IX. Nagellack und Ratgeberstunden ✔️

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Ich wusste nicht ganz, wie ich über das Projekt-Meeting denken sollte. Wir hatten uns heute morgen wieder im Raum 4.10 hingesetzt, Mr. Avens hatte sein Logo-Design und das weitere Gestaltungssujet offiziell präsentiert und während der ganzen Zeit, hatte ich gehofft, dass irgendjemand seine Entwürfe reklamieren würde. Aber natürlich blieb das aus.

Auf der einen Seite war ich ja froh, sein Gestaltungskonzept verwenden zu können, immerhin war sie wirklich perfekt für uns und ich sah, wieso er auf dem Stuhl des Art Directors und Grafik-Abteilungschefs saß. Dennoch mobbte es mich, dass wir es nicht gemeinsam gemacht hatten. Vermutlich dachte er zudem, dass ich meine Arbeit nicht machen wollte.

„Bin ich die Einzige, die das blöd findet? ", wollte ich aufgebracht von meinem Dad wissen, ehe ich meine Nagelfeile in einer kleinen Tasche verstaute.

Jedes Mal, wenn mich etwas beschäftigte, war Dad bereit sich die Ohren abquatschen zu lassen. Auch wenn es so wie jetzt nur über Skype ging. Den Laptop auf meinem Bett und ich in einem weiten T-Shirt und meinen Schlafshorts bekleidet davor, wartete ich auf die weisen Worte meines Vaters.

Er schob seine Brille ins graue Haar und lächelte mich müde an. „Chloe-Spatz, willst du meine ehrliche Antwort hören?"

„Sonst hätte ich dich nicht angerufen", meinte ich und zog eine Augenbraue hinauf. Gleichzeitig hob ich zwei Nagellackfarben in die Kamera. „Helles, unschuldiges Blau oder der helle Gelbton, den ich mir heute spontan gekauft habe?"

Nun war es an ihm die Augenbraue zu heben. „Ich denke, dir tut etwas Abwechslung gut. Gelb."

Nickend stellte ich den Blauton zurück auf mein Nachtkästchen und widmete mich der anderen Farbe. Leicht abwesend starrte ich auf das kleine Gläschen. Gelb war eine gute Wahl, es war fröhlich, warm und würde mich auf andere Gedanken bringen.

Vielleicht ist es auch die Farbe des Neids, aber das verdrängte ich fürs erste einfach.

Wenn mich etwas beschäftigte, hatte ich die seltsame Angewohnheit meine Nägel zu lackieren – meistens bunt. Zum einen versuchte ich durch die Farben eine etwas besser Laune zu bekommen und zum anderen musste ich mich dabei so konzentrieren meine Finger nicht mit anzumalen, sodass ich mich von gewissen Themen ablenken konnte.

Bereits als ich die erste Schicht Klarlack für die Basis aufgetragen hatte, hatte ich mich ein Stück entspannt. Das änderte sich jedoch schlagartig, als Dad seine „ehrliche" Meinung geigte. „Lass es doch nicht so an dich ran. Du bist eine erwachsene, starke Frau und du hast das Potential jeden Kampf zu gewinnen. Aber manchmal gibt es eben Niederlagen und genau dann ist es das Wichtigste wieder aufzustehen und weiterzukämpfen.", belehrte er mich. Allein bei seiner Metapher hörte man heraus, dass er vor vielen, vielen Jahren in der Marine gedient hatte. Ich schmunzelte leicht.

„Außerdem hättest du ihm die Unterlagen wirklich früher geben sollen."

Schnaubend flogen meine Mundwinkel in die entgegengesetzte Richtung und meine Lippen verzogen sich zu einer beleidigten Schnute. Ich begann meinen Daumen gelb zu lackieren.

„Genau genommen hat Mr. Avens nur von Freitag gesprochen."

„Chloe, wir wissen beide, dass er damit nicht halb zehn Uhr abends gemeint hat." Mittlerweile konnte ich im Hintergrund von Dads Übertragung ein belustigtes Auflachen hören und wusste sofort, dass Papá hinter dem Laptop stand und lauschte.

Augenrollend ignorierte ich es. „Okay, ja, erwischt. Aber, Dad! Er hätte genauso zu mir kom- oder zumindest den Anschein geben können, dass er mich bei der Ausarbeitung dabei haben möchte. Ich hätte ihm helfen können und wir hätten uns einiges an Nerven erspart."

Am liebsten hätte ich bockig meine Arme vor der Brust gekreuzt, doch mit frischem Nagellack auf den Nägeln war das nicht zu empfehlen. Trotzdem fühlte ich mich um einiges leichter, wenn ich mit ihm darüber redete. Papá hatte oft keine Zeit und Charly war schon immer mehr der Redner als der Zuhörer – manchmal hatte er die Aufmerksamkeitsspanne von minus einem Goldfisch –, während Dad auch nach Stunden noch meine Sorgen und mein Gejammere über sich ergehen ließ.

Auf dem Bildschirm erkannte ich wie mit einem Mal Papá sich auf die Sessellehne neben Dad niedersetzte und mich schmunzelnd musterte. „Ich kann mir das nicht mehr länger anhören, Cariño. Vielleicht sollten du und dein Chef euch mal aussprechen? Er schein ja doch ganz nett zu sein nach allem, was du uns erzählt hast."

„Er ist nicht nett."

„Natürlich." Er zwinkerte mir zu und drückte Dad einen Kuss auf die Schläfe. Dann winkte er noch zum Abschied und verschwand gänzlich aus dem Bild. Dad sah ihm noch kurz verträumt nach, bevor er mich wissend angrinste.

Ehe ich etwas sagen konnte, wurde meine Zimmertür aufgerissen. Charly stand neugierig im Rahmen und blickte zu mir. „Hab' ich da gerade Papá gehört?"

Nickend erklärte ich: „Ich skype gerade mit Dad."

Ich wusste ganz genau was jetzt kommen würde.

„Warum machst du das immer ohne mich? Ich will auch mit meinen Eltern reden und du bekommst sowieso jede Aufmerksamkeit ab", motzte er und warf sich zu mir auf das Bett. Ich konnte gerade noch das offene Fläschchen Nagellack vor dem Umkippen retten, während Charly sich quer über meinen Bildschirm lehnte. „Ist das wirklich zu viel verlangt?"

Genervt stöhnte ich auf und ließ mich an mein Bettgestell zurückfallen. Als ob mein Zwilling spüren würde, dass ich einfach keinen Nerv für seine Anwesenheit hatte, setzte er sich direkt vor mich hin und lehnte sich, wie ich gerade eben, zurück. Lediglich mit dem Unterschied, dass er mich so zwischen ihm und meinem eigenen Bett zerquetschte. Wütende Rufe und die schwache Tracht Prügel konnten ihn leider auch nicht von mir runterbringen. Vermutlich hatte ich dabei nur den Nagellack an seinem Shirt verteilt.

„Und, Dad? Über was habt ihr so geredet?"

„Der Titel Bruder des Jahres in der Kategorie Nervensäge geht an Charly Campbell! Herzlichen Glückwunsch und jetzt geh endlich." Ich meckerte weiter und zwickte ihn in die Seite. Natürlich war die Haut meines Bruders aus Stahl und ohne jegliche Nerven, weshalb er sich keinen Millimeter weit bewegte.

„Ach, nichts Besonderes, mein Junge. Nur, dass deine Schwester vielleicht gewisse neue soziale Kontakte ausprobieren sollte."

„Ich werde nicht mit ihm reden!", erklärte ich gedämpft in das T-Shirt meines Bruders hinein und betonte dabei jedes einzelne Wort.

„Natürlich", zitierte er Papá und legte sein Lachen nicht ab.

Ich drehte den Kopf zur Seite und holte Luft, um mir wütend eine Haarsträhne aus den Augen zu pusten. Das Gespräch ging ja mal in eine ganz falsche Richtung. Ich wollte mich auslassen über alles und jeden – vor allem Jasper Avens –, mich etwas unbeschwerter werden lassen. Jedoch schafften das weder Dads und Papás „tolle" Ratschläge noch mein neuer gelber Nagellack, der mittlerweile weniger auf meinen Fingern als auf Charly verteilt war.

Und mein Bruder war sowieso keine Hilfe.

Until FiveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt