ACHT

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Ich ging auf das Fenster zu, das Handy fest umklammert. Er musste eingeschlafen sein, den Kopf hatte er ans Fenster gelehnt. Friedlich sah er aus. Der Schein trügt, dachte ich und zögerte, dann klopfte ich aber doch ans Fenster. Er zuckte erschrocken zusammen, dann kippte ich es an.

»Was machst du hier?« Mein Entsetzen verlieh meiner Stimme einen kreischenden Ton.
»Ich muss mit dir reden«, sagte er nur.
Auf seine Antwort ging ich nicht ein, denn man konnte ja nie wissen, was er vor hatte. Will er mich jetzt erpressen, damit nicht ans Licht kommt, was er tat oder vielleicht noch immer tut? Und wenn ja, womit?, fragte mich. Bei diesem Gedanken entfachte sich Panik in mir.
»Beobachtest du mich? Was willst du von mir? Dir scheint es ja Spaß zu machen, mich in Angst zu versetzen. Als ich sagte verschwinde, meinte ich, dass du dich nicht mehr hier blicken lassen sollst!« Nicht nur Panik und Angst, sondern auch die Wut brodelte in mir. Ich fühlte mich angegriffen und bedroht. Wie konnte er es nur wagen, hier wieder aufzukreuzen? Entschlossen zückte ich mein Handy.
»Hey, ich komme in Frieden. Ich kann mir gut vorstellen, warum du mir nicht traust. Es tut mir leid, was ich getan habe, deshalb bin ich hier.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Was ist das? Etwa Einsicht? Ein bisschen spät oder?«
»Nein...ja! Ich...« Ich unterbrach ihn. Nichts wollte ich mehr hören.
»Weißt du was? Spar dir deine Worte und lass mich doch endlich in Ruhe!«, zischte ich. Es kam keine Antwort und er saß immer noch auf meinem Fensterbrett. Hat er einen Narren an mir gefressen? Warum verschwindet er nicht einfach?, dachte ich.

Und so begann ich, das zweite Mal die 110 zu wählen. Nun geriet er in Panik. »Bitte versteh doch! Ich will dir nichts tun.«
Er legte seine Hand an die Scheibe. »Das hatte ich nie vor. Es tut mir wirklich leid. Ich habe wirklich einen großen Fehler gemacht und dieser hat nicht nur dir einen Schrecken eingejagt, sondern ist auch meinem Bruder gegenüber nicht fair. Er verdient sowas nicht.«
Er sah mich an. »Entschuldigung«, flüsterte er.

Ich hielt inne. Sind das Tränen, die in seinen Augen aufsteigen? Auch wenn ich mir gerade noch so sicher war, wusste ich jetzt nicht mehr, ob es wirklich die richtige Entscheidung war, die Polizei zu rufen. Im Moment wollte und konnte ich nicht glauben, dass dieser Junge gefährlich war. Ich schluckte und legte das Handy auf den Schreibtisch. Erleichtert atmete er auf.
Als ich den Mund öffnete, bekam ich nichts heraus. Es hatte mir die Sprache verschlagen.

»Was ich getan habe ist eigentlich nicht zu entschuldigen«, fügte er hinzu.
Seine Hand ruhte noch immer an der Scheibe und ich legte meine an seine. Das Fenster war erst mein Schutzschild, jetzt die Verbindung zwischen uns. Auch wenn ich es nicht wahr haben wollte, so ein Erlebnis schweißte doch zusammen.

Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Ich hielt inne. Dieses Grinsen, es kam mir irgendwie bekannt vor. Doch woher? Fassungslos starrte ich ihn an und ließ die Hand sinken.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, ich denke schon«, antwortete ich und legte die Hand an den Fenstergriff. Nun schweifte sein Blick zu meiner Hand, danach sah er mich fragend an.

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