank den nassen Sohlen leicht auf dem Parkettboden, während ich gemütlich zu meinem Schreibtisch spazierte. Ich begrüßte Steve mit einer halben Umarmung, der mit zusammengezogenen Augenbrauen in seinem Stuhl saß und meine Herzlichkeit nur sehr abwesend erwiderte. Besorgt legte ich den Kopf schief und musterte ihn genau, als ich meine Tasche an ihren gewohnten Platz stellte.
Irgendetwas stimmte nicht.
Steve war normalerweise der Morgenmensch schlecht hin und ich hatte ihn noch nie so fertig hinter seinem Tisch gesehen. Ehe ich ihn jedoch behutsam nachfragen konnte, wurde ich von einer lauten Stimme übertönt.
„Ms. Campbell!", rief Mr. Avens, der in diesem Augenblick in unseren Bürotrakt ankam. Er beachtete die verwunderten Blicke der anderen Mitarbeiter erst gar nicht und lief mit selbstsicheren Schritten auf mich zu.
Vor zwei Monaten hätte ich noch Angst gehabt und vielleicht sogar um meinen Job gebangt, doch nun stellte ich lediglich ruhig meinen Laptop auf den Tisch und wandte mich erst meinem Chef zu, als dieser neben mir zum Stehen kam.
Neugierig sah ich zu ihm. „Guten Morgen, Sir. Was kann ich für Sie tun?", fragte ich höflich und war mir mein Umfeld durchaus bewusst. Auch wenn wir uns nun gut verstanden – und ich immer noch der Meinung war, dass unsere Beziehung nahe einer Freundschaft kratzte – würde ich meinen Kollegen sicher keinen Stoff zum Tratschen geben, den sie dann fröhlich an die Gerüchteküche verkaufen konnten.
„In mein Büro." Und damit sein herrischer Tonfall noch mehr an Kraft gewann, schob er rasch noch ein „Sofort" nach.
Nun war ich doch etwas skeptisch, was er von mir wollte. Trotzdem folgte ich ihm brav in den Gang und verhinderte, dass die erstbesten Fragen aus mir platzten. Gleichzeitig musste ich scheinbar viel zu langsam für Mr. Avens gegangen sein, weshalb er mich prompt mit einer Hand zwischen meinen Schulterblättern ungeduldig vor sich her schob.
Himmel, was war denn nur mit ihm los?
An seinem Büro angekommen, öffnete er mir die Tür, deutete mir einzutreten und schloss sie hinter mir wieder als ich seiner Bitte nachkam. Jetzt konnte ich wenigstens meiner Verdutztheit freien Lauf lassen, stemmte meine Hände in die Hüften und drehte mich zu ihm um. Doch wieder bevor ich etwas sagen konnte, geschah etwas mit dem ich sicher nicht gerechnet hatte.
Mr. Avens drückte mich fest an sich; hatte seine Arme wie ein Schraubstock um mich geschlungen, sodass ich, auch wenn ich gewollt hätte, die Umarmung nicht mal erwidern konnte, und vergrub seine Nase in meinem halbfeuchten Haar.
Ich war mehr als nur perplex und konnte mit meinem sonst so großen Mundwerk nichts dazu sagen. Dafür roch ich sein After-Shave und konnte sein Herz an meiner Brust wild klopfen spüren. Etwas trieb mich diesen Moment zu genießen und nur für eine Sekunde erlaubte ich mir die Augen zu schließen.
Dann löste ich mich so gut es ging von ihm und blickte zu ihm auf. „Was ist passiert?"
Keine Ahnung, was ich erwartet hatte, aber das plötzliche strahlende Lachen um seine Mundwinkel warf mich fast um. Seine Hände wanderten von meinem Rücken zu meinem Gesicht und umschlossen dieses. In seiner Mimik konnte ich so viel erkennen: Freude, Verwunderung, Erleichterung, doch vor allem Stolz als er erklärte: „Ich habe gerade den Anruf von der Stadtverwaltung bekommen. Unser Konzept ist in der nächsten Phase! Können Sie das fassen?"
„Was?" Mein Mund klappte auf. Daraufhin verwandelte ich mich wieder in mein Grundschul-Ich und hüpfte begeistert auf und ab. Meine Finger vergriffen sich in Mr. Avens Hemd, während er mich nur amüsiert beobachtete. „Haben sie sonst noch was gesagt? Hat es DreamLine auch geschafft?"
„Ja, sie sind auch in der engeren Auswahl", meinte er und verdrehte kurz die Augen. „Mehr haben sie nicht dazu gesagt, außer dass ihnen unsere Idee sehr gefallen hat."
Immer noch begeistert von der Situation, überhörte ich einfach, dass unsere Konkurrenz mit uns gleich auf war. Ich biss mir auf die Unterlippe, musste mich wirklich zügeln, um nicht weiterhin wie ein Gummibärchen durch die Gegend zu springen.
„Und das ist nur dank Ihnen, Ms. Campbell."
Überrascht trat ich einen Schritt zurück. Flüchtig sah ich auf meine Füße, ehe ich mit gerunzelter Stirn und verunsichertem Lächeln seinen Blick erwiderte. „Was reden Sie für einen Blödsinn?", meinte ich bescheiden. „Sie haben genauso hart an dem Projekt gearbeitet – wenn nicht sogar mehr. Außerdem haben wir Ms. Navarro und meinem Bruder das Marketing-Konzept zu verdanken."
Er widersprach mir kopfschüttelnd und sah mich aus sanften Augen an.
„Ich möchte mich trotzdem bei Ihnen persönlich bedanken."
„Ach, ja?"
„Gehen Sie mit mir essen", sagte er bestimmt und ließ mich abermals baff zurück. Das war doch nicht mehr gesund, so oft wie er mich überrumpelte.
„Essen?", wollte ich noch einmal sicher stellen. Ich wusste nicht ganz, was ich davon halten sollte, ehe sich eine ungute Befürchtung in meiner Magengegend breit machte.
Nach wie vor lächelnd nickte er und befeuchtete kurzerhand seine Lippen. „Ich möchte Sie einladen. Das muss nicht heute sein, sondern wann immer Sie für mich Zeit haben."
Meine gute Stimmung war wie verflogen und ich blinzelte ihn für eine halbe Ewigkeit nur an. Dieses bestimmte Gefühl in meinem Bauch machte sich, schwerer als Steine es jemals sein konnten, breit und trieben mein Herz dazu, so hastig wie möglich zu schlagen.
„Nur um das klar zu stellen, Mr. Avens", begann ich und verhielt mich extra kritisch. „Wenn Sie von ‚Essen' und ‚Einladung' reden, meinen Sie dann so was wie – Sie wissen schon – eine Verabredung?"
„Wenn Sie es so nennen wollen, Ms. Campbell. Ja", antwortete er süffisant. „Und was sagen Sie?"
Alles in mir sträubte sich dagegen, diese Einladung anzunehmen. Jesper Avens war mein Chef. Unsere Beziehung sollte rein platonisch sein und nur während der Arbeitszeit existieren. Zusätzlich wollte ich gar nicht wissen, wie meine Kollegen – vor allem meine lieben und sehr weiblichen Kolleginnen! – darauf reagieren würden, wenn sie von dieser „Verabredung" wüssten. Generell war es eine wirklich dämliche Idee und ich sollte es einfach ablehnen. Das wäre für alle Beteiligten das Klügste.
„Okay, gerne."
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Until Five
Chick-LitEine Grafikerin in einer erfolgreichen Werbeagentur zu sein, hat so seine Tücken. Stress steht an der Tagesordnung und viel Zeit für Freizeit bleibt hierbei leider nicht, aber das ist Chloe egal! Sie liebt ihren Job über alles, obwohl sie das vor la...