VIERZEHN

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Ich stand in unserer Küche und rührte in dem riesigen Topf herum. Nachdem Jannik das Haus verlassen hatte und zur Arbeit aufbrach, fühlte ich mich sofort wieder allein, obwohl ich es nicht war. Mein Vater war zuhause, aber seit dem Frühstück hatte ich ihn nur kurz gesehen.
Im Flur vernahm man ab und zu Gesprächsbrocken, die durch die Tür des Arbeitszimmers drungen. Als Leiter eines großen Unternehmen, das in Immobilien investiert, führte er ständig Telefonate mit Geschäftspartnern. Die genauen Aufgaben, die er hatte, kannte ich allerdings nicht. Er erzählte nie viel aus seinem Leben, das eigentlich vollständig aus Arbeit bestand. Zum Mittagessen leistete er uns nur selten Gesellschaft. Auch heute wollte er im Arbeitszimmer essen und hatte sich bereits den Rest seines gestrigen Abendessen aufgewärmt.

Die kochende Kartoffelsuppe holte mich aus meinen Gedanken zurück in die Realität. Schnell regelte ich die Hitze nach unten.
Ich sah mich um. In unserer großen Küche hatte ich es geschafft, alle Arbeitsflächen zu besetzen. Es herrschte reines Chaos, das noch beseitigt werden musste, bevor meine Gäste eintrafen. Also räumte ich in Windeseile alles in die Spülmaschine.
Geschafft, dachte ich und lehnte mich an den Schrank. Doch viel Zeit zum Durchatmen blieb mir nicht, denn schon klingelte es. Ich eilte zur Tür.

~

»Hey ihr zwei!«, begrüßte ich meine Besucher. Es war komisch für mich, die beiden nebeneinander stehen zu sehen. Ich konnte mich gar nicht entscheiden, welches der fast identischen Grinsen sympathischer war.
Leon begrüßte mich mit einer Umarmung. »Was gibt es denn zu essen? Ist es schon fertig?«, fragte er. Ich musste lachen. Nichts anderes hatte ich erwartet.
»Lass dich überraschen.«

Nick stand unschlüssig vor mir. »Hallo«, sagte er. Ohne noch einmal zu überlegen, umarmte ich auch ihn. Er schien erst etwas überrumpelt zu sein, doch er konnte gut umarmen. Nicks Umarmung löste irgendetwas in mir aus. Alles kribbelte, ein schönes Gefühl. Kurz kam mir der Gedanke, ihn einfach nicht mehr loszulassen. Sofort schüttelte ich diese Überlegung ab.
Als wir uns wieder von einander lösten, musste ich mir Mühe geben, nicht rot zu werden. Was ist bloß in mich gefahren?, fragte ich mich.
Nick fuhr sich durch die Haare und grinste. War es Einbildung oder nahm sein Gesicht auch eine rötliche Farbe an?
»Kommt mit, hier geht's lang«, sagte ich und ging vorraus. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Leon seinem Bruder einen vielsagenden Blick zuwarf. Hilfe! Kann er Gedanken lesen?

Leon schaute erstaunt den langen Flur entlang. »Euer Haus ist ja riesig!«
»Ja, riesig und einsam«, antwortete ich mit der Hand auf der Klinke.
»Wieso einsam?« Leon sah mich fragend an.
»Außer meinem Bruder ist eigentlich nie jemand zuhause. Aber heute ist mein Vater da.«
»Isst er mit uns?«
»Nein, er arbeitet.« Wie immer, fügte ich in Gedanken hinzu.
»Heute bist du nicht alleine.« Da hatte Leon recht.

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