SECHZEHN

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Das Wochenende über verbrachte ich hauptsächlich in meinem Zimmer und versuchte den Lernstoff in meinen Kopf zu bekommen, der jedoch im Anblick der immer näher rückenden Prüfungen mit mir machte, was er wollte. Manchmal hatte ich keinen Appetit, zu besonders stressigen Zeiten wurde mir sogar übel und das alles nur, weil ich mich selbst so unter Druck setzte.

Die Schulwoche begann ganz ähnlich. Morgens stand ich auf und verzichtete meist aufs Frühstück. In der Schule schaffte ich es nur selten etwas zu essen. Auch abends hatte ich noch keinen Hunger, zwang mich aber dazu, wenigstens ein bisschen zu mich zu nehmen. Dazu kam noch wenig Schlaf, da ich meist bis in die Nacht lernte.
So ging das ein paar Tage gut, doch bereits am Mittwochabend zeigten sich die Folgen meines Handelns.

Ich saß in meinem Zimmer und war fix und fertig. Nichts ging mehr. Ich drehte mich beim Lernen im Kreis und kam nicht voran. Verzweifelt und von der Prüfungsangst zerfressen, wusste ich nicht mehr weiter. Ich legte meinen Kopf auf den Schreibtisch und ein Schluchzen entfuhr mir. Nun rollten Tränen meine Wangen herunter. Ich konnte nicht mehr. Ich war gefangen in meinem gestressten, übermüdeten Körper.
Nach einer Weile kamen keine Tränen mehr. Mein Kopf ruhte noch immer auf dem Schreibtisch. Wie gelehmt verharrte in dieser Position.

Ich vernahm ein Geräusch, konnte es allerdings nicht zuordnen. Als ich es erneut hörte, identifizierte ich es als Türklingel. Ich erhob mich und warf einen Blick in den Spiegel. Ein arger Fehler. Meine Augen waren vom Weinen gerötet, unter ihnen lagen dunkle Schatten und aus meinen Zopf hingen einige lose Stränen. Ich war nur noch die Hülle meiner Selbst. Mit meinem Ärmel wischte ich über meine Wangen und Augen. Es war zwecklos.
Mein Vater sah es nicht ein, dass er seine Arbeit unterbrach, nur um die Tür zu öffnen, also war das wohl oder übel meine Aufgabe. Ich seufzte. Es ist bestimmt eh nur der Postbote.

~

Ich eilte die Treppe hinunter, durch den Flur in den Eingangsbereich und blieb abrupt stehen. Es war nicht der Postbote, den ich da von weitem durch das Fenster in der Tür erkannte, sondern Nick. Ich überlegte einfach wieder umzukehren. Er durfte mich nicht so sehen, aber er hatte es bereits und grinste mich an. Warum musste er mich ausgerechnet heute besuchen?

Ich kam an die Tür und sein Grinsen verschwand. Nick warf mir einen fragenden Blick zu. Tief atmete ich ein, dann drückte ich auf die Klinke.
»Hallo.« Ich zwang mich zu lächeln. Es wirkte unecht, das war mir bewusst, aber trotzdem hatte ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass er es mir abkaufen würde.
Nick kam herein. »Ist alles in Ordnung?«, fragte er ohne jegliche Begrüßung. In seinen Augen lag Besorgnis. Er sollte sich keine Sorgen meinetwegen machen, von denen hatte er genug.
Ich wollte ihm versichern, dass es mir gut ging, aber ich war unfähig ihn anzulügen, unfähig zu sprechen. Ich schwieg und schaute zur Seite, denn ich spürte erneut Tränen in meinen Augen aufsteigen. Nein, ich durfte nicht die Fassung verlieren. Reiß dich zusammen. Es ist alles in Ordnung, ermahnte ich mich.

Nick machte einen Schritt zu mir. »Mira? Was ist los?« Er kam noch etwas weiter auf mich zu. Je näher er kam, desto schwieriger wurde es, nicht in Tränen auszubrechen. Als ich bemerkte, dass er noch einen Schritt in meine Richtung nehmen wollte, versuchte ich zwanghaft die Kontrolle über mich zurück zu erlangen. Ich wich einige Schritte zurück.

»Verschwinde! Glaub mir, es ist besser so«, gab ich Nick zu verstehen, doch er gehochte nicht.
Er kam schon wieder näher! Ich schlang die Arme um meinen Körper. Kontrolle. Ich muss mich beherrschen.
»Ich kann das nicht. Ich... kann nicht mehr. Geh! Los! Worauf wartest du?!«, schrie ich ihn an, was ihn nicht beeindruckte. Es fiel mir schwer zu steuern, was ich sagte. Ich war wie elektrisiert.
Nick kam weiter auf mich zu. »Nein, ich werde nicht gehen. So kann ich dich nicht dir selbst überlassen«, sprach er auf mich ein.
»Ich bin ja nicht allein, mein Vater ist zuhause«, erwiderte ich kühl. Ich ließ keine Emotion aus mir heraus, um nicht in Tränen auszubrechen.
»Mira...« Seine Stimme versiegte. Er klang verzweifelt, doch er gab nicht auf. Fast stand er wieder vor mir.
Ich drehte mich weg, um zu fliehen. Nicht vor ihm, vor mir selbst, aber es ging einfach nicht. So blieb ich stehen. Meinen Blick hielt ich starr auf die Wand gerichtet, ein fester Punkt, an dem ich Halt suchte.

Nach einer Weile legte Nick seine Hand auf meine Schulter. Die Wärme, die mich durchdrang, beruhigte mich. Er war noch da und nicht gegangen, wie ich es vermutet hatte.
Ich drehte mich um und blickte in seine blauen Augen. Er sorgte sich um mich. Nick wusste sofort, dass etwas mit mir nicht stimmte. Er konnte mich nicht verstehen, aber er wollte es. Ich musste es nur zulassen.

Die Verzweiflung kehrte zurück, Tränen flossen aus meinen Augen. Ich schluckte schwer. Jeder Versuch dagegen anzukämpfen war zum Scheitern verurteilt.
Nick drückte mich wortlos an sich. Weinend lag ich in seinen Armen, den Kopf an seine Schulter gelehnt. Der ganze Stress der letzten Wochen brach über mir zusammen. Seine Umarmung befreite mich von diesem kontrollsüchtigen Ich. Alles erschien wieder klarer.
Nun wusste ich wer er war. Er war kein gefährlicher Einbrecher. Nick hatte zwar nicht viel Geld, aber besaß einen so großen Reichtum an Herzlichkeit wie kein anderer. Er war für mich da und würde nicht gehen, wenn es mir so schlecht ging.

Fear Trust LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt