XII. Das „ultra-super-geheime"-Meeting ✔️

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„Sie haben was?", rief ich bis ins Mark erschüttert.

Viel zu aufgewühlt sprang ich von der Holzbank und tigerte vor Mr. Avens auf und ab. Das konnte DreamLine doch nicht machen! Hatten sie denn zu wenig Synapsen, als dass sie ihr Konzept selbst auf die Reihe bekamen? Wir hatten so hart daran gearbeitet, hatten uns so gestresst, damit es auch perfekt wird, und gerade als es den Anschein nahm, dass alles sich zum Guten wenden würde, schlug diese Atombombe ein.

Ich rieb mir in kleinen Kreisen über die Schläfen; hatte die leise Befürchtung, die Panik würde mir Kopfschmerzen bereiten.

„Das wird solche Konsequenzen haben!", zeterte ich weiter und beachtete meinen Chef nicht, der mittlerweile aufgestanden war. „DreamLine hat uns bestohlen. Das ist eine Frechheit, illegal und sowas von unter aller Sau!"

Ich konnte mich gar nicht beruhigen und strich mir meine Haare aus dem Gesicht. Wir hatten noch vier Tage – vier! Wie sollten wir die Arbeit von einem Monat in läppische vier verdammte Tage quetschen?

Im nächsten Moment spürte ich wie sich warme Hände auf meine Schulter legten und mich schließlich zu Mr. Avens drehten. Dieser sah mich eindringlich, aber vor allem entschlossen an.

„Ich weiß, was Sie jetzt denken und ja, es wird verflucht knapp. Aber wir können das schaffen – als ein Team."

Mir kamen fast die Tränen bei seinen Worten. Er glaubte wahrhaftig daran, dass wir das gemeinsam irgendwie hinbogen. Sein Vertrauen berührte mich auf einer Ebene, die ich selbst nicht kannte, und doch kennenlernen wollte.

„Warum sind Sie auf einmal so nett zu mir?", kam es schließlich über meine Lippen. Die Frage wollte ich nicht stellen – schon gar nicht in der jetzigen Situation –, doch wenn sie schon draußen war, konnte ich genauso auf die Antwort warten.

Was ich jedoch nicht erwartet hatte, war das Lächeln, welches seine Augen zu strahlen und das Grübchen zum Vorschein brachte.

„Weil ich die Arbeit und mein Privatleben bei Ihnen, Ms. Campbell, nur wirklich schlecht voneinander trennen kann. Entweder bin ich zu kalt oder zu warm", meinte er. Ganz sachte rieb er mit seinem Daumen über den Ansatz meines Schlüsselbeins. „Meine Mauern funktionieren bei Ihnen nicht, deshalb reiße ich sie einfach ein. Weil ich Ihnen vertraue."

Hatte er diese Sätze aus einem Film? Es war geheimnisvoll und ich verstand nur einen Aspekt von dem, was er meinte. Dennoch breitete sich in mir eine wohlige Wärme aus, die ich ebenso wenig erklären konnte.

Vermutlich würde ich nie eine passende Erwiderung darauf finden, somit nickte ich nur. Dann schlich sich auch auf meine Lippen ein Lächeln, ehe ich energievoll tief durchatmete.

„Wie sieht Ihr Plan aus?"

••◊••

Ich joggte leicht durch die Gänge des 4. Stockwerks, hoffte einfach, dass ich den Kaffee in meinen Händen nicht verschüttete. Auch wenn unser Stammcafé bereits seit zehn Minuten geschlossen hatte, konnte ich den Barista mit wilder Gestikulation vor dem Fenster überreden, uns doch noch eine Bestellung zu machen.

Das nächste Mal musste ich ihm wirklich mehr Trinkgeld geben.

Wir hatten kurz vor zehn Uhr abends, das Agenturgebäude war dementsprechend ruhig, als ich nun vor unserem gewohnten Meeting-Raum stand. Charly hatte mich bereits durch die Glaswand erkannt und eilte zur Tür, um sie mir zu öffnen. Mit vollen Händen lächelte ich ihn dankend an und stellte die Becher auf dem langen Seminartisch ab.

Als ich den Kaffee – den wir für heute und unsere Nerven eindeutig brauchten – verteilte, schweifte mein Blick über unsere kleine Truppe, die das Projekt noch retten sollte.

Charly setzte sich gerade wieder an seinen Platz neben Ms. Navarro, die nervös die Beine übereinander geschlagen hatte und mit dem unteren wild auf und ab wippte. Mr. Avens hingegen starrte konzentriert in seinen Laptop. Ich setzte mich neben ihn und stellte seinen Kaffee neben ihm ab. Wahrscheinlich sah er sich die Resümees aller Team-Mitglieder nochmals an, um eine Verbindung zu DreamLine zu finden.

Seine Versuche, den Maulwurf zu finden, waren bis jetzt nur semi-erfolgreich. Immerhin wussten wir nun, dass es ein älteres Handout sein musste, welches unsere Konkurrenz in die Finger bekommen hatte, und können die Suche auf einen Zeitpunkt einkreisen.

Unser einziges Glück in dieser beknackten Situation war lediglich, dass wir für die erste Runde des Wettbewerbs „nur" das Logo, das dazugehörende CD-Manual und einen einfachen Entwurf für das Marketing-Konzept brauchten. Alles waren Bereiche, die wir theoretisch ohne die restlichen Mitglieder erarbeiten konnten, aber zu viert einen sehr hohen Stapel an Arbeit darbot. Jedoch konnten wir, solange der Maulwurf noch in unserem Team war, nicht jedem vertrauen.

Anfangs wollte Mr. Avens das Projekt mit mir alleine durchziehen. Da die Arbeit jedoch eindeutig zu viel für zwei Personen war – und ich nicht wirklich heiß darauf war an Überarbeitung zu sterben –, überredete ich ihn wenigstens meinen Bruder und seine Chefin zu uns ins Boot zu holen.

Ich dachte nicht wirklich, dass einer von ihnen uns verraten hatte, zumal ich meinen Zwilling kannte und Ms. Navarro es einfach nicht zutraute.

„Mr. Avens", begann sie und zupfte angespannt an ihrem dunklen Zopf. „Denken Sie wirklich, wir schaffen eine Arbeit von einem Monat in ein paar simplen Nächte?"

„Ich verstehe Ihre Zweifel, Ms. Navarro." Mein Chef nahm einen großen Schluck aus seinem Kaffeebecher, ehe sein Blick kurz zu mir glitt; dann wieder zurück zu ihr. „Wenn wir im Bewerb bleiben wollen, müssen wir es versuchen. Ich weiß, ich verlange viel von Ihnen, aber wir werden DreamLine von ihrem hohen Thron reißen und etwas um einiges Besseres bieten, als das, was sie uns gestohlen haben!"

Zögerlich tauschte sie einen Blick mit Charly aus, der ihr zuversichtlich zu nickte, ehe sie seinem Beispiel folgte und ebenfalls zustimmte.

Im nächsten Augenblick huschte Mr. Avens Blick wieder zu mir. Hinter meinem Becher versteckt, versuchte ich nicht allzu auffällig zurück zu blicken.

In der Anwesenheit von Charly und Ms. Navarro hatte er seine Mauer, wie er es selbst genannt hatte, wieder hochgezogen und ließ ihn wie den kühlen und unnahbaren Chef wirken, der nur sehr selten vor anderen lächelt und viel zu sehr auf seine Arbeit konzentriert war. Dennoch hatte sich etwas zwischen uns beiden geändert und ich konnte nicht ganz erfassen, was genau es war; konnte nicht ganz entschlüsseln, warum er mich hinter seine Fassade schauen ließ und was für einen Nutzen, das für ihn hatte.

Aber ich konnte erkennen, wie erleichtert er im Moment war, dass wir zu viert an einem Strang zogen.

Until FiveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt