Es war Samstagnachmittag und wir hatten noch immer keine Idee.
Mittlerweile wurde es auch zeitlich immer knapper. Jeder von uns stand nur noch unter Strom, versuchte verschiedene Perspektiven für das Projekt zu finden, um das neue und „perfektere" Konzept zu schaffen. Jedoch hing sehr viel von Mr. Avens und meinem Logo ab. Im Falle unseres Projekts stand und fiel das Konzept mit dem Logo und des Gestaltungssujets, und das stresste mich so, wie mich noch nie in meinem Leben etwas gestresst hatte.
Wie weit Charly und Ms. Navarro wohl mit ihrer Marketing-Strategie waren? Wir hatten uns in unsere Bereiche aufgeteilt, um konzentrierter arbeiten zu können und würden uns erst heute Abend wieder treffen und dann das weitere Vorgehen sowie das vorgeschlagene Konzept zu besprechen.
Ein Konzept das noch gar nicht existiert.
Wie schon so oft an diesem Tag warf ich meinen Stift auf den Tisch, zusätzlich legte ich dieses Mal meinen Kopf auf die Platte vor mir. Die leichte Kühle des Holzes verhinderte – zumindest bildete ich mir das ein –, dass ich Kopfschmerzen bekam.
„Wollen Sie eine Pause machen und ins Café gehen? Kurz mal den Kopf frei bekommen", hörte ich meinen Chef vor mir fragen.
„Bitte", murmelte ich und stellte mein Kinn auf, um ihn so ansehen zu können.
Es war ungewohnt ihn in seiner Freizeitkleidung zu sehen. Wie zu Weihnachten hatte er einen Kapuzenpulli an und eine Brille auf der Nase – hinter seinen Haaren versteckt, entdeckte ich auch wiedermal die Ohrringe.
Gerade streckte er sich, dehnte seinen Rücken, ehe er seine Brille ins Haar schob und aufstand. Ich tat es ihm gleich und sammelte noch meine Tasche ein. An der Tür wartete ich auf Mr. Avens, der noch einige Unterlagen zusammenstapelte und so unseren Seminartisch, den wir komplett mit Entwürfen, leeren Blättern, Bleistiften und Copic Markern belagert hatten, etwas aufräumte.
Kritisch zog ich meine Augenbrauen zusammen. „Ich dachte wir machen eine Pause?" Mit einem Pack Entwürfen in der Hand stand er vor mir und sah mich verwirrt an. Um ihn auf die richtige Fährte zu bringen, deutete ich darauf. Sein Blick senkte sich, bevor er mich dann mit einem leichten Lächeln entschuldigend anschaute.
„Vielleicht finden wir bei einem Kaffee neue Lösungen oder Kombinationen", argumentierte er schwach, legte dann eine Hand auf meinen Rücken und schob mich ohne meine Antwort abzuwarten durch die Tür.
Selbst nach diesem halben Tag war mir eines klar: Jesper Avens ist ein Workaholic. Er würde so lange an einer Aufgabe arbeiten, bis er die beste Lösung für sie gefunden hatte. Das ist natürlich nichts Schlechtes, aber ich konnte mir vorstellen, dass es für andere Personen manchmal etwas nervig werden konnte.
Im Café gegenüber der Werbeagentur angekommen, setzte ich mich an einen kleinen runden Tisch weiter hinten im Lokal. Müde blätterte ich durch die Entwürfe, die er mitgehen hatte lassen und ich ihm beim Eingang abgenommen hatte, damit er unsere Getränke bestellen konnte. Zuerst bemerkte ich gar nicht wie ich lächelte, aber ich konnte es noch immer nicht glauben, dass er meine Ideen nicht verschmissen hatte.
Die Zeichnungen, welche eigentlich nach unserer letzten Auseinandersetzung im Papierkorb gelandet waren, lagen nun zwischen meinen Fingern. Er empfand sie tatsächlich als einen guten Ansatz für unser neues Konzept – und das machte mich glücklicher als es vermutlich sollte.
In diesem Moment trat Mr. Avens an den Tisch und stellte meinen Cappuccino vor mir ab. Immer noch lächelnd bedankte ich mich bei ihm.
„Das!" Ich zeigte begeistert auf meinen Becher. „Das ist genau das, was ich für mein Energielevel im Moment brauche." Ich ließ die Entwürfe wieder auf den Tisch sinken und umfasste dafür meinen Kaffee. Die Wärme stieg keine Sekunde später schon durch meine Finger und obwohl er noch ein wenig zu heiß war, nahm ich einen großzügigen Schluck.
Ich spürte seinen Blick ganz genau auf mir. Sein kleines Grinsen verbarg er, indem er selbst kurz an seinem Kaffee nippte, ehe er sich den Unterlagen vor sich widmete.
„Luisa hat es übrigens gefallen."
Verwirrt guckte ich ihn an. „Luisa?"
Als er zu mir aufsah, hatten sich leichte Lachfältchen um seine Augen gebildet. „Luisa ist meine Schwester und sie hat sich wirklich über die Halskette gefreut, die ich ihr dank Ihnen geschenkt habe."
Mein Gesicht leuchtete auf und ich erwiderte seinen warmen Blick strahlend. Dann biss ich mir auf die Lippen und versuchte meine plötzliche Aufgeregtheit zu verbergen. Was war denn jetzt los? Ich wusste selbst nicht, woher diese Energie kam, die nun durch meine Adern schoss. Aber so wie er mich gerade musterte, brachte es mein Herz auf Höchstleistung.
Das Koffein machte scheinbar einen hervorragenden Job.
Mein Chef räusperte sich und guckt wieder auf die Entwürfe in seinen Händen.
„Wir brauchen unbedingt eine andere Perspektive der Dinge", murmelte er eher zu sich selbst als zu mir. Auch wenn seine Haare ihm verwuschelt in die Stirn fielen und er die Zettel etwas höher vor sein Gesicht hielt, konnte ich sehen, wie seine Wangen rot wurden.
Verwirrt, aber schmunzelnd, stieg ich auf sein Thema ein und setzte meine Ellenbogen auf der Tischplatte ab. „Ehrlich gesagt kann ich nicht glauben, dass es 250 Jahre her sein soll", überlegte ich laut. „Es fühlt sich so unrealistisch weit weg an. Wie wenn man sich fragt, was 250 Jahre in der Zukunft mit der Stadt alles passieren würde. Man kann es sich nur schwer vorstellen."
Einige Zeit blieb es still und ich nippte wieder an meinem Becher, als Mr. Avens seine flache Hand auf einmal auf den Tisch schlug. Vor Schreck verschluckte ich mich an meinem Cappuccino und schaute hustend zu meinem Gegenüber.
„Was haben Sie gerade gesagt?" Seine Augen waren aufgerissen, warteten fieberhaft darauf, dass ich meine Worte wiederholte.
„Man kann sich schwer vorstellen, was in der Zukunft mit der Sta-", ich unterbrach mich selbst als mir klar wurde, auf was genau er hinaus wollte.
„Das ist es! Genau das ist die Idee, die uns gefehlt hat, Chloe!"
Ich ignorierte, wie Mr. Avens begeistert meine Hände in seine nahm, ungewöhnlich kindisch auf dem Stuhl auf und ab hüpfte und mich bei meinem Vornamen genannt hatte, denn vor meinen Augen schien unsere neue Perspektive auf das Projekt sich wie eine Karte zu entfalten. Verschiedene Gestaltungsvarianten schossen mir durch den Kopf, genauso wie Farben und die Möglichkeiten dieses Konzept mit der Stadt selbst zu verbinden.
Oh ja! DreamLine konnte sich mit ihrer gestohlenen Idee hinter uns anstellen!
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Until Five
ChickLitEine Grafikerin in einer erfolgreichen Werbeagentur zu sein, hat so seine Tücken. Stress steht an der Tagesordnung und viel Zeit für Freizeit bleibt hierbei leider nicht, aber das ist Chloe egal! Sie liebt ihren Job über alles, obwohl sie das vor la...