Ich war ein nervliches Wrack, als Charly, David und ich auf den Weg zum Rathaus waren. Zwar versuchte ich äußerlich ruhig und selbstbewusst zu wirken, wäre innerlich jedoch am liebsten in meinem Bett verkrochen. Jesper ging es nicht anders.
Auch wenn er gemeint hatte, er würde einen Weg finden, wie wir diese Beziehung neben seiner drohenden Mutter aufrecht halten konnten, wollte selbst er nicht, dass sie uns fast schon in flagranti mit meinem Lipgloss auf seinen Lippen erwischte.
Jesper stand danach dermaßen neben sich, dass er sich keine halbe Stunde, nachdem wir diese Hiobsbotschaft bekommen hatten, Kaffee über die Hose geleert hatte. Das war der Hauptgrund, weshalb er erst kurz vor der Präsentation mit unserem Grüppchen aufschließen würde, da er sich Zuhause noch umziehen musste. Seufzend lehnte ich meinen Kopf an die Fensterscheibe und wünschte, er würde anstelle von Charly neben mir im Taxi sitzen.
Als hätte mein Bruder meine Gedanken gehört – aber vermutlich war es nur mein Seufzer –, wandte er sich zu mir und schaute mich fragend an.
Wir beide hatten uns auf dem Rücksitz platziert; eigentlich hatte ich ihn nur mit mir nach hinten gezogen, weil ich in meiner momentanen Laune nicht unbedingt neben David sitzen wollte und er mir, wenn ich am Beifahrersitz gesessen hätte, bestimmt in den Nacken geredet hätte.
Vor allem nach Samstag war mir glasklar, dass er sich mir wieder auf einer ganz anderen Ebene näher kommen möchte. Versteht mich nicht falsch, ich liebte David – als einen Freund. Er war mein bester Freund in der Schule gewesen, wir hatten unsere halbe Kindheit miteinander verbracht, was ich nicht einfach so hinschmeißen wollte. Fürs Erste versuchte ich sein Verhalten zu ignorieren, ohne David direkt aus dem Weg zu gehen. Doch in nächster Zeit würde ich das Gespräch suchen müssen, damit wir die Sache ein für alle Male klären konnten.
Mit einem leicht besorgten Blick griff Charly nach meiner Hand und zog sie langsam zu sich. Das machte er solange, bis mein Arm fast komplett ausgestreckt war und ich ihn nur verwirrt anschauen konnte.
Was hatte er denn jetzt schon wieder vor?
Plötzlich schoss seine freie Hand vor und piekste mich in die Seite. Mein überraschter Aufschrei ließ ihn nicht davon abhalten, mich weiter mit einem Grinsen im Gesicht zu kitzeln. Sofort riss ich meinen Arm von ihm frei und verkrampfte und drückte mich an die Autotür, um mich kichernd von ihm zu schützen.
David lächelte nur verschmitzt zu uns nach hinten, ehe er sich nach einem genervten Blick des Taxifahrers wieder anständig hinsetzte. Ich bekam nur das Kopfschütteln mit, das er uns nach einem weiteren Blick in den Rückspiegel gab, und wurde wieder von meinem Zwilling belagert.
Ich lachte und jammerte bis ich die Hitze in meinen Wangen spürte.
Schließlich zog sich Charly zurück und schaute mich sanft an. „Besser?"
Zuerst guckte ich ihn nur mit zusammengezogenen Augenbrauen an, als mir mit einem Schlag seine nervige – aber unglaublich liebe – Geste bewusst wurde: Mein Bruder wollte mich ablenken. Obwohl er nicht einmal wusste was passiert war, hatte er es sich wieder einmal zur Aufgabe gemacht, mich aus meinem eigenen emotionalen Loch zu hieven.
„Besser", antwortete ich ihm lächelnd und lehnte mich mit einem bisschen leichterem Herzen an ihn.
••◊••
Wie erwartet war der große Saal, in dem die Präsentationen im Rathaus stattfinden sollten, gut gefüllt. Man hatte es jedem selbst überlassen, ob er oder sie kam, und demnach hatten die meisten das Angebot dankend angenommen. Ein Teil unsere Projektgruppe hatte sich im Foyer um einen der hohen Tische versammelt, auf dem bereits einige leere Gläser standen.
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Until Five
Chick-LitEine Grafikerin in einer erfolgreichen Werbeagentur zu sein, hat so seine Tücken. Stress steht an der Tagesordnung und viel Zeit für Freizeit bleibt hierbei leider nicht, aber das ist Chloe egal! Sie liebt ihren Job über alles, obwohl sie das vor la...