Gähnend kamen Charly und ich bei der Arbeit an, gleichzeitig waren wir sehr aufgedreht und neugierig, was uns heute erwarten würde. Ich war wirklich froh, dass mein Bruder auch am Projekt der Gründerjahrsfeier arbeitete; dann konnte ich wenigstens mit jemand darüber reden, solange alles unter Verschluss bleiben musste. Geheimnisse für mich zu bewahren, war nicht unbedingt einer meiner Stärken.
Mit unserem Morgenkaffee in der Hand betraten wir den Aufzug, der um diese – viel zu frühe wohlbemerkt– Zeit gänzlich leer war. Wenigstens hatte ich es heute geschafft, meine Haare zu richten und mit Make-Up die dunklen Schatten unter meinen Augen zu verdecken. Unter meinem Mantel hatte ich mein ACDC-Bandshirt in den Bund meines dunkelgrauen Bleistiftrocks gestopft. Aber grundsätzlich liebte ich den Vorteil im Gestaltungsbereich, eine Kombination aus leger und schick anziehen zu können.
Etwas schadenfreudig musterte ich meinen Zwilling, der heute so aussah wie ich mich gestern gefühlt hatte. Seine blonden Locken standen ihm wirr vom Kopf und er rieb sich stetig über die Augen. Hofften wir mal, dass der Kaffee noch vor dem Meeting seine Wirkung bei ihm entfaltete.
Im 4. Stock traten wird dann aus dem Aufzug in den Gang. Meine Absätze hallten an den Wänden wider als wir wie ausgemacht zum Meeting-Raum 4.10 gingen. Auf dieser Ebene des Gebäudes befanden sich generell nur Seminar- und Meeting-Räume, dementsprechend war es hier auch ruhig, egal zu welcher Tageszeit man aufkreuzte.
In der Erwartung einer der Ersten zu sein, öffneten wir die Tür. Sofort ergriff mich ein leichter Schockzustand und bemerkte wie Charly und ich gleichzeitig auf unsere Armbanduhren sahen.
„Ihr seid wirklich Zwillinge, so synchron wie ihr seid", lachte Ms. Navarro und klatschte einmal in die Hände. Einige unserer Teamkollegen mussten ebenfalls schmunzelten, während Mr. Avens am vorderen Ende des Tisches keine Mine verzog. Auch wenn es erst zehn Minuten vor unserer besprochenen Zeit war, befanden sich alle schon hier. Die einen mit einem Kaffeebecher in der Hand, wie mein Bruder und ich, die anderen mit einem Laptop vor sich.
Mein Chef begrüßte uns mit einem Nicken und deutete auf die letzten beiden freien Stühle im Raum, die zwischen seinem und Ms. Navarros Platz standen. Charly setzte sich sofort zu seiner Vorgesetzten, die ihn im gleichen Augenblick in ein Gespräch verwickelte. Dadurch überließ er mir automatisch den Stuhl neben Mr. Avens.
Mit einem freundlichen Lächeln stellte ich meinen Becher auf dem Tisch ab, hängte meinen Mantel über die Stuhllehne und setzte mich hin, doch er bemerkte mich gar nicht, sondern konzentrierte sich weiter auf seinen Laptop. Ich unterdrückte einen Seufzer als ich mein eigenes Notebook aus der Tasche nahm und es aufklappte.
Gegenüber von mir saß David Martin aus der Produktion und zwinkerte mir verschmitzt zu. David und mich verband eine Vergangenheit, die bis in die Mittelstufe zurückging. Damals waren wir noch beste Freunde und mit Charly waren wir ein unzertrennliches Dreiergespann gewesesn. Irgendwann hatten wir es mit einer Beziehung versucht, sahen aber schnell ein, dass das niemals etwas wirklich Ernstes werden würde, und verloren uns nach dem Abschluss auch aus den Augen. Erst als ich angefangen hatte bei Avens and Arts zu arbeiten, trafen wir uns per Zufall am Eingang wieder.
Ehe ich zurücklächeln konnte, ging das Licht aus und Mr. Avens neben mir stand von seinem Platz auf, hinter ihm leuchtete an der Leinwand seine Präsentation auf. Jeder von uns wandte sich ihm zu, als er dann das Briefing für unser Projekt startete.
Ich protokollierte den ganzen Vortrag, schrieb mir zusätzliche eigene Notizen, um ja kein Detail zu verpassen, und ging jetzt schon gedanklich einige Designs und Ideen durch, die für das Projekt umsetzbar wären.
„Die Einreichung der ersten fertigen Entwürfe und des Antrags ist, wie gestern gesagt, bereits nächsten Monat. Genauer gesagt, am 29. Januar. Bis dahin sollen das Logo, die dazugehörige Ausarbeitung des CD-Manuals und ein erstes Marketing-Konzept sowie ein Plan der allgemeinen Vermarktung fertiggestellt sein. Die Jury, die aus dem Stadtrat, der Stadtverwaltung und dem Bürgermeister selbst besteht, wird dann verkünden, welche Agenturen weiterhin am Projekt der Gründungsjahrfeier weiterarbeiten dürfen und sozusagen in die zweite Phase kommen. Alles zusammen ist das Projekt eine sehr kurzfristige Sache und wird die nächsten Wochen dementsprechend die meiste unserer Zeit in Anspruch nehmen", beendete er seine Präsentation, woraufhin wir alle kurz Klatschten.
Vom Tisch schnappte er sich eine kleine Fernbedienung und schaltete das Licht wieder an.
„Da ab nächster Woche die meisten von Ihnen sich die Feiertage freigenommen haben, würde ich sagen, wir verlieren keine Zeit mehr und beginnen noch heute mit unserer Zusammenarbeit." Mr. Avens trank einen Schluck aus seinem Kaffeebecher, bevor er dann wieder seinen Blick über unsere Gruppe schweifen ließ und am anderen Tischende hängen blieb. „Mr. Wilson, bis nach den Feiertagen hätte ich gerne einen ersten Finanzplan von Ihnen", verlangt er. Sein Blick glitt weiter den Konferenztisch entlang, während er den anderen Teammitgliedern weitere seiner Anweisungen auflistete. Seine Stimme war dabei autoritär, aber nicht herrisch. Für seine Verhältnisse schien sie sogar fast freundlich zu sein.
Nach kurzer Zeit sah mein Chef zu mir. „Ms. Campbell, wir besprechen unser Vorhaben im Anschluss." Damit drehte er sich wieder zur Allgemeinheit und faltet die Hände zusammen. „Derweil bedanke ich mich, dass Sie so früh hier waren und am ersten Briefing für dieses Projekt teilnehmen konnten", verabschiedete er sich.
Schnell verdünnisierten sich die anderen, während ich noch sitzen blieb, um mit ihm über unseren Teil des Projekts reden zu können. Charly winkte mir noch kurz zu und verschwand dann durch die Tür. Ich war schon gespannt, was er und Ms. Navarro für Ideen vorschlagen würden.
„Hey, Chloe", gewann David meine Aufmerksamkeit, ehe er meinem Bruder folgen wollte. „Hast du heute Mittag schon was vor?"
Schulterzuckend schüttelte ich den Kopf. „Ich habe noch keine Pläne, nein."
„In diesem Fall schreib ich dir noch, wo wir essen gehen!", grinste David und zog anschließend die Tür hinter sich zu. Augenrollend lachte ich stumm in mich hinein.
Ich setzte mich wieder richtig hin und stellte fest, dass mein Chef mich aus schmalen Augen musterte.
Unsicher starrte ich zurück. Sein Kinn hatte er auf seine verschränkten Finger gestützt und aus seiner Mimik wurde ich – wie grundsätzlich immer – nicht schlau. Seine dichten braunen Haare waren leicht nachhinten gekämmt und ich hatte die leichte Vermutung, dass er sie mehr pflegte, als ich meine eigenen.
Mittlerweile hatte ich das Gefühl, er schaute einfach durch mich hindurch und hing seinen Gedanken nach. Deswegen entschied ich mich, ihn unauffällig aus seiner Trance zu ziehen und räusperte mich. Immerhin hatte ich noch einen ganzen Stapel Arbeit auf meinem Schreibtisch, der auf Mama wartete.
Gesagt getan funktionierte es auch.
Sein Blick hatte nun etwas Unsicheres, schien viel mehr eine Ablenkung finden zu wollen, die er angeblich auf meinem T-Shirt fand.
„Sind Sie Fan?", fragte er plötzlich. Verwirrt runzelte ich die Stirn.
„Was?"
Mit dem Finger zeigte er auf das Bandshirt, das ich an hatte, und ich schüttelte den Kopf.
„Nein, eigentlich nicht", antwortete ich ehrlich. Ich hatte es vor Jahren mal in einer Boutique gesehen und es mir ohne groß zu überlegen gekauft. Eine Art Erinnerung an die vielen Konzerte, zu denen mich Charly all die Jahre überredet hatte.
„Ah. Okay."
Sehr irritiert durch diesem wirklich miesen Small-Talk-Versuch, war ich tatsächlich sprachlos. Mr. Avens ging es scheinbar nicht anders und strich sich leicht über den Bartschatten. Nach einigen Sekunden fasste er sich wieder und wir besprachen endlich unseren Teil des Projekts.
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Until Five
Chick-LitEine Grafikerin in einer erfolgreichen Werbeagentur zu sein, hat so seine Tücken. Stress steht an der Tagesordnung und viel Zeit für Freizeit bleibt hierbei leider nicht, aber das ist Chloe egal! Sie liebt ihren Job über alles, obwohl sie das vor la...