X. Fliegendes Maki, Bruderliebe und Jesper Avens ✔️

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Vielleicht sollte ich doch mit ihm reden.

Meine Schimpftriade über Mr. Avens, die Dad hören musste, war bereits über zwei Wochen her und seitdem hatte ich keinen einzigen Versuch einer Aussprache getätigt. Die Gespräche zwischen uns waren meist sehr kühl und auch nur wegen des Projekts erst vorhanden. Ich machte meine Arbeit und er seine.

Aber mittlerweile war mir eines bewusst geworden: Wir waren immer noch Teamkollegen und bösen Blut zwischen uns bedeutete auch böses Blut in unserem Projekt-Team. Ich war mir nicht sicher, ob unsere Kollegen die eisige Stimmung zwischen uns bemerkt hatte, aber dafür schienen wir momentan nur Konflikte zu haben.

Die Produktion stritt sich mit Andrea und Charly um eine Herangehensweise für die Promotion, die Buchhaltung meinte letztens, dass wir das Budget durch unser Konzept nicht halten konnten und alles in allem hatte ich das Gefühl, ich konnte nur noch zusehen, wie alles den Bach runterging. Und all das, obwohl wir am Anfang mit so viel Hingabe an die Sache herangegangen waren.

„Und dann hat mich Andrea angemeckert, nur weil ich den Zucker in ihrem Tee vergessen hatte."

Seufzend stocherte ich weiter in meiner Schüssel Reis herum.

„Wir reden hier nur von Zucker, nicht vom ganzen Getränk!"

Ich seufzte wieder und fischte mit den Essstäbchen einige Reiskörner heraus.

„Ich mein, wie zickig kann man sein. Das kann doch mal passieren!"

Lustlos schob ich mir den wenigen Reis in den Mund und stieß abermals die Luft aus. Vielleicht wäre die Aussprache mit Mr. Avens wirklich der erste Schritt, um die Gruppendynamik mal wieder in die richtige Richtung zu bringen.

Mit einem Mal wurden mir meine Stäbchen aus der Hand gerissen und ich sah erschrocken über den Tisch zu meinem Bruder. Charly hob genervt die Augenbrauen. Ich wusste nicht woher der Drang kam, aber ich hatte so viel angestauten Frust in mir, dass ich mir kurzerhand eines meiner Maki schnappte und meinem Zwilling direkt ins Gesicht zielte – und auch traf.

„Sag mal, Chloe, spinnst du?", zischte er, ehe er sich im Restaurant umschaute. Ich blickte zur Getränketheke, wo ich die Besitzerin erkannte, die uns amüsiert aber warnend entgegensah. Wenn wir keine Stammgäste wären, hätte sie uns vermutlich hinausgeschmissen.

Als ich mich wieder meinem verärgerten Bruder widmete, wollte dieser barsch wissen: „Ich weiß, momentan geht alles drunter und drüber, aber muss das wirklich sein? Wir sind keine fünf mehr."

Daraufhin blieb ich stumm und trank einen Schluck von meinem Mineralwasser.

Mein Bruder hatte ja recht. Ich benahm mich einfach nur kindisch, doch mittlerweile hatte ich einfach keinen Nerv mehr für irgendwas.

„Tut mir leid, Charly", meinte ich dann zerknirscht und spielte mit dem Etikett der nun leeren Flasche, die unbeteiligt neben dem Glas stand.

Über den Rest unserer Mittagspause hinweg, redeten wir einfach von banalen Dingen und schauten, dass unsere Laune wieder etwas an Höhe gewann. Als wir dann den zehn Minuten langen Weg zurück zum Agenturgebäude spazierten, legte er mir einen Arm um die Schulter. Das brachte mich automatisch zum Lächeln.

Auch wenn mein Bruder die genaue Geschichte mit Mr. Avens nicht kannte und nur vage Erklärungen von mir bekommen hatte, war er mein Beistand. Er unterstütze mich und war bei mir, wenn mich etwas wirklich zum Grübeln brachte. In diesen Momenten konnte er endlich den großen Bruder mimen, der er eigentlich nicht war.

Acht Minuten konnten bei Zwillingen immerhin sehr ausschlaggebend sein.

Wir waren etwas spät dran, weshalb die Aufzüge zum Glück nicht durch die Menschenmenge aus allen Nähten platzten, nur einige wenige gesellten sich zu Charly und mir. Die Türen vor uns schlossen sich und für einen kurzen Moment gönnte ich es mir, meine Augen zu schließen und den Kopf zurück auf seinen Arm zu lehnen.

Ich war wirklich froh, wenn der Tag sein Ende gefunden hatte und ich mich in mein kuscheliges Bett werfen konnte.

Keine Sekunde später blieben wir mit einem eindringenden „Bling" stehen. Ich merkte, wie um mich herum Leute aus- und einstiegen, jedoch kümmerte es mich in diesem Augenblick nicht, bis Charly mit einem Mal jemanden ansprach.

„Guten Tag, Mr. Avens."

Diese vier Wörter rissen mich so sehr aus meiner Entspannung, dass ich mich sofort wieder ganz aufrichtete und ungläubig meinem Chef nachsah, wie er zuerst Charly zunickte und sich neben mich stellte, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

Na, super. Wenn man vom Teufel sprach, musste er natürlich auch auftauchen.

Keine drei Sekunde später im 6. Stock angelangt, musste mein Zwilling mich verlassen. Aufmunternd zwinkerte er mir zu und schob mich leicht in Mr. Avens Richtung. Ich warf ihm nur einen scharfen Blick zu und winkte ihm zu, ehe die Türen sich wieder schlossen. Mit meinem Bruder waren auch alle anderen aus dem Aufzug gegangen, weshalb mein Chef und ich nun alleine waren.

Mir war leicht unwohl so lange auf engsten Raum mit ihm zu sein. Nervös fummelten meine Finger an meiner Oberlippe herum, was vermutlich komplett bescheuert aussah. Schnell ließ ich es bleiben.

Gleichzeitig hörte ich ein leises Schnauben, was mich sehr schwach an ein Lachen erinnerte.

„Schöne Nägel", machte Mr. Avens das Kompliment und ließ mich verwundert auf meine gelben Fingernägel starren. Seit dem Skype-Abend mit Dad hatte ich versucht meine Stimmung in der hellen und fröhlichen Farbe zu ertränken, stets in der Hoffnung, dass es abfärben würde.

Mein Blick schweifte zurück zu ihm, der seinen Kopf leicht von mir weggedreht hatte.

„Danke."

Das vertraute Glöckchen bimmelte wieder und ich wollte schon austreten, als ich die Sieben auf der Anzeigetafel erkannte. Seufzend wartete ich kurz, ob jemand einsteigen wollte – bei meinem Glück natürlich nicht – und drückte auf den „Türen-zu"-Knopf.

„Wie geht es Ihnen mit dem Projekt? Haben Sie das CD Manual fertig?", wollte er schließlich wissen. Abschätzend musterte ich ihn von der Seite. Er sah mich noch immer nicht an.

Small Talk? Wirklich?

„Fast, ja. Ich überarbeite es heute noch einmal." Wir mussten in genau vier Tagen unser Konzept an die Stadtverwaltung schicken. Natürlich konnte man es bereits früher abgeben, aber unser Team brauchte eindeutig noch jede Minute, um die Streitereien zu bewältigen und sich so endlich einigen zu können.

„Gut."

Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen wir endlich auf unserer Ebene an. Ich flüchtete schnell aus dem Aufzug, um dieser unangenehmen Spannung in der Luft zu entkommen, als ich dann zögerlich mitten im Gang stehen blieb. Mein Chef hingegen ging stumm an mir vorbei.

Ich gab mir einen Ruck. „Mr. Avens, warten Sie kurz!"

Er verharrte in seiner Bewegung und drehte sich zu mir um. Seine Augen wirkten neugierig und fragen, fast schon überrascht, und strahlten nicht die gewohnte Kühle aus wie in den letzten Wochen.

„Könnte ich Sie kurz sprechen?"

Until FiveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt