»Zu wievielt lebt und kocht ihr hier?«, fragte Nick, als wir eintraten. Er blickte sich um.
»Meine Mutter liebte das Kochen, aber selbst sie sagte, die Küche sei viel zu groß. Kein Haushalt braucht so eine Großküche. Sie passt eher zu einem Restaurant.« Er nickte abwesend.
Leon warf währenddessen einen neugierigen Blick in den Topf. »Kartoffelsuppe, aber das habe ich schon am Geruch erkannt«, erklärte er stolz. Wieder musste ich lachen. Typisch Leon.
Neben mir vernahm ich ein altbekanntes Knurren. Fragend schaute ich Nick an. Hat er schon wieder für seinen Bruder aufs Essen verzichtet? Ob er heute überhaupt schon etwas gegessen hat?, ging es mir durch den Kopf.Ich balancierte den riesigen Topf in der einen und drei Teller in der anderen Hand in Richtung Tisch. Als ich bemerkte, dass die Teller drohten wegzurutschen, geriet ich in Panik.
»Moment, das nehme ich.« In letzter Sekunde riss mir Nick den Topf aus der Hand und ich konnte die Teller vor dem sicheren Tod bewahren. Seine Finger striffen meinen Arm und erneut zog sich dieses Kribbeln durch meinen Körper. Ein berrauschendes Gefühl.
»Danke.« Ich lächelte und drehte mich dann weg, bevor er sehen konnte, dass ich rot wurde. Schon wieder fragte ich mich, was mit mir los war. Warum passiert mir sowas in seiner Nähe? Ich muss mich endlich wieder einkriegen. Ich weiß doch noch nicht einmal, ob ich ihm vertrauen kann, da kann ich mich doch nicht in ihn verlie... Nein! Ich bin nicht verliebt!Ich verteilte die Teller auf den Tisch und versuchte den Gedanken zu verjagen, doch es war hoffnungslos.
Von hinten legte sich eine Hand auf meine Schulter. Ein weiteres Kribbeln durchzog mich und mir wurde plötzlich warm. »Alles in Ordnung?«, fragte Nick besorgt.
Für eine Weile musste ich gedankenversunken auf die leeren Teller gestarrt haben. Ich drehte mich zu ihm um und erblickte seine blauen Augen. Anders als bei anderen wirkten sie aber nicht kalt oder gefühlslos, sondern leuchtend und lebendig.
»Es ist nur zur Zeit alles ein bisschen viel.«
»Was genau meinst du damit?« Ich zuckte nur mit den Schultern, denn Leon kam zum Tisch.
Dich meine ich. Du bist irgendwie ein bisschen zu viel für mich. Ich weiß nicht was ich von dir halten soll. Erst brichst du hier ein und ich bekomme Angst vor dir, jetzt bist du irgendwie wie jemand, den ich schon Jahre kenne, antwortete ich in Gedanken.Während des Essens merkte ich, dass Nick ziemlich nachdenklich wurde. »Warum ist die Welt so ungerecht?«, fragte er plötzlich und ich verstand sofort, wie er darauf kam. Er selbst lebte mit seinem Bruder in einer kleinen Wohnung, was so ziemlich das Gegenteil von unserem riesigen Haus war. Er verzichtete auf Essen, da er kaum genug Einkommen hatte, um einen Zwei-Personen-Haushalt zu stämmen und ich kaufte versehentlich zu viel ein und achtete dabei nicht einmal auf den Preis. Nun fühlte ich mich schlecht. Er musste sich ziemlich unwohl fühlen in diesem Haus, das eher eine Villa war.
»Das kann wohl niemand verstehen. Manche Menschen haben so viel Geld, dass sie ganze Länder ernähren können, andere nicht einmal sich selbst«, entgegnete ich. Er warf einen Blick auf Leon, als wünschte er sich für ihn, eine bessere Welt oder wenigstens bessere Chancen. Ich schluckte. Nun fragte auch ich mich, warum die Welt so unfair war. Irgendwie musste man doch einen Ausgleich schaffen können. Keiner hat ein schlechteres oder besseres Leben verdient.
Meine Mutter hatte sich zum Ziel gesetzt, mit der Aushilfe in der Kantine und durch regelmäßige Spenden zumindest hier in der Gegend Menschen zu unterstützen, denen es nicht so gut geht wie dem Großteil der Bevölkerung. Natürlich war das nüchtern betrachtet nur ein Tropfen auf den heißen Stein, dennoch war sie mein Vorbild. Heute hatte ich zwei von ihnen zumindest ein Mittagessen geschenkt.
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Fear Trust Love
RomanceMira steckt tief im Stress. In wenigen Wochen finden schon die Abiturprüfungen statt, also stürzt sie sich in stundenlanges Lernen. Kaum jemand bekommt sie außerhalb der Schule zu Gesicht. Doch ihr Leben ändert sich, als sie eines Nachts unerwartete...