FÜNFUNDZWANZIG

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Meine Finger trommelten auf der Tischplatte. In mir breitete sich Ungeduld aus und seit mir Jannik gegenüber saß, stieg auch meine Nervosität an.
Mein Bruder, dem das Geklopfe so langsam auf die Nerven ging, zog die Augenbrauen hoch. Ich hielt inne und verschränkte die Arme, was die Stille zwischen uns noch unangenehmer machte.

Jannik räusperte sich und ich schaute ihn fragend an. »Wo bleibt denn der Meistertänzer?« Ich rollte mit den Augen, immer diese Anspielungen.
»Er ist gleich hier.« Das hoffte ich zumindest, denn lange würde ich dieses Schweigen nicht mehr ertragen.
»Wir könnten auch schon anfangen, wenn er sowieso gleich da ist.«
»Nein!« Sofort wurde ich mir meiner Lautstärke bewusst und sprach leiser weiter. »Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du deinen Hunger noch ein bisschen zügeln könntest«, zischte ich. Eigentlich wollte ich gar nicht so reagieren, aber mit seinem Gestichel hatte er mich ziemlich gereizt.
Wieder entstand diese furchtbare Stille, aus der ich kein entkommen sah. Angespannt rieb ich meine Handflächen über die Oberschenkel. Ich schaltete mein Handy ein und wieder aus. Keine neue Nachricht. Nick war erst fünf Minuten zu spät, aber für mich war es die reinste Qual.

Die Klingel erlöste mich endlich. Augenblicklich sprang ich auf. Meinem Bruder warf ich noch einen kurzen Blick zu, bevor ich aus der Küche eilte. Bitte, benimm dich, flehte ich ihn innerlich an.
Ich rannte mehr als das ich ging, unser Flur kam mir noch nie so lang vor. Aber als ich Nick durch die Scheibe der Haustür sah, war jegliches Warten und die Ungeduld längst vergessen. Von der Vorfreude beflügelt öffnete ich die Tür und fiel sofort in seine Arme.
Ich löste mich von ihm und plötzlich war es mir peinlich, wie ich mich gerade an ihn geschmissen hatte.
»Ähm.. Schön das du da bist«, begrüßte ich ihn und ließ ihn herein. Sofort spürte ich das Prickeln meiner Wangen.
Nick lächelte entschuldigend. »Tut mir leid, ich habe irgendwie die Zeit verpasst.«
»Ist doch nicht so schlimm.« Von dem Warten mit meinem Bruder abgesehen, fügte ich in Gedanken hinzu. Sein Bruder war zum Glück nicht so.
»Was macht Leon jetzt eigentlich?«, fragte ich in der Hoffnung, dass er nicht allein zuhause saß.
»Er übernachtet dieses Wochenende bei einem Freund. Ich hole ihn später noch ab«, erklärte Nick und mir fiel ein Stein vom Herzen.

Wir liefen den Flur entlang, der mir eben noch so lang erschien und jetzt waren wir schon fast in der Küche, fast bei Jannik.
Plötzlich spürte ich, wie Nick nach meiner Hand griff. Ich sah ihn an und bemerkte, dass auch ihm die Aufregung ins Gesicht geschrieben stand. Nervös lächelte ich. Nun standen wir vor der Küche. Ich schluckte, dann öffnete ich die Tür. Lass bitte alles gut gehen, bitte.

Wir betraten die Küche. Für einen Moment war es so still, dass man selbst eine Stecknadel hätte fallen hören können. Jannik starrte wie entgeistert auf unsere ineinander liegenden Hände. Ich hätte es ihm sagen müssen. Warum hast du es ihm nicht vorher erzählt? Das hast du nun davon. Die Vorwürfe in meinem Kopf schienen in Endlosschleife zu laufen.
Jannik atmete tief durch und man sah, wie sich in seinem Kopf die Rädchen zu drehen begannen. Er erhob sich. Ich warf ihm einen flehenden Blick zu. Bitte...

Nick streckte meinem Bruder die Hand entgegen, welcher sie ergriff und genauso schnell wieder los ließ.
»Hallo.« Die Stimme meines Bruders klang merkwürdig kalt, beinahe blechern.
»Hey«, erwiderte Nick. Er wirkte etwas eingeschüchtert von dieser Begrüßung. Ich drückte seine Hand, die noch immer in meiner lag und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.
Prüfend sah ich Jannik an. Ich hatte mich auf ganz anderes gefasst gemacht, doch er schien sich zurückzuhalten. Wir setzen uns ihm gegenüber und da war sie wieder, die unangenehme Stille.

»Können wir jetzt endlich essen oder hast du noch jemanden eingeladen?« Dieser Satz klang zwar vorwurfsvoll, aber wieder mehr wie mein Bruder. Ich verspürte Erleichterung, die es langsam schaffte, meine Nervosität zu bezwingen.
»Bevor du noch den Hungertod erleidest...«, stichelte ich grinsend und Jannik rollte mit den Augen. Im selben Moment hörte ich neben mir ein Knurren. Fragend drehte ich den Kopf zu Nick. Ob er wieder für seinen Bruder aufs Essen verzichtet hat?
.
»Siehst du? Nick versteht bestimmt, was ich meine. Wir sitzen hier vor dem gedeckten Tisch und nichts passiert.«
»Ich wollte auch schon fragen, wann wir essen«, stimmte Nick lachend zu.
Ich hielt Nick den Brotkorb hin und wartete darauf, dass er sich etwas heraussuchte. »Eigentlich war ich der Meinung, dass ihr euch selbst bedienen könnt. Ich wollte euch nicht verhungern lassen«, scherzte ich und streckte auch Jannik das Brot entgegen.

Mein Bruder hatte sich zusammengerissen und ich war froh, dass die angespannte Stimmung vom Beginn verflogen war. Nun ging es schon beinahe ausgelassen zu. Unsere Unterhaltung wurde von Janniks Handy unterbrochen, das zu klingeln begann. Er starrte für einen Augenblick verwirrt aufs Display, dann verschwand er mit dem Handy aus der Küche.
Nick schaute mich fragend an, worauf ich nur mit den Schultern zuckte. Mein Blick verfolgte der zu schwingenden Tür, durch die mein Bruder gerade gegangen war. Auch ich hätte gerne gewusst, wer ihn am Sonntagabend anrief.

Ich wandte mich wieder an Nick und musste ich mir das Lachen verkneifen, als dieser mich triumphierend ansah. Eigentlich hätte ich damit rechnen müssen. Dieser dämliche Schnurrbart! Es war fast schon ein Wunder, dass er nach dem ganzen hin und her noch so gut klebte.
Grinsend zog ich Nicks schwarzen Schnurrbart ab, welchen ich dann vor ihn auf den Tisch legte. Natürlich durchschaute ich seine Masche und wusste worauf er hinaus wollte, aber ich wollte es ja irgendwie auch.

Kaum hatte ich den den Klebebart nicht mehr in der Hand, zog er mich zu sich. Es fühlte sich ganz weich und vorsichtig an, wie er seine Arme um mich schlang und seine Lippen meine berührten. Augenblicklich entstand dieses Kribbeln und durchzog meinen Körper mit Wärme.

Ein Knallen hallte durch die Küche. Erschrocken lösten wir uns voneinander. Beide hatten wir nicht mitbekommen, dass Jannik wieder zurück gekommen war. Sein Handy lag auf dem Boden.
Diese Reaktion meines Bruders war mir peinlich. Scheinbar hatte er vor Entrüstung das Handy fallen gelassen und nun starrte er uns angespannt an.

Plötzlich schien ihm bewusst zu werden, was er tat und wandte den Blick ab. Nick nutzte die Gelegenheit, um den Schnurrbart in seiner Hosentasche verschwinden zu lassen.
Verlegen griff Jannik nach seinem Handy. Bildete ich es mir nur ein oder war mein Bruder sogar rot geworden?
Nick verfiel in ein nervöses Lachen und obwohl ich mir nicht sicher war, warum ich es tat, stimmte auch ich mit ein. Ich konnte gar nicht anders und irgendwann begann auch Jannik zu lachen.
Das Lachen verstummte und zu meinem Glück sah Jannik nicht mehr aus, als wollte er Nick loswerden, sondern schüttelte nur grinsend den Kopf.

Einige Zeit später verabschiedete sich Nick. Er versprach mir, mich bald wieder zu besuchen und machte sich dann auf den Weg, um Leon abzuholen.

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