„Das Leben ist ein Witz. Und der Tod ist die Pointe."
Auf dem Marktplatz stand ein Mann. Er trug einen schlichten Anzug. Hellblaue Augen, kurze, hellbraune Haare. Normale Statur. Nichts an ihm wirkte besonders hervorstechend oder auffällig. Er wirkte durch und durch durchschnittlich. Über seiner rechten Schulter schwebte, für die Menschen um ihn herum unsichtbar, ein kleiner, grün-brauner Kobold.
So wie alle Kobolde das nun mal tuen, zappelte auch dieser unaufhörlich, machte Handstände, Purzelbäume, und tanzte in der Luft. "Das ist eine der nervigsten Eigenschaften von Kobolden. Sie können einfach nicht still halten.", dachte sich der Mann im Stillen.
„Wenn das so ist, warum bringst du dann nicht einfach alle Menschen hier um?", fragte der Kobold gehässig. "So viel zu lachen!"
Der Mann schüttelte den Kopf. „Aber du kannst einen Witz doch nicht einfach vorzeitig beenden, keiner würde die Pointe verstehen." Der Kobold grunzte mürrisch.
Fast vorwurfsvoll fragte der Mann: „Verstehst du denn gar nichts von Poesie?" Als Antwort grunzte der Kobold nochmal, noch mürrischer.
Der Mann erntete einige argwöhnische Blicke von Passanten, die den Kobold nicht sehen oder hören konnten, und dachten er würde Selbstgespräche führen. Genervt von der unsensiblen Art des Kobolds beschloss der Mann das Gespräch nicht weiter zu führen. Stattdessen schlenderte er jetzt über den Marktplatz um sich Waren anzusehen, die von den Händlern wild schreiend präsentiert und umworben worden. Er wirkte eher desinteressiert. Weder die Stoffe, noch das Essen, noch der Wein beeindruckte ihn oder zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er schien in Gedanken ganz woanders zu sein als eine kreischende Frau sich gewaltsam durch die Menschenmenge drängelte und auf ihn zukam. Zur Begrüßung verpasste sie ihm einen heftigen Kinnhaken. Der Kobold lachte. Sie war nur etwa halb so gross wie der Mann, deshalb wirkte die Szene eher banal als angsteinflössend. Die Frau hatte einen dunklen Hautton, schwarze Haare, dunkle Augen. Sie kam nicht von hier. „Du Schwein!" schrie sie mit einem starken Akzent. Der Mann versuchte sie zu fragen was los ist, aber die Frau beschimpfte ihn einfach weiter. Anstatt ihm eine klare Antwort zu geben nahm sie ihren Ring ab, der mit einem recht grossen Diamanten bestückt war und warf ihn ihm an den Kopf. Die meisten der Beleidigungen verstand der Mann nicht mal, da die Frau komplett aufgelöst war und sehr schnell und undeutlich sprach. Dann wechselte sie die Sprache und beschimpfte ihn auf einer anderen Sprache weiter. Der Mann starrte sie ratlos an. Zögernd bückte er sich und hob den Ring wieder auf. Die Frau gab ihm eine kräftige Ohrfeige, entriss ihm den Ring und schmiss ihn weit weg. Er landete im mit Forellen gefüllten Fass eines Fischverkäufers, der ihn nicht mal bemerkte weil er wie alle anderen Händler laut rufend seine Waren anpries. Betroffen strich der Mann über seine sich langsam rot färbende Wange. „Was ist los?" fragte er erneut. Dieses mal nachdrücklicher. „Jetzt tu nicht so! Ich weiss es! Ich weiss das du mit meiner Schwester geschlafen hast du..." Darauf folgte eine Vielzahl von Schimpfwörtern einige davon in einer südländischen Sprache, die der Mann nicht verstand.
Der Kobold amüsierte sich prächtig und kugelte sich vor Lachen.
„Du hast gesagt du willst den Rest deines Lebens mit mir verbringen! Nur mit mir! Du hast gelogen!"
Jetzt lächelte der Mann. „Ach so.." sagte er. „Das.." Er wartete bis die Beleidigungen aufhörten weil die Frau einen Moment Luft holen musste. „Hör zu dass ist alles nur ein Missverständnis" „Ein Missverständnis?" fragte sie hoffnungsvoll und sagte einen Moment gar nichts. „Ich habe nur gesagt dass ich den Rest deines Lebens mit dir verbringen will. Ich habe nie gesagt ich würde nicht auch mit anderen Frauen schlafen. Außerdem hast du überhaupt keinen Grund um eifersüchtig zu sein. Ich habe überhaupt keine Gefühle für deine Schwester. Ich habe einfach nur mit ihr geschlafen..." Die Frau fing an auf ihn einzuschlagen. Der Mann wich ängstlich zurück. Er verstand das nicht. „Aber in meinem Herzen bin ich dir doch treu geblieben?" Das machte die Frau nur noch wütender. Sie rammte ihr Knie in seine Weichteile. Er gab ein lautes stöhnen von sich. „Aber Baby, ich liebe dich doch" stammelte er verklemmt. Sie schubste ihn.
An einem der Stände wurden Tücher verkauft. Rote, blaue, gelbe, grüne und schwarz-violett-gestreifte. Taschentücher aus Seide oder Baumwolle. Alles fein säuberlich geordnet.
Der Mann stolperte ein paar Schritte rückwärts. Die Frau stieß ihn gegen den Tücher-Stand, er fiel und nahm den Tisch auf dem die Tücher gelegen hatten mit sich. Die zuvor feinen, sauberen Tücher lagen nun alle im Dreck und wurden nass.
Der Kobold hatte aufgehört zu lachen. Erwartungsvoll sah er den Mann an. Für einen Moment saß er sogar still. Angespannt und vorfreudig. „Komm schon, Kasper" murmelte er leise. Kasper verdrehte die Augen als er sich von den verdreckten Tüchern erhob. Der Verkäufer regte sich unglaublich auf.
Plötzlich sackte die Frau in sich zusammen. Sie war tot.
„So schnell? Das ist alles?" fragte der Kobold enttäuscht. „Ich mag es nicht wenn sie um Gnade betteln. Ausserdem habe ich doch gesagt: Ich habe sie geliebt." Erstaunt überschlug sich der Kobold in der Luft. „Aber früher mochtest du das doch." Kasper zischte genervt. „Sei mal ein bisschen sensiber. Ich habe sie wirklich geliebt" Er drehte ihren Leichnam mit dem Fuß um und musterte sie ein letztes mal. „In den letzten 100 Jahren habe ich nur 11 Frauen kennen gelernt die mich so fasziniert haben." Er atmete einmal tief durch. „Schade." Dann ging er. Er wollte den Marktplatz verlassen bevor die Stadtwache ihn bemerkte und ihm Fragen zu der Toten stellen konnte. Einige Menschen hatten ihren Streit beobachtet und starrten ihm nun entsetzt und verwundert hinterher. Er kümmerte sich nicht um ihre Blicke und ging weiter. „Aber wenn du sie geliebt hast warum hast du sie dann umgebracht?" Der Kobold machte ein ungesundes Glucksgeräusch. Kasper reagierte wie immer genervt auf den Kobold. Die Antwort schien ihm selbstverständlich und der Kobold war dumm es nicht zu wissen. „Sie war fürchterlich anstrengend."
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Namenlos
HorrorIn mitten des Zeitensumpfes kämpfen Stadtbewohner um ihr Überleben und ihre Würde. Die Geschichte spielt in Novalis, eine Stadt die tief im Zeitensumpf verborgen ist. Als die Dunkelheit die Stadt an sich reißt, beginnt ein neues Zeitalter. Die Stad...