16. Abschnitt (36.1.3,5; Aus der Sicht von Kasper)

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Weil Menschen eigentlich sehr langweilig sind, beobachte ich häufiger andere Wesen als naja... Menschen. Heute aber nicht. Die Strasse auf der ich stand war gut beleuchtet obwohl es schon spät war. Ein anständigereres Wesen hätte es lieber gehabt, sie wäre nicht so gut beleuchtet gewesen. So konnte man alles sehen. All die Zigarettenstümmel, die schmutzigen Fenster, einige davon eingeschlagen, die fett beschminkten Prostituierten mit ihren leichten, viel zu kalten Kleidern. Ein paar betrunkene Männer lallten sich gegenseitig zu als sie die Tür zu einem schäbigen kleinen Pub aufstiessen. Eigentlich gar nicht so übel. Man kann sicher viel Schlechtes über Viertel wie diese sagen. Aber sie sind ehrlich. Jeder der diese Strasse betrat wusste, was hier passierte. Es war offensichtlich, was man hier finden würde. Die Strasse hielt was sie versprach. Sie versprach nichts grossartiges, nichts Ehrenwertes. Vielmehr versprach sie dreckigen, lustvollen spass, verbunden mit Gefahr und Abenteuer. Lügen die hier erzählt wurden waren meist leicht zu durchschauen und selbst die, die etwas raffinerter waren wurden von der Strasse doch angekündigt. Ich betrat ein Bordell. Wie die Frauen sich zu mir umdrehten und mir Kussmünder zuwarfen, mit diesen tief- und grellrot angemalten Lippen. Das waren offensichtliche Lügen. An keinem anderen Ort auf der Welt wird die Lüge so ehrlich zugegeben. Ist das nicht eine Art die Wahrheit über den Menschen zu celebrieren? Ich begab mich in eine dunkle Ecke und machte mich dort unsichtbar bevor ich weiter ging. Cheri hatte ihr Neugeborenes mit zur Arbeit genommen. Sie gab ihm Milch, während sie versuchte Kunden anzulocken. Ihre lockigen, hellrot gefärbten Haare, hatten einen braunen Ansatz bekommen in den letzten Monaten. Obwohl sie eigentlich nur eine Brust für das Baby hätte frei machen müssen, hatte sie beide frei gemacht. Sie trug ein dunkles, hässliges, dreckig-grünes Kleid.

Nur kurz nachdem ich ihr Zimmer erreicht hatte, erhielt sie Besuch von einem Mann. Der Mann war sehr gross und etwas dicklich. Alles an ihm wirkte plump. Seine Hände, seine Kartoffelnase, sein Gesicht, sogar seine kurzen, dicken Haare. Es war Ihminen. Er kam um sein Kind zu sehen. Cheri winkte ihn eilig herein und schloss die Tür hinter ihm. Ich war schon vorher an ihr vorbei in ihr Zimmer geschlüpft. Ihminen nahm das Kind an sich. Wenn man Ihminen nicht gekannt hätte, hätte man den Ausdruck auf seinem Gesicht durchaus mit Liebe verwechseln können. Das Kind schlief sofort in seinen Armen ein und er legte es so vorsichtig wie seine plumpen, groben Arme und Hände das konnten, aufs Bett. Es war klar, dass Cheri immer mehr in dieser Beziehung gesehen hatte als er. Im letzten Moment ihres Lebens umarmte sie Ihminen, dumm vor Glück, und redete über das Leben, das die beiden gemeinsam haben würden sobald er seine Frau verliesse. Ihminen erstach sie hinterrücks mit einem kleinen, vergifteteten Dolch. Dann ging er zu seiner Tochter. Nachdem er ihre Kehle aufgeschlitzt hatte schnitt er sie in kleine Stücke. Sie würde ein Geschenk für Leviathan werden.

Die Szene war interessant zu beobachten. Natürlich war Ihminen nicht komplett böse, was sicher viele Menschen behauptet hätten, wenn sie das gerade beobachtet hätten. Er hatte menschliche Wünsche, Gefühle, Verlangen und Schwächen wie jeder andere auch. Und diesen entsprechend handelte er. Es war sein Verlangen nach Macht, das seine Gefühle beherrschte und seine größte Schwäche darstellte. Hätte er sich nicht für den Weg der schwarzen Magie entschieden, wäre sein Wunsch nach Macht wahrscheinlich im normalen Rahmen geblieben und hätte sich nicht so weiter entwickelt. Leviathans Einfluss auf ihn hatte ihn verändert. Aus philosophischer Sicht könnte man darüber diskutieren ob er überhaupt noch ein Mensch war.

Natürlich war er das. Er hatte sich nur insofern verändert, dass er jetzt gar keinen moralischen Anspruch mehr an sich selbst stellte. Moral war ihm sowieso nie besonders wichtig gewesen. Schon bevor Samjiva hierher gekommen war und er einen Pakt mit Leviathan geschlossen hatte, der ihm die Macht über diese Stadt gegeben hatte, war sein Leben vom Verlangen nach Macht diktiert worden. Das machte ihn unglaublich menschlich.

Er steckte den Dolch in seine Jackentasche und machte sich auf den Weg nach hause, das zerstückelte Baby trug er, in einem Tuch eingewickelt, in seiner linken Hand mit sich. Das Tuch färbte sich schnell blutrot, aber keiner der Prostituierten oder Landstreicher, an denen er vorbei ging schien darauf aufmerksam zu werden. Sie waren schlau genug um zu wissen, dass man manche Dinge besser nicht bemerkte.

Zuhause angekommen ging er geradewegs in sein Schlafzimmer. Er öffnete seinen Schrank und betätigte einen dort angebrachten Hebel, der nicht so gut versteckt war, wie er hätte sein sollen. Sein Schrank schob sich zur Seite und Ihminen konnte sein geheimes Arbeitszimmer betreten. Dort stand ein grosses Regal voll mit vielen grünen, gelben und roten Tränken, mit verzauberten und vergifteten Messern, Säbeln und mit merkwürdigen, grossen, runden Gläsern in denen silber-bläuliches Lichter glänzten. Die feinen, silber-bläulichten Lichter waren Menschenseelen, die Ihminen gestohlen hatte und jetzt hier gefangen hielt. Einige davon sprangen, obwohl sie sicher schon seit Monaten dort festgehalten wurden, immer noch wütend gegen das Glas und versuchten sich so zu befreien. In der Mitte des Zimmers stand ein grosser Schreibtisch auf dem eine magische, schwarze Hand, ein Geschenk von Leviathan, gerade eine neue Menschenseele anzog. Es war die der Namenlosen. Zum Teil war sie schon da, aber die Hand würde sie erst dann einfangen, wenn Leviathan Ihminen den Befehl geben würde die Hand zu benutzen um sie zu greifen.

Ihminen legte das blutige rote Tuch samt Inhalt in eins der Regale und schloss sein Arbeitszimmer dann schnell wieder hinter sich, denn er hörte Schritte. Vorsichtig öffnete seine Frau die Zimmertür und schloss sie wieder um dann ein paar leise Schritte aufs Bett zuzumachen. In Gedanken fragte sie sich woher das Blut an Ihminens Hand kam, aber sie wollte es eigentlich gar nicht wissen.

"Liebst du mich?"

Puolisos Atem wurde ein wenig schneller und ihre Augen weiteten sich vor Angst.

"Ja. Ich liebe dich." Eigentlich hatte sie in einem überzeugenderen Tonfall antworten wollen, aber ihre Stimme versagte.

Als er ein paar Schritte auf sie zumachte, versteifte sich ihr Körper. Sie atmete kontrollierter, langsamer und viel tiefer ein. Ihminen fiel das nicht auf. Er umarmte ihren angespannten Körper, wobei sie sich noch mehr anspannte und es nicht mehr schaffte ein paar Tränen zu unterdrücken.

"Du gehörst mir."

Wie unglaublich blind er war. Ihminen glaubte wirklich an seine Beziehung zu seiner Frau.

NamenlosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt