VIERUNDZWANZIG

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Am nächsten Morgen schaute ich gleich auf mein Handy, aber meine Erwartung hatte sich nicht bestätigt. Noch immer keine Nachricht von Nick. Gestern Abend hatte ich ewig wach gelegen und auf das Aufleuchten meines Displays gewartet, doch vergeblich. Irgendwann war ich dann eingeschlafen.

Die Ungeduld war meine größte Schwäche. Das bemängelte auch mein Vater oft. Auch wenn er nur kaum da war oder mit mir sprach, ging ihm jede Nachricht, jede Frage, wann er denn wieder käme und jedes weitere Mal, dass ich mich nach ihm erkundigte auf die Nerven.
Mira, nicht während der Arbeitszeit! - Wir reden, wenn ich wieder zuhause bin. - Mira, ich brauche jetzt Ruhe! Seine Antworten konnte ich mittlerweile schon vorraus sehen, dennoch versuchte ich es immer wieder. Meine Ungeduld konnte ich selbst kaum aushalten. Fast war ich froh, dass ich Nicks Nummer nicht besaß, sonst hätte ich ihm schon mehrere Nachrichten geschickt.

Ich ließ mein Handy sinken, es machte mich verrückt, nichts tun zu können. Warum meldete er sich denn nicht? Wahrscheinlich schläft er noch, versuchte ich mir einzureden. Im Hinterkopf entwickelte sich jedoch ein ganz anderer Gedanke, der so ziemlich stereotypisch war. Was, wenn er mir absichtlich nicht schrieb, um... Nein, so ist er nicht! Für diesen dämlichen Einfall hätte ich mich am liebsten selbst angeschrien. Auch wenn es wohl den einen oder anderen gab, der so etwas tat, Nick gehörte nicht dazu.

~

Mein plötzlicher Hunger trieb mich in Richtung Küche. Das Handy steckte in meiner Hosentasche. Ich war nicht in der Lage dazu, es einfach so in meinem Zimmer liegen zu lassen. Nick konnte mir zu jeder Zeit schreiben. Es war wie ein Zwang, der mich dazu drängte alle zehn Minuten aufs Handy zu schauen.
Ich setzte mich zu Jannik an den Tisch. »Guten Morgen«, murmelte ich abwesend, während ich mein Handy auf neue Nachrichten kontrollierte und es anschließend etwas frustriert auf den Tisch legte.
»Guten Morgen«, entgegnete dieser stirnrunzelnd. Sofort machte ich mich auf einen Kommentar seinerseits gefasst, doch er schien es sich verkniffen zu haben. Erleichtert Schnitt ich mir ein Brötchen auf.

Einige Zeit später, leuchtete mein Handy auf. Ich legte mein Brötchen ab und entsperrte es. Dann war ich einen kurzen Augenblick lang verwirrt. Jannik?! Warum schrieb er mir?
Ich warf ihm einen fragenden Blick zu. »Das scheint ja die einzige Möglichkeit zu sein, deine Aufmerksamkeit zu bekommen. Du bist heute so... schweigsam.«
Schweigsam war die falsche Beschreibung, eher war ich in meinen Gedanken versunken.
»Ich warte auf eine Nachricht«, klärte ich ihn auf.
»Du kannst es einfach nicht lassen, oder?«
»Äh, was?« Ich war einfach nicht bei der Sache und konnte dem Gespräch, das gerade erst begonnen hatte, jetzt schon kaum folgen.
»Du sollst ihm doch nicht schreiben, wenn er arbeitet.« Ach, es ging um unseren Vater. Darauf wollte Jannik also hinaus.
»Habe ich nicht, ausnahmsweise
»Oh, sie lernt dazu.« Mein Bruder konnte scheinbar gar nicht anders, als darauf herum zu trampeln. Spielerisch tritt ich nach ihm, verfehlte allerdings mein Ziel, worauf er mich triumphierend ansah und zu lachen begann. Herrlich, diese Geschwisterliebe.

Mein Display leuchtete erneut auf. Endlich! Länger hätte ich meine Ungeduld nicht aushalten können. Neugierig öffnete ich die Nachricht.
Guten Morgen Lucy! Ich bin's Patrick.
Grinsend tippte ich eine Antwort. Nick, ich warne dich, nimm den Bart ab!
Nein, jetzt kannst du nichts dagegen unternehmen.
Das Krimidinner ist vorbei oder träumst du noch?, antwortete ich.
Nick schickte ein Bild von sich mit dem Schnurrbart, gefolgt von der Nachricht: Der Bart bleibt!

Ich stieß einen amüsiertes Glucksen aus. Mein Bruder sah mich fragend an. Ich hatte ganz vergessen, dass er noch im Raum war.
»Was gibt's Neues?«, fragte Jannik, der auf mich zu kam, um einen Blick auf mein Handy zu erhaschen. Schnell drückte ich es an mich.
»Das geht dich gar nichts an«, erwiderte ich grinsend. Ich wusste mein Bruder konnte es nicht ausstehen, wenn ich ihm etwas verheimlichte.
»Hey, zeig doch mal!« Er versuchte mir mein Handy abzunehmen. Wie erwachsen er sich doch verhielt. Wenn man ihn jetzt sehen könnte, würde man mir nicht glauben, dass er schon zweiundzwanzig Jahre alt war.

Eine Weile schaffte ich es ganz gut, mein Handy zu verteidigen, doch einige Zeit später lag es in Janniks Händen. Ich versuchte noch es ihm zu entreißen, aber ich hatte keine Chance. Mist!
Zu meinem Glück hatte sich mein Handy schon wieder selbst gesperrt. Er konnte nur noch Nicks Namen lesen, der mir inzwischen noch eine Nachricht geschickt hatte.
»Nick hat deine Nummer?« Jannik zog die Augenbrauen hoch, sodass seine Stirn Falten schlug.
»Warum nicht?« Keine Antwort.
Ich bemerkte, dass sich mein Bruder unwohl in der jetzigen Situation fühlte. Er wollte Nick nicht über den Weg trauen. Aber warum nicht? Wenn er ihn kennen würde...
»Er kommt heute Abend vorbei«, erklärte ich, ehe ich meinen Gedanken zuende denken konnte.
»Aha.«
Aha? Das war's?
»Du solltest ihn mal richtig kennenlernen. Er ist echt nett und lustig.« Es kostete mir viel Mühe, nicht rot zu werden.
Jannik schluckte schwer. »Warum nicht?«, antwortete er zu meiner Überraschung.

Während ich die Treppe hinauf stieg, schrieb ich noch immer mit Nick. Wir einigten uns, wann wir uns treffen wollten. Als ich ihm davon erzählte, dass wir mit meinem Bruder zu Abend essen könnten, wirkte er etwas nervös. Bei der Erinnerung an das, was Abigail von Marks Bekannten erzählt hat, war ich es dann aber auch. Den armen Kerl hatte er einfach verjagt, als dieser, um mich wegen des Abiballs zu fragen, vor der Haustür stand. Bei dieser Erinnerung fing es sofort an in mir zu brodeln.
Dass Nick nun mehr als nur ein Tanzpartner für mich war, wusste Jannik bisher noch nicht. Wie würde er wohl reagieren? Ahnt er es bereits? Diese Fragen spukten noch eine Weile in meinem Kopf herum.

Als ich mein Zimmer erreicht hatte, riss mich das Klingeln meines Handys aus meiner Tagesplanung. Eigentlich wollte ich mich an den Schreibtisch setzen und lernen. Ob Nick noch über etwas mit mir sprechen wollte? Ich nahm ab, dann war ich etwas verwirrt, dass nicht seine, sondern Abbys Stimme durch mein Handy drang.
Wir begannen uns über gestern zu unterhalten. Ich konnte mich allerdings nur schlecht aufs Gespräch konzentrieren. Die anstehenden Prüfungen hinterließen in jedem Moment Freizeit, in dem ich nicht lernte, ein schlechtes Gewissen zurück. So wanderten meine Augen immer wieder auf die Uhr, um zu überprüfen, wieviel Zeit mir heute noch zur Prüfungsvorbereitung blieb. Also brach ich das Telefonat mit Abigail bald ab.

Eine halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit ging ich in die Küche, um den Tisch vorzubereiten. Ich stellte die Teller bereit, dann schnitt ich Brot auf. Ich war allerdings nicht bei der Sache. Innerlich betete ich dafür, dass sich Jannik zusammenreißen und sich Nick gegenüber gut verhalten würde.

Fear Trust LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt