5. Abschnitt (24.7.4,5; Aus der Sicht der Namenlosen)

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Benique. So hat er mich genannt. Benique. So haben alle mich genannt. Sara Benique Jourdette. Das war mein Name. Damals. Damals als ich noch ein Mensch war. Wenn ich mich jetzt daran erinnere ist es so als würde ich alles aus der Sicht von jemand anderem sehen, als wäre das nicht ich, die das erlebt hat. Als wären das nicht meine Erinnerungen. Es sind nicht meine Erinnerungen. Es sind Beniques Erinnerungen. Und jetzt wo ich Sammi dort sehe.. Er sieht in meine Richtung, mit diesen flehenden, weinerlichen Augen.

Jetzt sehe ich diese Erinnerungen nochmal. Es fängt an als ich.. Nein.. Nicht ich.. Diese Frau sitzt an einem Tisch. Es ist ein warmer Frühlingsmorgen, die Sonne scheint.

Neben ihr sitzt ein Mädchen mit langen, hellbraunen Haaren, die leicht gewellt sind. Sie hat ein paar Sommersproßen. Ihre Augen sind ähnlich blau wie die von Luci. Aber nicht ganz so kalt. Das Mädchen heißt Rebecca. Sie ist Beniques Tochter. Sie war damals 4 (Sandkörner alt). Älter ist sie nicht geworden. Gegenüber sitzt Beniques Sohn, Nico. Er war damals nicht mal ein halbes Sandkorn alt. Die drei frühstücken zusammen. Benique unterhält sich mit Rebecca. Die beiden lachen. Dann muss Rebecca los, zur Schule. Benique gibt ihr nicht mal einen Kuss zum Abschied. Sie winkt ihr nur zu und fängt an den Tisch abzuräumen. Dann wendet sie sich kurz ihrem Sohn zu. Nico gluckst zufrieden und bewirft Benique mit Babybrei. Sie lacht und kneift ihm neckisch in die Wange. Sie geht zur Küchenzeile, die direkt gegenüber vom Esstisch ist, beugt sich über das Waschbecken und wäscht den Babybrei ab, dann betrachtet sie sich kurz im Spiegel. Sie lächelt. Sammi kommt gerade von der Stadtratssitzung wieder. Noch bevor Benique ihn überhaupt bemerkt hat, umarmt er sie plötzlich von hinten. Sie schreit kurz auf, weil sie sich so erschreckt hat, dann lacht sie. Er schmiegt sich an sie und küsst ihren Nacken. Er flüstert ihr etwas ins Ohr. Ich weiß nicht mehr was. Nur das Benique lachen musste. Es war vermutlich nichts Wichtiges. Nico fängt an zu weinen, er hat aus Versehen seine Schüssel umgekippt und ist jetzt voller Brei. Die Schüssel liegt auf dem Boden. Benique löst sich aus Sammis Umarmung. Sie geht wieder zum Essenstisch um sich um Nico zu kümmern. Warmer Brei. Heisse Tränen. Dunkelbraune Augen. Wie sein Vater.

Für einen Moment verlasse ich meinen Tagtraum und sehe mir Sammi an. Wie er dort auf dem Boden liegt. Hilflos. Er starrt mich an. Ob er mich erkannt hat? Möglich. Tränen in seinen weit aufgerissenen Augen. So sieht ein Mann aus wenn er kurz davor ist den Verstand zu verlieren. Oder hat er das schon längst? Ich vergleiche seinen verzweifelten Gesichtsausdruck mit dem glücklichen Sammi aus Beniques Erinnerung. Nicht viel Ähnlichkeit zu erkennen. Dann vergleiche ich mich mit Benique. Noch weniger Ähnlichkeit.

Ich erinnere mich wie die Sonne an jenem Tag auf ihr Gesicht schien. Die warmen Strahlen. Das Licht. Nico macht gerade ein Bäuerchen. Endlich hat Benique Zeit um mit Sammi allein zu sein. „Du hast mir gefehlt". Lachen. „Ach ja?" Er umarmt und küsst sie. Lachen. „Du warst immerhin 2 Tage weg." Er schüttelt den Kopf, als würde er seiner Frau nicht glauben. „Und wie ist es gelaufen?". Benique weiß wie unangenehm dieses Gespräch sein wird, aber sie wollte schon lange darüber reden. Bis jetzt ist Sammi ihr häufig ausgewichen.

Sammi wirkt angestrengt. Er redet nicht gerne über seine Arbeit im Stadtrat. „Ganz gut. Diesmal nehmen wir das Mädchen von den Beckers." Benique löst sich von ihm. „Du meinst Leonie? Das Mädchen das uns jeden Morgen die Zeitung bringt?" fragt die Frau.

Sie weiß, dass Sammi bereits weiß was sie sagen wird. „Ja" Sammi würde das Thema am liebsten schnell wieder vergessen, zur Seite schieben, nicht mehr darüber reden. „Sie ist eine gute Freundin von Rebecca. Vor einer Woche haben wir noch zusammen Mittag gegessen." Betretenes Schweigen. Benique versucht ihre Wut zu verbergen aber das kann sie nicht. Sein Schweigen regt sie auf. Sie redet nun lauter als sie es eigentlich vorhatte. „Du kennst dieses Mädchen seit Jahren. Sie und Rebecca sind seit Jahren gute Freundinnen. Und jetzt schickt ihr sie in den Tod. Einfach so." Sie klingt schon fast hysterisch. Sie schreit. Dabei hatte sie wirklich versucht ruhig zu bleiben. Das Thema macht sie so wütend. Sammi verdreht die Augen. Er hatte gewusst, dass sie ihm das vorwerfen würde. „Ich kann nichts daran ändern. Jeden Vollmond muss ein Mensch aus dieser Stadt geopfert werden. Dieses mal ist es halt Leonie. Das war nicht allein meine Entscheidung. Ich kann nichts dafür dass einer sterben muss. Ich helfe nur auszusuchen wer. Und beschütze so unsere Familie. Mir macht das genauso wenig Freude wie dir. Aber ich kann es nicht ändern. Sei still und dankbar dafür dass unsere Familie verschont wird."

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