XV. Das Ende eines langen Wochenendes ✔️

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Die Straßen von San Diego waren teilweise wie ausgestorben. Nur auf dem Gehsteig schienen einige Menschen noch ihren Wochenendrausch ausleben zu wollen und grölten sichtbar herum, während Mr. Avens Auto an ihnen vorbei sauste und von ihnen komplett unbeachtet blieb.

Mein Chef war so nett und hatte mich überredet, die letzten paar Stunden Zuhause anstelle des Büros zu schlafen. Ehrlich gesagt, war ich ihm auch unendlich dankbar, dass er sich dazu aufgerappelt hatte, mich zu Charlys und meiner Wohnung zu bringen. Mittlerweile war ich wieder müde, sodass ich meine Schläfe an die kühle Scheibe des Fensters lehnte und meine Augen nur noch auf halbmast waren. Von dort linste ich hin und wieder zum Fahrersitz. Mr. Avens Gesicht wurde nur durch die Lichter der Stadt leicht erhellt.

Durch den geringen Verkehr dauerte die Fahrt nicht wirklich lang. Überraschenderweise kannte er den Weg bis vor meine Tür ohne nachzufragen, bis mir wieder einfiel, dass er mich damals zu Weihnachten auch nachhause gebracht hatte.

Schließlich parkte er seinen Audi vor meinem Wohnblock. Er stellte den Motor ab und ließ den Schlüssel im Zündschloss hängen. Wahrscheinlich war das nun der Punkt, an dem ich aussteigen sollte, jedoch hielt mich irgendetwas davon ab.

Gerade als ich den Mund öffnen wollte, kam mir Mr. Avens zuvor.

„Danke."

Verdutzt guckte ich ihn von der Seite an. „Für was denn?"

„Für alles", meinte er und spielte nervös an seinem linken Ohrring. „Dafür, dass Sie hier waren und das Projekt und eigentlich die ganze Agentur nicht im Stich gelassen haben."

Peinlich berührt lachte ich in mich hinein. So wie er es formulierte, konnte man mich ja quasi mit den Helden aus dem Marvel-Universum vergleichen.

„Ist doch überhaupt kein Ding, Mr. Avens." Auch wenn schon in wenigen Stunden die Sonne wieder aufgehen würde, war ich nun dank ihm aufgedreht genug ihm spielerisch mit dem Ellenbogen in die Seite zu stoßen. „Wir sind Partner und sitzen in einem Boot. Ich glaube, das haben wir bereits geklärt."

Das brachte ihn ebenfalls zum Schmunzeln. Für einen Augenblick lehnte er seinen Kopf an die Kopflehne und schaute mich mit einem undefinierbaren Blick durch seine Brille an. Irgendwas lag in der Luft; eine Spannung, die ich praktisch mit den Fingern fassen konnte. Ich musste schlucken, als mich dieses Gefühl an viele Verabredungen mit meinen Ex-Freunden erinnerte und schüttelte gedanklich den Kopf.

Das war eindeutig etwas, was ich niemals mit meinem Chef in Verbindung bringen sollte.

Die Situation zwischen uns wurde zerstört, indem ich großzügig gähnte. Ich konnte gerade noch meine Hand vor den Mund halten und verhindern, dass Mr. Avens mir bis in den Rachen sehen konnte. Dafür schnaubte er belustigt.

„Ich denke, ich sollte rein gehen", meinte ich das offensichtliche, schnallte mich ab und holte meine Tasche vom Fußraum zu mir hoch. Charlys Jacke hatte ich mir selbst über meine eigene angezogen.

Meine Hand hatte die Autotür bereits einen Spalt geöffnet, bevor mich eine Hand an meinem Handgelenk zurückhielt.

„Warte!"

Verwundert sah ich zu ihm. Er hatte sich in meine Richtung gelehnt und kratzte sich mit einer leichten Grimasse flüchtig im Nacken. Dann öffnete er seinen Mund immer wieder, schien etwas sagen zu wollen, obwohl kein einziger Ton zwischen seinen Lippen hervor kam. Als Mr. Avens meinen abwartenden Blick bemerkte, konnte ich sehen wie er kurz die Luft anhielt und sie dann hörbar durch die Nase wieder ausstieß.

Rasch ließ er mich los und lächelte schwach. „Vergessen Sie nicht das Projekt-Meeting heute Nachmittag, Ms. Campbell."

„Natürlich", nickte ich ihm zu und stieg gänzlich aus dem Auto.

Ich sah ihm noch nach, als er den Wagen wendete und losfuhr.

••◊••

Ich war noch immer hundemüde, als ich mit David meine Mittagspause verbrachte. Wir hatten uns nur für einen kleinen Snack in unserem Stamm-Café niedergelassen, jedoch trank ich nur einen Kaffee während David sich ein Sandwich hineinstopfte. Und nein, „hineinstopfen" war ganz und gar nicht übertrieben: Mein Projekt-Kollege aß schon seit ich ihn kannte wie ein Schwein, wenn er richtigen Hunger hatte.

„Geht's langsamer nicht?", neckte ich ihn grinsend und spielte mit dem Etikett an meinem Becher.

Skeptisch erwiderte er meinen Blick und griff sogleich nach seiner Serviette, damit er sich die Sauce vom Mundwinkel wischen konnte. „Ich hatte heute keine Zeit zum Frühstücken. Also lass mich in Ruhe, Chloe."

Wir kannten uns so lange, dass ich letzteres nicht ernst nahm und ihn weiter nervte.

„Du isst, als ob die Welt jeden Moment untergeht und du noch unbedingt, das letzte Sandwich zu Ende bringen möchtest."

David schnaubte nur und rollte mit den Augen, gleichzeitig konnte ich sehen wie seine Mundwinkel zuckten.

Manchmal vermisste ich wirklich unsere gemeinsame Schulzeit. Wir hatten wirklich oft herumgealbert und wurden deswegen nicht nur einmal zum Nachsitzen verdonnert. Charly war da eher vorsichtiger gewesen. Jedoch konnten wir ihn zu vielen Dingen leicht überreden, wobei mein Zwilling dann genauso viel Spaß gehabt hatte wie David und ich.

Noch einmal Teenie sein!

Unwillkürlich fragte ich mich, wie wohl Mr. Avens zu seiner Schulzeit war.

„Wie viel Uhr haben wir?", holte mich David dann wieder aus meinen Gedanken. Mit einem kurzen Blick auf meine Armbanduhr, sah ich, dass wir bereits in fünfzehn Minuten unser finales Projekt-Meeting vor unserer ersten Abgabe bei der Stadtverwaltung hatten. Mein Kindheitsfreund und ich sammelten unsere Sachen ein und gingen somit zurück zum Agenturgebäude.

Nun würde der Rest unseres Teams das neue Gestaltungskonzept kennenlernen und ich glaubte inständig daran, dass es ihnen genauso gefiel wie uns. Wir hatten in den letzten zwei Tagen soviel Schweiß und Herzblut hinein gesteckt und ich wäre mehr als nur enttäuscht, wenn es großräumige Einwände gäbe. Vermutlich würde die größte Unstimmigkeit darin liegen, dass nur ein Teil der Gruppe daran gearbeitet hatte und die Übrigen bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal wussten, dass wir unseren ganzen Plan wegen der Sache mit DreamLine über den Haufen geschmissen hatten.

Ohne irgendwelche Umwege gingen David und ich zum Seminarraum, in dem wir uns immer trafen. Die Glaswand war bereits halb mit den Jalousien zugezogen, dennoch erkannte ich schon von weitem, wie jemand geschäftig im Raum umher lief.

Wie erwartet befand sich Mr. Avens bereits an unserem Treffpunkt, war jedoch alleine und teilte an jedem unserer Plätze einen kleinen Stapel Papier aus. Mit einem stummen Nicken begrüßte er uns und war sichtlich in seinem kühlen Büro-Modus. Weder die Brille zierte seine Nase noch befanden sich Ohrringe in seinen Ohren, die Haare wieder ordentlich zurückgekämmt und nicht so wild durcheinander, wie ich sie in den letzten Tagen gewohnt war. Der bequeme Kapuzenpulli und die Jeans waren genauso in seinen Anzug ausgetauscht worden. Alles in allem war es so vertraut und trotzdem fremd, dass ich gar nicht weiter darüber nachdenken wollte, warum ich ihn so genau musterte und setzte mich auf meinen Platz neben ihn.

Während David verwirrt den gehefteten Pack Zettel in die Hände nahm, lächelte ich nur wissend auf das Handout vor mir.

„Mr. Avens, was ist das?", fragte er folglich und hob demonstrativ unsere Idee in die Höhe.

„Unser neues Konzept", kam es schlicht von meinem Chef und sah gar nicht zu ihm auf, als er alles für seine Präsentation vorbereitete.

Davids „Unser was?" wurde durch das Stimmengewirr unserer Kollegen übertönt, die in dieser Sekunde den Seminarraum betraten. Charly und Ms. Navarro bildeten das Schlusslicht und schlossen die Tür hinter sich.

Ich beobachtete, wie die anderen mittlerweile den gleichen Gesichtsausdruck wie David aufsetzten. Immer nervös begann ich mit meinem Bein auf und ab zu wippen, ehe ich unsicher zu meinem Bruder schaute, der neben mir aufmunternd meine Hand in seine nahm und sie drückte – beruhigen tat mich das nicht wirklich. Dennoch stoppte ich mein Bein und überkreuzte es mit dem anderen.

Schließlich ließ ich meinen Blick wieder über das Team schweifen, als mir ein Detail auffiel. Doch ehe ich Mr. Avens nach einer Bestätigung meiner Vermutung fragen konnte, startete er seinen Vortrag.

Und das ohne die Anwesenheit von Wilson aus der Buchhaltung.

Until FiveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt